Damsel – Kritik
Der Distress als bloße Männerfantasie: Die Zellner-Brüder bereisen ein paar Westernkulissen, üben sich in feministischem Revisionismus und lassen den edlen Wilden nur genervt mit den Augen rollen. Der Mix aus Albernheit und Auftrag ist Damsel Problem wie Tugend.

Das Western-Setting erreicht Samuel Alabaster (Robert Pattinson) überraschenderweise vom Wasser aus. Der Held reitet nicht ein, er strandet. Das Ziel: seine von fiesen Gaunern entführte Verlobte Penelope (Mia Wasikowska) zu retten und direkt zu ehelichen – den Priester hat er bereits im Vorfeld engagiert. Mit im Gepäck: ein sogenanntes Miniaturpferd namens Butterscotch, ein tatsächlich außergewöhnlich niedriges Tier, eine Art behufter Dackel. Überhaupt ist bei Samuel vieles zu klein. Er zwängt sich, einmal im Saloon angekommen, nur mit größter Mühe aus dem Gurt seiner ebenfalls recht kleinen Gitarre, rührt wegen eines schwachen Magens den Alkohol nicht weiter an, die Größe seines Adamsapfels schätzt er gegenüber zwei bedrohlich grimmigen Genossen diplomatisch als höchstens durchschnittlich ein, und dass ihm ein echter Schwanzvergleich erspart bleibt, liegt wohl nur daran, dass das selbst den Zellner-Brüdern zu billig wäre. Denn dann würde allzu offensichtlich, worum es ohnehin schon offensichtlich genug geht: nämlich den männlichen Habitus des Westernhelden mit Karacho gegen die Wand fahren zu lassen. Samuel nirgendwo einreiten, sondern immer nur stranden zu lassen.
Regie-Duo oder Klassenclowns?

Wie Samuel da so an Land geht, das könnte man also auch so beschreiben: Robert Pattinson kommt aus unserer verwirrenden Gegenwart in einem scheinbar heilen Western-Mythos-Medley an, ein Setting, das so abstrakt bleibt, wie der Film an einer bloßen Genre-Variation eben nicht interessiert ist. Die Regie-Brüder Nathan und David schäkern ja ohnehin gerne mit der Filmgeschichte herum: In Kumiko, the Treasure Hunter (2014) ging es um eine junge Japanerin, die ein altes Videotape von Fargo (1994) findet und schließlich, im Glauben, es handle sich dabei um einen Dokumentarfilm, in die USA reist, um den vergrabenen Schatz zu finden. Wurde in diesem Film der Glaube ans Kino noch von der Landung in der Realität ausgebremst, verhält es sich in Damsel gewissermaßen andersherum. Der Western stellt sich direkt derart als Kulisse aus, seine Motive als Spielzeug, dass das alles zunächst so richtig engaging nicht ist. Wenn man im Immersionsraum also erst mal ein paar Reihen weiter hinten Platz nimmt, dann entspannt das, enttäuscht aber auch. Vor allem weil die Zellners ein bisschen arg gezwungen nach absurden Pointen suchen, dabei den Ernst bei der Sache – bei ihrem Brüderpaar im Geiste namens Coen ja fundamentaler Bestandteil des Ganzen – geflissentlich ignorieren.
Die Liebe läuft ins Leere

Der Twist, der das alles dann doch wieder ganz hübsch auflädt, kommt beim ungewöhnlich schnell erreichten Endpunkt von Samuels Mission. Der hat für die Rettung seiner damsel in distress zwar nun wirklich an alles gedacht: Den Priester (gespielt von David Zellner selbst) hat er mitgebracht, ebenso das Dackelpferd als Hochzeitsgeschenk, die ein bisschen repetitive Liebesballade namens „Honeybun“ hat er am Lagerfeuer eingeübt und für die Überwältigung des Entführers einen überzeugenden Plan in den Sand gekritzelt. Womit er nicht gerechnet hat, ist die These des Films selbst, die dem armen Romantiker bald ziemlich um die Ohren fliegt. Und die lautet: Es mag ja Damsels geben. Aber der Distress ist eine bloße Männerfantasie. Und das ganze daran anschließende Zeug mit der Liebe eben auch.
Der clownesque Modus des Films bekommt also eine politische Ebene spendiert, auf der wir im Folgenden verbleiben werden und die ein wenig schon im Prolog angedeutet war, in dem sich zwei an der Stagecoach-Haltestelle treffen, der eine, es ist der Priester, will nach Westen, auf der Suche nach dem berühmten Neuanfang nach dem Tod seiner Frau, der andere will zurück nach Osten, weil das mit dem Pioneering ganz schön nach hinten losgegangen ist: Neuanfang hört sich bei Letzterem so an: „Oh yeah, it will be shitty in new and fascinating ways.”
Es ist dieser amerikanische Mythos des clean slate, des kompletten Neubeginns, den Damsel seine ziemlich erbärmlichen Männerfiguren immer wieder in die Welt posaunen lässt und für den Penelope als Projektionsfläche herhalten muss. Wenn die dann allmählich das Zepter des Films in die Hand nimmt, dann ist das also kein schlichtes Empowerment-Narrativ, sondern logische Folge einer filmischen Operation, die eine nicht zuletzt durch das Western-Genre universalisierte Perspektive als eine partikulare sichtbar macht – indem sie den männlichen Helden noch einmal alle Stationen seiner Rettungsmission abfahren lässt, aber dann nicht mit dem Objekt dieser Mission, sondern einem Gegenüber konfrontiert, ihn damit stranden lässt.
Rudernd Richtung Horizont

Das ist eine schlichte Operation, macht den Film dann aber doch interessant und gelungen. Damsel ist nicht der „etwas andere Western“, der eifrig Geschlechter- und andere Stereotype dekonstruiert (auch der edle Wilde verweigert seine Funktion im ersehnten Neuanfang des weißen Mannes, rollt mit den Augen und legt sich schlafen). Er sperrt vielmehr tradierte Genremotive und gegenwärtige Aneignungsdebatten ganz unverschleiert in einen Raum, und in diesem Raum müssen vor allem die Profiteure dieser Motive und die von diesen Debatten Genervten halt erst mal klarkommen. Wenn Penelope vor dem Zubettgehen die Grenzen ihres safe space in den Sand ritzt und am Ende (und natürlich mit Butterscotch) dem Horizont entgegenrudert, aus dem der Held mit dem kleinen Ross einst gestrandet kam, dann ist das ein ebenso spielerischer wie lustvoller und ernst gemeinter Umgang mit feministischen Aneignungen – was auf einem Festival, das sich in Fragen der Geschlechtergerechtigkeit gerade eher für den neuen (selbstverständlichen sinnvollen) Service einer Übergriffs-Erstversorgung auf die Schultern klopft als kämpferisch in die Offensive zu gehen, vielleicht nicht die schlechteste Intervention ist.
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