Meine Tochter – Kritik

Im Schutzraum gefangen, oder zur Frühreife verdammt. Auch in Daughter of Mine träumt Laura Bispuri von luftleeren Räumen, in dem sich nichts ihrem didaktischen Programm entzieht.

Selbst in Momenten tiefster Verachtung liegt in den Gesten, die diese Verachtung ausdrücken, noch etwas Zärtliches: eine Art Ursolidarität von Frau zu Frau. Zu sehen ist das einmal, als Tina (Valeria Golino) nachts gewaltig betrunken, aber dann doch nicht gewalttätig an den Hafen kommt, um Angelica (Alba Rohrwacher) zur Rede zu stellen. Seit zehn Jahren herrscht zwischen ihnen eine Art Deal – nun ist der Deal geplatzt, ohne dass eine der beiden dafür verantwortlich wäre. Angelica hatte einst ein Kind zur Welt gebracht, das sie – das sieht man deutlich in einer Rückblende; umso deutlicher, weil man in ihr nichts hört – gar nicht wollte. Tina half bei der Geburt und nahm die Tochter anschließend an sich. Eine Win-Win-Konstellation, wäre da nicht die Tochter selbst, die irgendwann anfängt, Fragen zu stellen, Instinkten zu vertrauen. So weiß die bald zehnjährige Vittoria (Sara Casu) also Bescheid, sie ist alt genug und schließlich nicht blöd. Erste Anzeichen für den Mutterschwindel zeigen sich, als sie mit der charakterstarken Angelica einmal zu einem Song aus dem Autoradio tanzt; es zeigt sich, dass auch in ihr etwas von dieser im Tanz zum Ausdruck gebrachten Charakterstärke steckt, dass sie mit diesem Autoradiotanz nichts als den Tanz ihrer Mutter tanzt.

Rauer Wind im leeren Raum

Am Hafen nun entlädt sich der Schwindel zum ersten Mal in einer dramatischen Auseinandersetzung. Die wiederum ist angesichts der Unteilbarkeit derer, die in ihr auf dem Spiel steht, nämlich Vittoria selbst, gar nicht so dramatisch. Schließlich kann ohnehin nur die Tochter entscheiden, wen sie als Mutter akzeptiert: die fürsorgliche, noch um die Sauberkeit von Vittorias Zehenzwischenräumen bemühte Ziehmutter, oder die ungestüme, ziemlich grobe, Nacht für Nacht alkoholisierte und auch nicht sonderlich frisierte leibliche Mutter. Laura Bispuri, die mit ihrem Debüt Sworn Virgin (Vergine giurata, 2015) schon im Wettbewerb der Berlinale lief, legt es mit Daughter of Mine nun wieder auf einen ganz besonders existenziellen (durchaus auch spezifisch weiblichen) Identitätsfindungskonflikt an. In der dünn besiedelten Prärie Sardiniens, in der man rustikal eingerichtet ist, vom Fischfang lebt und sich abends in der Kneipe die Kante gibt, bekommt der Konflikt etwas Abstraktes, etwas allzu Anschauliches.

Zwar ist es kein luftleerer Raum, dieser raue Raum, in dem ständig ein heftiger Wind bläst, dessen Leere aber immer wieder explizit gezeigt und benannt wird. Dennoch bleibt der Eindruck, Bispuri wünsche sich genau einen solchen luftleeren Raum, um ihre poetische Agenda durchzuexerzieren, einen Raum, der von nichts anderem mehr gekerbt ist als von Konfliktlinien, einen Raum, der nur ihr selbst, ihrem Denken, ihrer symbolischen Arbeit gehört, der keine Eigenschaften hat außer solchen, die ihren zentral verhandelten Konflikten Ausstellungswert verleihen. Bispuri ist eine Didaktikerin und eine Hardcore-Ökonomin: Alles an ihrem Film hat einen politisch-programmatischen Wert. Anders gesagt – und das macht diesen Film auch so spannungsfrei: Nichts entzieht sich diesem Programm.

Kein leichter Gang

Tatsächlich ist Daughter of Mine am Ende hauptsächlich ein figürliches Verschiebespiel, um den Film Szene für Szene einer Pointe entgegenzuschieben, die sich auch nach fünf Minuten schon erraten lässt. Der charakterliche Abstand zwischen den beiden Müttern, die letztlich beide solche sind, ist denkbar groß: die eine liebevoll, aber besitzergreifend, die andere grob, aber inspirierend. Vittoria schreitet diesen Weg dazwischen immer wieder ab. Das sieht man in langen Einstellungen, in denen sie durch die Ödnis stapft – von der einen zur anderen Mutter, von der anderen zur einen Mutter. Kein leichter Gang. Wenn sie zum Schwimmen ins Meer geht, ist sie unter den Bikinifreundinnen die einzige im Badeanzug, später trägt sie dann Angelicas Ohrringe und lässt sich von ihr das Küssen erklären: Im Schutzraum gefangen auf der einen Seite, zur Frühreife gezwungen auf der anderen. Die Oppositionen werden deutlich, sie werden umso deutlicher, als uns Bispuri in den Räumen, die sie uns zeigt, nie etwas zeigt, was der Verdeutlichung dieser Oppositionen nicht dienlich ist. Seltsam ist es schon, dass sich zwischen derart anschaulich nebeneinandergestellten Polen nur dezente dramatische Energien entladen. Aber selbst diese Seltsamkeit hat – am Ende wissen wir dann, was wir ahnten – wieder nur programmatischen Wert.

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