Dance, Girl, Dance – Kritik
Es war einmal eine Tänzerin, die kein „Oomph“ hatte: Dance, Girl, Dance (1940) variiert das Märchen vom hässlichen Entlein zwischen anzüglichen Burlesque-Shows. Dabei widmet sich Dorothy Arzner nicht nur den Gewissenskonflikten von Künstlern, sondern hält ihrem Publikum auch eine überfällige Standpauke.

Die Tänzerin Judy (Maureen O’Hara) ist zwar talentiert, kann das aber nie so richtig beweisen. Weil sie zurückhaltender, naiver und auch ein bisschen vornehmer wirkt als die anderen, denkt ihr Umfeld automatisch, ihr würde etwas fehlen. Man bezeichnet sie als „classy“, wobei das kein Kompliment, sondern ein Synonym für langweilig sein soll. Ihren vermeintlichen Mangel bringt dagegen die Leiterin der Truppe – Maria Ouspenskaya als eine jener archetypischen, sowohl strenge Disziplin als auch mütterliche Wärme ausstrahlenden Ballettlehrerinnen, deren Nachnamen auf ova enden – mit einer Lautmalerei auf den Punkt: „Oomph“. Und so sehr Judy auch versucht, den Wünschen ihrer Auftraggeber zu entsprechen, so erfolglos muss ihr Unterfangen bleiben, denn: „You don’t learn Oomph. You are born with it“.
Not an ounce of class

Gleich in der nächsten Szene führt uns Dance, Girl, Dance (1940) vor, was dieses „Oomph“ eigentlich ausmacht. Als der Leiter eines Burlesque-Theaters zum Casting vorbeischaut, schläft er bei Judys – zugegeben arg braver – Hula-Darbietung fast ein. Als jedoch ihre Konkurrentin Bubbles (Lucille Ball) auftritt, ihrem zukünftigen Auftraggeber neckisch zuzwinkert, sich beim Tanzen herausfordernd auf die Pobacken klopft und ihre Hüften in seine Richtung schleudert, spielen sich ungeahnte Ereignisse in seinem Gesicht ab: aufgerissene Augen, fletschende Zähne und ein Blick, der einem die Schamesröte ins Gesicht treibt. Anders als Judy wirkt Bubbles nicht ätherisch, sondern so, als könnte man sie auch haben. Sie strahlt Sex aus, scheut sich nicht davor, mit dem Publikum zu spielen, und vor allem besitzt sie nicht einmal „an ounce of class“.

Dorothy Arzner erzählt in ihrem vorletzten Film eine freie Variation auf Hans Christian Andersens Märchen vom hässlichen Entlein. Judys Dilemma besteht darin, dass sie eigentlich ein Schwan beziehungsweise eine begabte Ballerina ist, aber dass das in einem Umfeld aus halbseidenen Revue-Shows niemand zu schätzen weiß. Obwohl Arzners Erzählton von musikalischer Virtuosität ist, zeigt sich in Dance, Girl, Dance doch auf sehr ungeschminkte Weise, wie man im Showbusiness immer wieder seine Träume mit der Realität abgleichen muss – am deutlichsten wohl bei Judys Ballettlehrerin, die ihre künstlerischen Ambitionen hintanstellen muss, um in den letzten Jahren der Großen Depression überhaupt überleben zu können. Weil Judy selbst nicht einmal mehr Geld für den Bus hat, nimmt sie schließlich eine Rolle in Bubbles Burlesque-Show an, in der ihre einzige Funktion darin besteht, ausgebuht zu werden, damit ihre Kollegin besser glänzen kann. Erniedrigend ist das nur, bis Judy versteht: Auch das ist nur eine Rolle, die sie spielt. Eine ziemlich gut bezahlte noch dazu.
Kein Antagonismus zwischen Pop- und Hochkultur

