Chasuke's Journey – Kritik
Der Himmel über Okinawa: Sabu erzählt eine zuckersüße, moralinsaure Liebesgeschichte.

Vielleicht war es ja kein Zufall, dass nur wenige Minuten nach der Weltpremiere von Chasuke’s Journey (Ten no chasuke, 2015) der Valentinstag anbrach. Der neue Film des japanischen Regisseurs Sabu ist jedenfalls ein ideales Date Movie: Er säuselt von der Kraft der Liebe, unterhält mit rasanter Action und einfachem Humor – und am Ende kann man sich schön zusammenkuscheln. Solche Filme braucht es vielleicht angesichts niedriger Geburtenraten, im Wettbewerb eines A-Festivals ist so ein Zuckerschock aber reichlich deplatziert.
Zu Beginn lernen wir Chasuke kennen, er ist im Himmel als Teeservierer angestellt. Er bedient nicht etwa den Herrn selbst, sondern die Drehbuchschreiber – die Autoren menschlicher Lebensläufe. Einem Schreiber stirbt die Lieblingsfigur weg: Yuri, eine stumme junge Frau. Daraufhin schickt er Chasuke auf die Erde, um den schriftlich vorbestimmten Tod doch noch zu verhindern. Natürlich kommt es wie bei Damiel, dem Engel aus Wim Wenders’ Der Himmel über Berlin (1987), oder auch bei Arielle und manchem Vampir der Filmgeschichte: Chasuke verliebt sich in Yuri und will bei ihr bleiben, zum Menschen werden.
Sinne statt Sinn

Eine Zeit lang ist das alles recht amüsant: Bevor er selbst dem Kitsch verfällt, parodiert Sabu noch kurz Szenen aus Dirty Dancing (1987) und Titanic (1997), zitiert Damiels Flügel aus Der Himmel über Berlin und lässt Chasuke kranke Menschen heilen, sodass vor seiner Unterkunft bald ein ähnlicher Massenandrang herrscht wie bei der Moses-Figur aus Lügen macht erfinderisch (2009). Chasuke kämpft gegen die Zeit, denn Yuri soll schon bald sterben – und so gerät der Film äußerst rasant. Der Engel rennt durch die engen Hintergassen Okinawas, die Kamera folgt kräftig wackelnd, und dann kommen auch noch zwei fiese, übernatürliche Cops hinzu, die auf Anweisung anderer Himmelsautoren Chasukes Pläne durchkreuzen sollen.
Ein bisschen erstaunt es anfangs schon, dass Sabu seinen Crowdpleaser mit religiösen Themen wie der Vorbestimmung des Schicksals und der Theodizee-Frage belädt. Doch er reißt solche Fragen nur an, geht aber nicht weiter drauf ein: Gottes Grausamkeit wird zwar in Form leidender Menschen ins Bild gesetzt, doch als Chasuke die Betroffenen heilt, greift keine höhere Macht ein. Bei Sabu hat der Allmächtige nichts gegen die Abänderung seiner Vorsehung. Chasuke verspürt höchstens etwas Übelkeit, wenn er Gottes Werk tut – doch dann kotzt er einfach, das Publikum lacht, und schon sind alle metaphysischen Fragen vergessen. Die poppigen Farben, schrillen Outfits und der großzügige Weichzeichner-Einsatz lenken die Sinne ohnehin so stark ab, dass ein Nachdenken über den Sinn kaum noch möglich ist. Insofern ist der laute, teure, bunte Chasuke's Journey so ziemlich das exakte Gegenteil von Sabus vorherigem Film – der stillen, schwarz-weißen, düster sozialkritischen No-Budget-Produktion Miss Zombie (2013).
Schiffbruch ohne Tiger

Das Zuckerwatte-Finale von Chasuke's Journey ist absolut konsistent mit dem Rest des Films: Die Kraft der Liebe triumphiert über die Kraft der Naturgesetze. Doch völlig überraschend zaubert Sabu in den allerletzten Sekunden noch etwas ganz anderes aus dem Hut: Bei der Abblende legt Chasukes Voice-over-Kommentar dem Publikum „die Kraft des Betens“ ans Herz und faselt in Pastorenduktus davon, dass „das Leben nicht immer nur sonnig sein kann, sondern manchmal auch Wolken aufziehen“. Das ist nicht nur ein völliger Fremdkörper in diesem Film und noch dazu reichlich banal, sondern auch eine unangenehme Parallele zur religiösen Propaganda von Ang Lees Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger (2012), den Sabu an einer Stelle auch bildlich zu zitieren scheint. Aber immerhin: Auf's gemeinsame Schmusen von Menschen und Tigern verzichtet Sabu. Ihm reicht es schon, wenn sich die Zuschauer aneinanderkuscheln.
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