Christopher Strong – Kritik

Katherine Hepburns legendäres Mottenkostüm ist in Dorothy Arzners Christopher Strong die größte Attraktion und ein schillernder Ausdruck für's Unangepasste. Zoe Akins Drehbuch dreht sich dementsprechend um patiarchale Doppelmoral und das Auslaufmodell der alles erduldenden Ehefrau.

Am Anfang steht die Wette, die Zeugnis ablegt von der Frivolität der Pre-Code-Ära. Auf einer Party in der Londoner High Society werden gesucht: ein Mann, der länger als fünf Jahre verheiratet ist, ohne seiner Frau jemals untreu gewesen zu sein, und eine Frau über zwanzig, die noch nie mit einem Mann zusammen war. Wider Erwarten sind sie schnell gefunden in der von Colin Clive gespielten Titelfigur Sir Christopher Strong und der Pilotin Lady Cynthia Darrington (Katharine Hepburn). Als die beiden mit dem Auto von der Party nach Hause fahren und sie ihn zu einem Flug mit ihr überredet, kommt nach und nach, was kommen muss: Sie verlieben sich ineinander.

Patriarchale Doppelmoral

Was in ausgelassener Feierstimmung beginnt, entwickelt sich dabei zu einem immer tragischeren Melodram darüber, wie Menschen und ihr Begehren an den gesellschaftlichen Konventionen scheitern. Dabei erscheint die Ehe nicht als letzte Erfüllung der Liebe, sondern wird ihr vielmehr zum Hindernis: so nicht nur in der Beziehung zwischen Strong und Darrington, sondern auch im Handlungsstrang um Strongs Tochter Monica (Helen Chandler), die in den verheirateten Harry Rawlinson (Ralph Forbes) verliebt ist. Dem von der – häufiger für Arzner schreibenden – Drehbuchautorin Zoe Akins verfassten Script geht es dabei mehr darum, patriarchale Doppelmoral herauszuarbeiten, als moralische Urteile über Frauen zu fällen, die sich mit verheirateten Männern einlassen. So will etwa Rawlinson, auch nachdem er sich scheiden ließ, zunächst nichts von Monica wissen, weil die sich zwischenzeitlich auf eine Affäre mit dem Italiener Carlo (Jack La Rue) eingelassen hatte.

Anders als der Titel vermuten lässt, ist Harrington das klare Zentrum des Films. Oder genauer: Der Titel setzt Christopher Strong nicht so sehr als Subjekt der Handlung ein, sondern eher als Objekt von Harringtons Sehnsucht und Begehren. Hepburn verleiht ihrer Figur dabei eine ungebremste Energie, gibt sie als Frau, die die Dinge anpackt und gerne die Kontrolle hat. So ist auch ihre anfängliche Jungfräulichkeit keinem Keuschheitsideal geschuldet, sondern eher ein Ausdruck dafür, dass sie sich nicht an einen Mann binden, sondern ihre Unabhängigkeit bewahren will. Die Exzentrizität der Figur, die sich nicht einpassen kann und will, findet in dem Mottenkostüm, der mit Abstand größten Attraktion des Films, ihren buchstäblich schillernden Ausdruck.

Wunsch nach Freiheit statt Geschlechterkonkurrenz

Ihre Obsession fürs Fliegen ist dabei keine Metapher für die Ambitionen einer Frau, die hoch hinaus will. Einen ersten Rekord stellt sie auf, indem sie als Erste im Flugzeug die Welt umrundet. Gedreht ist das in einer wunderbaren Montagesequenz. Mit Überblenden verbundene Einstellungen zeigen abwechselnd das in der Luft dahin gleitende Flugzeug und Nachrichtensprecher, die in verschiedenen Sprachen vom Fortschritt des Unternehmens berichten. Dabei geht es gerade nicht um eine Frau, die sich gegen männliche Kontrahenten durchsetzt und sich in einer Männerdomäne behauptet – womöglich als Stellvertreterin für die Regisseurin in der fiktionalen Welt des Films. Ihr Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung hat für sie nichts mit Konkurrenzverhältnissen zwischen den Geschlechtern zu tun.

Das Flugzeug ist dabei nur eines in einer Reihe von motorisierten Fortbewegungsmitteln, die sich motivisch durch den Film ziehen: am Beginn das Auto, mit dem Harrington über die Landstraße rast. Später das Boot, auf dem sie und Strong in der Abgeschiedenheit des im Hintergrund glitzernden Meeres einander ihre Liebe gestehen dürfen. Immer scheint es dabei um die Fluchtbewegungen aus einer Welt zu gehen, die das persönliche Glück systematisch verunmöglicht.

Expressivität und Understatement

In einer Szene ist Harrington alleine in ihrer Wohnung und wartet auf ein Telegramm. Zunächst ist sie im Profil zu sehen, wie sie ins Feuer blickt. Dann fährt die Kamera zurück in die Totale, womit sie den Raum aber nicht öffnet, sondern Harrington umso mehr in ihn einzuschließen scheint. Und immer wieder ist da der Blick ins Feuer, als suchte sie in den Flammen nach einem Ausweg aus ihrem Dilemma. Vielleicht ist das Charakteristischste an Arzners Kino die Art, wie sie es versteht, die Einsamkeit ihrer Protagonistinnen zu filmen, mit einem Blick, der noch dann voller Empathie ist, wenn die zuvor, wie etwa auch die Titelfigur in Craig’s Wife (1936), denkbar wenig getan haben, um die Sympathien des Publikums zu gewinnen.

In Christopher Strong parallelisiert Arzner die Frauenfiguren Monica und Harrington nicht zuletzt durch das Motiv des Suizids, mit dem Erstere droht und den Letztere schließlich begeht. Das Spiel der beiden Darstellerinnen zeigt dabei verschiedene Arten, mit dem Schicksal umzugehen. Der Expressivität, mit der Chandler ihr verzweifeltes Inneres nach außen kehrt, steht die gefasste toughness Hepburns gegenüber, die noch der existenziellsten Krise mit einem gewissen Understatement begegnet. Lady Strong (Billie Burke), die leidende und duldende Ehefrau, erscheint dabei nur noch wie ein Auslaufmodell, was die Tragik ihrer Figur noch unterstreicht.

Im furiosen Finale will Harrington einen Höhenrekord mit ihrem Flugzeug aufstellen. Während die Nadel des Höhenmessers immer weiter wandert, sind noch einmal die amourösen Verstrickungen vorangegangener Szenen zu sehen, aus denen sie schließlich nur noch einen Ausweg kennt. Diese Szene wäre ein Jahr später kaum noch denkbar gewesen: Dem im April 1934 eingeführten Hays Codes ging es nicht nur um die Durchsetzung einer restriktiven Sexualmoral, er verengte darüber hinaus rigide die moralischen Spielräume, in denen sich ein Film bewegen durfte. 1933 durfte es aber mit Lady Cynthia Harrington noch eine weibliche Figur geben, deren Verlangen nach Freiheit und Unabhängigkeit für eine beengende Welt schließlich schlicht zu groß ist – sodass sie ihren Platz darin schließlich nur als Denkmal finden kann.

Den Einführungstext zu unserer Dorothy-Arzner-Reihe sowie einen Überblick aller Texte gibt es hier

Zu den Filmen:

Craig's Wife (1936)

First Comes Courage (1943)

Nana (1934)

The Bride Wore Red (1937)

The Wild Party (1929)

Merrily We Go to Hell (1932)

Dance, Girl, Dance (1940)

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