Dahomey – Kritik

Mubi: Ab jetzt sprechen die Statuen. Mati Diops Dokumentarfilm Dahomey ist eine selbstbewusste und scharfe Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe Frankreichs.

Im November 2021 gibt Emmanuel Macron mit großer Geste 26 Schätze aus dem Schatz des Königreichs Dahomey an den afrikanischen Staat Benin zurück, ein Bruchteil der tausenden Objekte, die französische Kolonialtruppen 1892 aus Dahomey geraubt haben. Für Mati Diop beginnt der von ihr beobachtete Prozess nicht bei der französischen Politik, die in ihrem Film Dahomey nur als Büste von Jacques Chirac im Bild auftaucht, sondern bei einem Bild von kleinen, leuchtenden Eiffeltürmen. Ein Touri-Souvenir, klischeehaft mit schwarzen Verkäufer*innen unter dem Wahrzeichen Paris assoziiert, setzt in der Pariser Nacht den blinkenden Anfang für eine scharfe Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe Frankreichs.

Schon sehr früh radikalisiert sich der Film auf der Tonspur. Er montiert sehr frei Musik zu den Bildern (komponiert von Wally Badarou und dem Experimentalmusiker Dean Blunt) und entscheidet selbst, wann er Bild und Ton synchronisiert und wann die Tonspur sich verselbstständigt. Die Geräusche der Stadt Cotonou, in der die zurückgekehrten Objekte nun in einem eigens dafür gebauten Museum ausgestellt werden, spielen ohnehin als Hintergrund immer eine Rolle, bis in den Abspann hinein. Diese Wahrnehmung des Filmtons als eigenständige Erzählerin findet ihren Höhepunkt in dem Moment, in dem das Objekt Nr. 26 zu sprechen beginnt. Vor einem schwarzen Bildschirm erzählt es von seinen Träumen, Gefühlen und dem, was es sieht. Das Objekt wird zum Subjekt, nicht theoretisch, sondern real. Dieses Zum-Sprechen-Bringen als akustische materialisierte Form des Fabulierens ist nie abstrakt, sondern immer radikal vom Material aus gedacht. Wer über (Post-)Kolonialismus sprechen möchte, muss sich die Objekte nicht nur anschauen, sondern ihnen zuhören.

Den Blick der Objekte einnehmen

Die Statue spricht davon, dass sie in einem neuen Land ist, das nicht mehr das ist, das sie einst verlassen hat. Immer wieder spricht sie von der Nacht, der Dunkelheit. Eine buchstäbliche Bild-Metapher: Das Bild bleibt oft schwarz, wenn die Statue spricht, weil sie im Prozess der Rückgabe in eine Kiste gesperrt ist und nichts sieht. Ein Objekt-POV, der nichts vermenschlicht, sondern einen tatsächlichen Objekt-Blick einnimmt. Critical Fabulation kann als Konzept eben nur dann seine ganze Wirkung entfalten, wenn man es tatsächlich betreibt und in die Welt der Objekt-Bilder und -Geschichten eintritt. Die Stimme, ohnehin immer schon ortlos, klingt verformt und spricht dezidiert kein Französisch.

Die filmische Setzung der Statue-Stimme bezieht alle zu sehenden Objekte (Kameras, Kisten, Flugzeuge etc.) als potenziell Sprechende und Träumende mit ein, ohne die Spezifik der geraubten Kunst zu verlieren. Sie haben eine besondere Geschichte, ein eigenes Gedächtnis, das ihnen nicht nur materiell eingeschrieben ist, sondern in ihnen drinsteckt. Dahomey bringt durch sein schwarzes Bild, das dem Auge nichts zeigt, aber den Ohren alles, dieses Gedächtnis zum Vorschein. Glücklicherweise ist diese Erkenntnis für Diop nur der Ausgangspunkt, weil sie das Kino als Medium ansieht, in dem sich anders mit postkolonialen Diskursen umgehen lässt.

Rückeroberung des Bildes

Eine große und sehr spannende Verschiebung passiert in der zweiten Hälfte des mit 67 Minuten zwar relativ kurzen, aber keineswegs dünnen Films. Hier beobachtet die Kamera eine Versammlung an der Université d’Abomey-Calavi, auf der Studierende über die Rückgabe und deren politische Implikationen diskutieren. Es ist ein selbstbewusster, postkolonialer Diskurs unter Menschen, der sich fern von westlichen Argumenten bewegt, von Menschen, die Benins Kolonialgeschichte nicht selbst erlebt haben, aber mit ihren Folgen leben müssen. Argumente werden hin- und hergeworfen und erzählen von ambivalenten Gefühlen gegenüber Rückgaben der Kolonialstaaten, weil es eben nicht nur um Gegenstände geht, sondern die allgegenwärtige Präsenz des Geraubten und Abwesenden in der eigenen Kultur. Was bedeuten die geraubten „Objekte“, die für viele Studierende laut eigener Aussage in ihrer Kindheit immer unkonkret „Dinge“ blieben? Diesen Diskussionen folgt Diop mit scharfem Blick für die Reaktionen der Menschen im Raum und die leidenschaftliche Stimmung, die aus der Diskussion entsteht. Dagegen schneidet der Film immer wieder Szenen aus dem Alltagsleben in Abomey. Eine von vielen politischen Praktiken, weil sie nicht unmittelbar affektiv ist, sondern genau gesetzte Beobachtungen produziert.

Dahomey ist ein selbstbewusster, großer Film. Seine Stimme ist eine Stimme für Benin, die Statue spricht nicht für die Menschen dort, sondern mit ihnen. Diop leiht der Statue ihre Leinwand und ihre Bilder, aber spricht nicht für sie. Das europäische Publikum ist zum Zuschauen verdammt – nicht umsonst blickt die Kamera oft durch Fensterscheiben –, es darf sich nicht von der Stimme des Films angesprochen fühlen. Diops Beobachtung der Rückgabe von geraubten Gegenständen wird zu einer Rückeroberung des Bildes und der Diskurshoheit, insofern, als es keinem europäischen Blick und keiner Stimme zusteht, für jemand anderen zu sprechen. Ab jetzt sprechen die Statuen.

Den Film kann man bei Mubi streamen.

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