Dealer - Trip in die Hölle – Kritik

Jean Luc Herbulots Quasi-Remake von Nicolas Winding Refns Pusher erzählt nicht nur von, sondern auch wie auf Drogen.

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Kopenhagen – London – Paris. Überall der gleiche multikulturelle Großstadtdschungel, in dem raubeinige Zeitgenossen sich als Dealer verdingen, sich im reißenden Fluss des Lebens dahintreiben lassen und versuchen, das Ruder in der Hand zu behalten. Drogengeschäfte abwickeln, regelmäßig selbst eine Line ziehen, durch die Clubs streifen, Leute verprügeln, selbst mal was auf die Fresse kriegen – spektakulärer und doch gewöhnlicher Alltag. Das Leben von Menschen wie dem Pariser Dealer Dan (Dan Bronchinson) unterliegt der paradoxen Prämisse, dass jeder Tag rücksichtslos, ohne zu viele Gedanken über mögliche Konsequenzen und so gut es geht wie der letzte verbracht wird, eben weil diese Lebensweise dafür sorgt, dass jeder Tag tatsächlich der letzte sein könnte. Die Welt ist in diesem kriminellen Mikrokosmos ein permanentes Nullsummenspiel. Verdient der eine, verliert der andere  – manchmal sogar das Leben. Im Bild wird diese conditio humana explizit graphisch umgesetzt, wenn in Szenen, in denen Geld durch Gewaltausübung eingetrieben wird, wie in einem Computerspiel ein Scorestand eingeblendet wird. Als Dan einen lukrativen Koksdeal in Aussicht gestellt bekommt, glaubt er die Dinge unter Kontrolle zu haben. Er leiht sich von einer lokalen Gangstergröße eine beträchtliche Menge Stoff, doch das Ruder entgleitet ihm schnell, und ehe er sich versieht steht er ohne Drogen, ohne Geld und ohne Plan da. Jetzt geht es nicht nur um sein eigenes Leben, sondern auch um das seiner Tochter.

Die Uhr tickt

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Dealer ist zwar kein erklärtes Remake von Nicolas Winding Refns Pusher (1996), aber die Plots und die Personenkonstellationen – samt der Vorstellung aller zentralen Figuren via Namenseinblendung im Prolog – stehen sich so nahe, dass es schwer fällt, Jean Luc Herbulots Debüt nicht als ein solches zu betrachten. Doch in Dealer läuft die Uhr des Protagonisten wesentlich schneller ab. Hat Kim Bodnia als der Kopenhagener Pusher Frank mehrere Tage Zeit und schiebt inmitten seiner Misere auch mal eine ruhige Kugel, so steht Dan unter permanenter Hochspannung. Sein Zeitfenster beschränkt sich auf eine knapp 24-stündige Tour de Force durch den urbanen Moloch, in der er alles Erdenkliche tut, um die Schulden aufzutreiben. Nicht nur inhaltlich, sondern auch formal hat sich Herbulot von Windign Refn beeinflussen lassen. Die Strukturierung der Story durch eingeblendete Wochentage wurde in ähnlicher Form übernommen, nur dass es hier einzelne Stationen desselben Tages sind.

Ein Film auf Drogen

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Allerdings sind in Dealer wie in Pusher Drogen nicht nur ein zentrales Motiv, sondern der ganze Film kommt von Anfang an selbst wie auf Drogen daher. Hier ließ sich Herbulot offensichtlich durch die ästhetische Strategie von Luis Prietos „offiziellen“, in London angesiedelten Pusher-Remake gleichen Namens (2012) inspirieren – und betont sie nun nochmals. Die Bilder des Prologs rattern dahin, gelegentlich scheinen sie zu verrutschen, scheint der kleine schwarze Abstand zwischen zwei Einzelbildern aufzublitzen. Der Film, so wird uns suggeriert, gibt uns seinen Körper, seine Materialität als Filmstreifen zu erkennen. Die Vorstellung der zentralen Figuren vollzieht sich vor einem artifiziellen, aber sehr physisch wirkenden roten Hintergrund, der beständig von nachtbläulichen Tanzszenen durchbrochen wird. Es scheint, als befänden wir uns in der Blutbahn, angetrieben von pulsierender Technomusik werden wir fortgeschwemmt, mitten hinein in die Story, die sich extrem multimodal, sozusagen bewusstseinserweitert, entfaltet. Auf akustischer Ebene ertönen die Musik und Dans Voice-over-Monolog, während uns eine bunte Bilderflut voranpeitscht. Auch wenn sich diese Bilder wieder beruhigen: Die Exzesse aus Zeitrafferaufnahmen, surrealen Einfärbungen und simulierten Bildkratzern, die die Körperlichkeit des Films herausstellen, treten immer wieder auf, begleitet von atmosphärischen Beats.

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Doch Dealer erschöpft sich keineswegs in den formalen Spielereien, sondern vermag es, den Zuschauer trotz aller Beschleunigung und der diversen Visual-Arts-Momente stets in der Geschichte zu halten. Die Rauschästhetik resultiert nicht in Betäubung. Einige Momente liegen durchaus schwer im Magen, und erinnern wird man sich noch eine Weile an den Film.

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