Das Hotelzimmer – Kritik

Kammerspiel im Hotelzimmer: Der Regisseur Rudi Gaul spielt mit den Ebenen und fragt nach der Wahrheit.

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Eine Frau schreibt ein Buch. Darin geht es um einen Mann, der eine Frau auf sein Hotelzimmer nimmt. Sie haben Sex. Am nächsten Morgen eröffnet ihm die Fremde, dass sie sich vor zwanzig Jahren schon einmal begegnet seien und er sie vergewaltigt habe. Der Mann sagt, die Frau lüge. Die Frau sagt, der Mann habe die Straftat verdrängt. Für diese Geschichte wird der Autorin Agnes Lehner (Mina Tander) der wichtigste deutsche Literaturpreis verliehen. In ihrem Hotelzimmer gibt die Preisträgerin einem regionalen Fernsehsender ein Interview. Dann eröffnet ihr Kameramann Lukas (Godehard Giese), dass sie sich kennen. Sie sagt, er lüge. Er sagt, sie habe die gemeinsame Vergangenheit verdrängt.

Die Eindeutigkeit der Zweideutigkeit

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Das Hotelzimmer im Hotelzimmer also, die Geschichte in der Geschichte, verfrachtet mit Hinweisen auf die eigene Verschachtelung, als wäre das Spiel mit den Ebenen zu schwer zu begreifen. Eher als die Ungewissheit herrscht im Hotelzimmer die Eindeutigkeit der Zweideutigkeit: Es habe ihm gut gefallen, sagt Lukas zu Beginn über Agnes’ Roman, dass man nie genau wisse, ob das jetzt die Geschichte in der Geschichte oder alles nur die Einbildung der Frau sei. Es ist Lukas, der dafür sorgt, dass der bedeutungsschwere Kommentar vom Film Besitz ergreift, als er behauptet, in Agnes’ Abiturjahrgang gewesen zu sein. Wenig später erinnert er sie an ihre Rolle als Helena in einer Schultheateraufführung von Shakespeares Sommernachtstraum: Wie sie im Aufwachen begreift, dass diese Nacht ein Traum war, und deshalb zu weinen beginnt. Schon damals habe Lukas Agnes gefilmt. Man ahnt, dass sie wieder vor seiner Kamera weinen wird; darüber, dass etwas nicht so war, wie sie wollte, dass es gewesen ist.

Die Kamera vor der Kamera

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Das Hotelzimmer geizt nicht mit Floskeln über Identität, Wahrheit, Vergangenheit. Interessanter wird der Film aber, wenn man die Kamera betrachtet, diese Kamera vor der Kamera, in der er seinen Schwerpunkt findet. Es ist, als ob sich der Film an diese Kamera anschmiegt, mit ihr – im Wechsel zwischen Filmendem und Gefilmter, der den Erzählfluss strukturiert – bewegt er sich. Die Kamera ist ein Mittel der Macht, und derjenige, der vor ihr steht, dem anderen ausgeliefert. Als der Film beginnt, ist die Kamera in den Händen von Lukas, der sich für einen Journalisten ausgibt, wenngleich mit haarsträubender Unprofessionalität. Von den ersten Augenblicken an ist die Kamera indiskret und zudringlich. Agnes weiß, dass Lukas sie filmt, aber nicht, dass er an ihren Mund, ihr Ohrläppchen heranzoomt, dass er sie beim Telefonieren erhascht. Es hat etwas von einer Aneignung, einem Raub.

Die Kamera als Identität

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Anders als in Agnes’ Roman erfolgt die Offenbarung stufenweise. Erst nach der Hälfte der Zeit hat sie ihren Gipfel erreicht. Ein Verbrechen eint Agnes und Lukas. Vor zehn Jahren, kurz nach dem Abitur, habe Agnes ihren ehemaligen Klassenkameraden mit einem Mord beauftragt, den er vollstreckt habe. Der willfährige, schüchterne Junge war in die allseits beliebte Schulschönheit verliebt, ihre ihm plötzlich zuteilwerdende Aufmerksamkeit eine Triumphstunde. Bisweilen ist Das Hotelzimmer auch ein etwas linkischer Exkurs in das Innenleben von Teenagern, hier: der Schönen und dem hässlichen Entlein. Sie, populär und im Inneren doch einsam, irgendwelche Vorstellungen vom Leben und von der Liebe nachspielend, weil man in dem Alter doch ein Klischee sei. Er, der unsichtbare Klassenkamerad, „der Typ mit der Videokamera“, wie sich Agnes dann doch erinnert.

Eine ganz interessante Zuschreibung: gewissermaßen das Auge, das sieht, aber nicht gesehen wird. Die Kamera als Identität, als Mittel, seine Existenz zu behaupten, wenn man unentwegt ignoriert wird: Man dringt mit der Kamera in das Leben der anderen ein, weil man anders keinen Zutritt dorthin gewährt bekommt. Irgendwann sagt Lukas, er habe über die Kamera eine Affäre mit Agnes gehabt, im Erhaschen von Großaufnahmen: die Kamera als Mittel, sich den anderen anzueignen.

Der Befehl der Erinnerung

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Das Hotelzimmer zeigt, wie uns die eigene Vergangenheit zu etwas Formbarem verkommt, zu einer bequemen Rekonstruktion, mit der wir sie uns gefügig machen, erträglich; ein Arrangement mit dem eigenen Verstand, unvernünftig um des Verstandes willen. Der Film inszeniert dabei nicht den Kampf der Rekonstruktion gegen die sich bahnbrechende Wahrheit. Hier stehen sich zwei Rekonstruktionen gegenüber, bis zum Schluss bleibt dem Zuschauer die Wahrheit vorenthalten. Richten darf die Kamera. „Ich will, dass du dich erinnerst“, befiehlt jeweils derjenige, der hinter der Kamera steht, und meint damit: Ich will, dass du meine Erinnerung bestätigst. Das zuletzt Gesagte, das zuletzt mit der Kamera Aufgezeichnete ist dann die Wahrheit. Mit Agnes’ Worten: Die Wahrheit ist das, was der Übriggebliebene sagt.

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