Dance, Girl, Dance versprüht einen eisernen Pragmatismus, wenn sich seine unerschrockenen Heldinnen an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Dabei lebt der Film zwar von seinem Gegensatz zwischen Populär- und Hochkultur, jedoch ohne das eine gegen das andere ausspielen zu müssen. Die leuchtenden Augen, die Judy bekommt, wenn sie heimlich die Proben für eine Art-déco-Ballett-Revue (selbst die Hochkultur darf hier nicht zu „classy“ sein) beobachtet, kann man ebenso nachvollziehen wie das Gejohle der alkoholisiert übermütigen Männer, die Bubbles bei ihrer anzüglichen, komödiantisch treffsicheren Sing- und Tanzdarbietung zu Füßen liegen (Letzteres sogar noch mehr). Aber warum sollte es auch eine Hierarchie geben, wenn der Film selbst beides vereint? Wenn er als Massenmedium funktioniert, das mit zickigen Onelinern, eingängigen Songs und melodramatischer Tiefe mitreißt, aber darüber hinaus auch viel über die Gewissenskonflikte von Künstlern und die gesellschaftliche Rolle von Kunst erzählt? Es wirkt schon grundsätzlich falsch, diese Ebenen überhaupt getrennt voneinander zu betrachten – so wie Judy und Bubbles letztlich auch zu solidarisch und freundschaftlich miteinander umgehen, um wirkliche Konkurrentinnen zu sein.

Der Antagonismus will aber auch deshalb nicht funktionieren, weil die beiden nicht für die gute und die schlechte Seite derselben Sache stehen, sondern für unterschiedliche Lebensmodelle und Bedürfnisse. Letzteres wird besonders klar, weil beide Frauen ein Auge auf den wohlhabenden, aber anstrengend wechselhaften Jimmy (Louis Hayward) geworfen haben, der sich nicht so recht entscheiden kann, ob er nun bei seiner genauso behämmerten Frau bleiben möchte, ein schnelles, aber umso aufregenderes Abenteuer sucht (Bubbles) oder sich doch ernsthaft neu verlieben will (Judy).
„We’d laugh right back at the lot of you”

Arzner zeigt uns eine Welt, in der man es zwar leichter hat, wenn man flexibel bleibt, sein Glück aber sicher nicht findet, wenn man nur anderen gefallen will. Und das gilt letztlich eben auch für das, was auf der Bühne passiert. In der vielleicht berühmtesten Szene des Films hält eine stinksaure Judy ihrem aufgeheizten Publikum eine Moralpredigt, die sich gewaschen hat. Gerade für die feministische Filmkritik und -wissenschaft war und ist diese Szene bedeutend, weil sich darin eine Frau dem (überwiegend) männlichen, objektivierenden Blick entzieht, um einfach mal zurückzuglotzen.
Es steckt aber noch mehr in dieser Umkehrung des Blickregimes, weil die Szene darüber hinaus auch mit einem weitverbreiteten Missverständnis über das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum aufräumt. Denn Judys Monolog verdeutlicht, wie leicht man in seiner bequemen Zuschauerrolle überheblich wird, wie schnell man dabei nicht nur vergisst, was für verdammt harte Arbeit auf der Bühne geleistet wird, sondern auch, wie sehr man selbst Teil einer Inszenierung ist, die genau weiß, wann man empört zu sein hat und wann man sich lachend auf die Schenkel klopft. Dance, Girl, Dance ist eine angemessene Standpauke für ein Publikum, das glaubt, mit dem Eintrittspreis für eine Aufführung auch automatisch eine Machtposition erworben zu haben. Genau ihnen schleudert Judy entgegen: „We’d laugh right back at the lot of you, only we’re paid to let you sit there and roll your eyes and make your screamingly clever remarks.“
Den Einführungstext zu unserer Dorothy-Arzner-Reihe gibt es hier
Hier geht es zu den Filmen:
Craig's Wife (1936)
First Comes Courage (1943)
Nana (1934)
The Bride Wore Red (1937)
Christopher Strong (1933)
The Wild Party (1929)
Merrily We Go to Hell (1932)
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Bugonia
Monster: Die Geschichte von Ed Gein
Dracula - Die Auferstehung
Frankenstein
Trailer zu „Dance, Girl, Dance“

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