Crazy Thunder Road – Kritik
No Future, überall: Dass Sōgo Ishii in Punkbands spielte, ist seinem Studienabschlussfilm um eine Bikergang jederzeit anzumerken. Crazy Thunder Road zeigt der Genre-Sprache den Mittelfinger, tritt das filmische Gaspedal durch und bewegt sich seiner eigenen Mad-Max-Apokalypse entgegen.

Als Tōei, eines der großen Filmstudios Japans, 1980 den Abschlussfilm eines Filmstudenten in die Kinos brachte, war das zwar ziemlich ungewöhnlich, aber zugleich ein logischer Schritt. Zwei Jahre zuvor hatte nämlich der gleiche Student schon von Nikkatsu, einem anderen der klassischen Filmstudios, Geld bekommen, damit er einen seiner Kurzfilme für die Kinoauswertung zum Langfilm ausarbeitete. Nach seinem Abschluss legte eben dieser Filmemacher und Punkmusiker noch zwei adrenalingeschwängerte Filme nach, die seinen Ruf als exzentrisches Wunderkind der japanischen Filmszene bestätigten, die aber zugleich so eigenwillig waren, dass er danach zehn Jahre keine Filmprojekte mehr finanziert bekam – erst als etwas gesetzterer Herr konnte er seine Spielfilmkarriere fortsetzen. Natürlich ist die Rede von Sōgo Ishii, der sich inzwischen Gakuryū Ishii nennt. Der Studienabschlussfilm, der seinen Ruf vor allem auch außerhalb Japans begründete, war Crazy Thunder Road (Kuruizaki Sandā Rōdo).
Rettungs nirgends

Der Titel ist dabei Programm. Geschwindigkeit und Aggression bestimmen fast die gesamte Spielzeit. Die Figuren bellen eher, als dass sie sprechen. Die expressive Kamera und der Schnitt gehen vor, als gelte es, ein filmisches Gaspedal durchzutreten. Platz für Kontemplation bietet Crazy Thunder Road weder seinen Zuschauern noch seinen Protagonisten. Und überhaupt werden keine moralischen Stützen geboten, die das Geschehen irgendwie leichter verdaulich und einordbar machen würden. An vereinzelten Stellen werden uns zwar ruhige und geordnete Lebensverhältnisse gezeigt, die der ansonsten wilden Fahrt als Kontrapunkt entgegengestellt sind. Damit möchte uns Ishii aber eben nicht das Gute zeigen, sondern vielmehr die Vorstellung in den Dreck ziehen, dass eine solche Idylle möglich sei. No Future überall. Rettung nirgends.

Dergestalt werden drei Biker und mit ihnen drei Generationen porträtiert. Tsuyoshi (Nenji Kobayashi) hatte die Bikergang der drei einst gegründet, ist aber inzwischen ein mittelalter Mann und Teil einer nationalistischen Partei. Aus seiner alten Bande versucht er nun Nachwuchs für eine paramilitärische Ausbildung zu rekrutieren, die wie das japanische Äquivalent einer Wehrsportgruppe wirkt. Ken (Koji Nanjo) ist zu Beginn der Anführer der Gang, doch er trachtet nach einer sozialverträglichen Zukunft. Durch polizeilichen Druck und durch die Einsicht, lieber Zeit mit seiner Freundin in deren Bar verbringen zu wollen, als sein Umfeld zu terrorisieren, setzt er sich nach und nach zur Ruhe. Zu guter Letzt haben wir Jin (Tatsuo Yamada), einen jungen Rebellen, der auf die Bestrebungen seiner Vorgänger nach Ruhe und Ordnung pfeift. In jede sich bietende Feuerstelle kippt er Kerosin. Er ist am ehesten der Protagonist des Films, und jemand, der unversöhnlich am Limit der Selbstzerstörung lebt.
Korruption des Individuums

Crazy Thunder Road erzählt aber weniger die Geschichte der drei, als dass der Film die Stationen seines Geschehens chronologisch abarbeitet. Die Oberhäupter aller Bikergangs verhandeln über eine vereinte, friedliche Zukunft. Jin stürmt mit Verbündeten die Konferenz und schlägt alles kurz und klein. Anschließend übernimmt er die Reste seiner Gang und wird von den anderen Gangs jagt. Er sucht in Tsuyoshis paramilitärischer Organisation Unterschlupf, bis ihm Ordnung und Befehlsketten zu bunt werden, weshalb er lieber auf der Straße den eigenen Untergang sucht. Womit sich Crazy Thunder Road schließlich in Richtung seiner sehr eigenen Form von Mad Max-Apokalypse bewegt.

Wie gesagt geht es dabei nicht um eine Analyse von Bikergangs, rechten, paramilitärischen oder sonst wie gearteten Männerbünden. Auch nicht um die Suche nach dem richtigen Leben. Gesellschaft über die bekannten Gesichter der Bubble hinaus findet schlicht nicht statt. Wenn Ken zu aufreizend harmonischer Musik im Weichzeichner sein Leben genießt, dann ist er schon in ein Nirgendwo eingezogen, das über die Tollwut Jins und des Films hinaus lediglich absurd ist.

So geht es in Crazy Thunder Road um das Individuum und mit Jin eben um eines, das in keiner Gruppe aufzugehen weiß. Im Angesicht der geordneten Lebenswege links und rechts beharrt er auf die eigene Lust, auf das euphorische Gefühl, zu verglühen, kaputt zu machen und kaputt gemacht zu werden. Alles, was darüber hinaus geht, scheint einer Korruption dieses Individualismus gleichzukommen. Statt Auswege zu präsentieren, wird der Schlag mit dem Kopf gegen das Ende der Sackgasse eines aufrührerischen Selbst propagiert.
Opaker Adrenalinrausch

Weshalb sich Crazy Thunder Road trotz seines Tunnelblicks und seiner ekstatischen Geschwindigkeitserfahrung nur bedingt rauschhaft anfühlt. Der wilde Nervenkitzel ist sichtlich zu dysfunktional, um einfache Identifikationsangebote zu machen. Sprich: Ishiis Film ist immer auch ein opakes Gebilde, dem wir ratlos gegenüberstehen, wie sehr der Adrenalinrausch auch dazu einlädt, sich der Energie des Films hinzugeben.
Vor und nach dem Film war Ishii Teil von Punkbands, und das ist zu jeder Zeit zu spüren, wenn er wild mit seiner Kamera und dem Schnitt experimentiert, sich ausprobiert und der Filmsprache eines geordneten Genrefilms den Mittelfinger zeigt. Seine filmische Version von Anarchy in the UK ist eben eine lustvoll gestaltete Fratze eines seriösen Films, die mit simplen, aber völlig überzogenen Mitteln jeder Vorstellung von Sinn eine Abfuhr erteilt. Und dabei verlangt er einem Bewunderung dafür ab, dass sein Film nicht in Beliebigkeit zerfasert, sondern seine Kräfte durchgängig zu bündeln weiß.
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