Chaos: Die Manson-Morde – Kritik

Neu auf Netflix: Die Doku Chaos – Die Manson-Morde von Errol Morris entwickelt auf Basis eines Sachbuchs alternative Theorien über die Hintergründe der Morde an Sharon Tate und ihren Freunden. Dabei wirkt der Film mitunter wie eine Satire auf gängige Verschwörungsmythen.

August 1969: Der Folk-Sänger Charles Manson, den niemand unter Vertrag nehmen möchte, hat als Sektenführer eine enorme Anzahl treuergebener, meist weiblicher Jünger um sich geschart. Er kündet vom kommenden Rassenkrieg; dem Helter Skelter, in dem die Schwarzen die Weißen umbringen. Nur Mansons Jünger würden im Bottomless Pit – einem unterirdischen Versteck – überleben. Nun befiehlt er einigen aus seiner Gefolgschaft, alle Anwesenden in der Villa am 10050 Cielo Drive umzubringen. Der Polizei soll wohl weisgemacht werden, dass der für einen früheren Mord der Manson-Gefolgschaft inhaftierte Bobby Beausoleil fälschlicherweise verdächtig wird. Oder vielleicht soll auch den Black Panthern die Tat in die Schuhe geschoben und so besagter Helter Skelter ausgelöst werden.

Das Ziel suchte Manson wohl aus, weil er davon ausging, dass unter dieser Adresse noch Plattenproduzent Terry Melcher wohnen würde, der ihn einst abgelehnt hatte. Tatsächlich lebte dort inzwischen Roman Polanski mit seiner hochschwangeren Frau Sharon Tate. Während Polanski zur Tatzeit in Europa war, wurde Tate mit ihren Gästen brutal abgeschlachtet. Da Manson und seine Family sich als Teil der Hippie-Bewegung verstanden, wurden diese Morde bald zum symbolischen Endpunkt der Gegenbewegungen der 1960er Jahre. Was mit Blumen und Liebe begann, wurde mit einem Mal zu einem Sumpf auf harten Drogen, Gewalt und Paranoia.

Theorien ohne Beweise

So ist es zumindest in die Geschichtsbücher eingegangen. Der US-Journalist Tom O‘Neill aber meint in seinem Sachbuch Chaos: Charles Manson, the CIA, and the Secret History of the Sixties, dass bei dieser Version irgendwas nicht stimmt. Dass in Wahrheit das FBI und die CIA in dem Fall mit drinstecken müssen. In Chaos – Die Manson-Morde (Chaos: The Manson Murders) wiederum versucht Regisseur Errol Morris, O‘Neills Buch zu einem Dokumentarfilm zu adaptieren.

Dafür interviewt er sowohl den Autor als auch den ehemaligen Staatsanwalt Stephen Kay, der diesem widerspricht. Angereichert sind die Gespräche mit Massen an Filmaufnahmen, TV-Ausschnitten und Fotos. Wer dank der zwei entgegengesetzten Perspektiven Ausgewogenheit erwartet, wird allerdings enttäuscht: Das Ergebnis ist weder als Rekonstruktion der damaligen Geschehnisse noch als Ausarbeitung von O‘Neills Argumentation sonderlich interessant.

O‘Neill nennt für seine Skepsis gegenüber der offiziellen Lesart der Geschehnisse drei Anhaltspunkte. Während Manson in einer Klinik im Hippie-Mekka Haight-Ashbury verkehrt, treiben sich dort auch Mitarbeiter des MKULTRA – einem CIA-Programm, das während des Kalten Krieges nach Möglichkeiten von Bewusstseinskontrolle forscht – herum. Obwohl die gleichzeitige Anwesenheit für O‘Neill kein Zufall sein kann, gibt es keinen Beweis dafür, dass MKULTRA und Manson sich jemals getroffen haben.

Der zweite Anhaltspunkt ist COINTELPRO: ein Programm des FBI, das subversive Gruppen (vor allem die Black Panthers) diskreditieren und handlungsunfähig machen sollte. Sharon Tates Tod, der zunächst Afroamerikanern in die Schuhe geschoben wurde, sollte laut dem Film abschreckend auf jene Prominente wirken, die sich auf die Seite schwarzer Aktivisten stellten. Dass die Täter zunächst durch alle möglichen Lücken der Strafverfolgung schlüpfen, könne doch kein Zufall sein, ist sich O’Neill sicher. Der dritte Verdacht des Autors ist schließlich, Helter Skelter sei nur eine Fiktion des Staatsanwalts Vincent Bugliosi, mit der dieser nach dem Prozess einen riesigen Bucherfolg feiern und damit aussorgen konnte.

Ominöse Schauermusik und nichtssagende Aktenvermerke

Jeder dieser Anhaltspunkte wird in Chaos – die Manson-Morde nur minimal angerissen. Es gibt keine Beweise, keine Unterfütterung, keine Ausarbeitung; Indizien werden lediglich kurz genannt und können zugleich alles und nichts sein. Die Zusammenhänge der äußerst verworrenen Geschehnisse werden nur grob in den Raum gestellt − bevor es weiter zum nächsten unausgegorenen Sachverhalt geht.

Zeitweise gewinnt man den Eindruck, O‘Neill ginge es nicht um Antworten, sondern lediglich um das Sammeln von Indizien, die in alle möglichen Richtungen weisen. Zumindest trifft diese Absicht auf den Film zu, der genussvoll im Reißerischen badet. Von ominöser Schauermusik unterlegt, werden nichtssagende Aktenvermerke in die Kamera gehalten, als wären sie felsenfeste Beweise für abgründige Wahrheiten. Immer wieder sehen wir eine Pappmachépuppe Mansons, die als Puppenspieler die hilflos manipulierten Sektenmitglieder führt. Statt sich mit den aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen oder auch nur den bisherigen Forschungs-Status-quo verständlich wiederzugeben, geht es um gespenstische Ahnungen, die nie hinterfragt werden.

Durch sein fehlendes Interesse an Fakten wirkt Chaos – Die Manson-Morde mitunter wie eine Satire auf Verschwörungstheorien und die penetrante Art, wie sie einem mit maximaler Effekthascherei unter die Nase gerieben werden (Das kann doch kein Zufall sein!). Oder, und das ist meine persönliche Verschwörungstheorie, möchte Morris vielleicht gar nicht O‘Neills Buch wohlwollend präsentieren, sondern es genüsslich an die Wand fahren? Um zu zeigen, dass dieses nur eine jener Fiktionen ist, ohne die Menschen scheinbar ihre komplexe Welt nicht ertragen können? Dafür aber hätte es nicht diese brutal eindimensionalen anderthalb Stunden gebraucht.

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