Celebration – Kritik
Ein Mythos als zitternder Körper: Olivier Meyrous Porträt des Designers Yves Saint Laurent durfte zehn Jahre nicht gezeigt werden – auch weil hier nicht alle gut wegkommen. Viel zu feiern gibt es in Celebration ohnehin nicht.

Hastig werden noch Kleidungsstücke übergestülpt und Haare frisiert, Roben auf Stangen an die richtige Stelle geschoben. Die Dinge und Menschen im Atelier wollen gerichtet werden, bevor gleich der Mann mit der großen Brille und dem gut sitzenden Anzug für ein Foto erscheint. Während die letzten Accessoires sortiert werden, läuft er langsam, sehr langsam, einen mit Teppich ausgelegten Gang entlang, dann die Treppe zum Atelier hinunter. Links an der Wand befindet sich ein Spiegel. Als der Mann sich darin sieht, stolpert er. Yves Saint Laurent taumelt kurz, aber er wird nicht fallen.
Gigantische Abgesangsschleife

Der kleine Stolperer im Augenblick der Selbsterkenntnis ist einer von vielen irritierend nahen Momenten im Film von Olivier Meyrou, der die Ikone Yves Saint Laurent in den zwei Jahren vor dessen Rückzug aus dem Modegeschäft begleitete. Viel zu feiern gibt es in Celebration aber nicht mehr. Der Film fühlt sich eher an wie nach der fetten Party: Saint Laurent tritt als Dinosaurier auf, als Letzter seiner Art, Überlebender einer Welt, in der die Pariser Haute Couture noch der hot shit war. Meyrou nähert sich fasziniert diesem Relikt an, das in einer gigantischen Abgesangsschleife gefangen zu sein scheint, beobachtet den scheuen Saint Laurent bei der Arbeit an seiner letzten Kollektion. Vergangene Erfolge tauchen subtil am Rande auf. Mal läuft eine Frau im berühmten Hosenanzug vorbei.
Dabei fallen in Celebration zwei dogmatisch getrennte Bildräume aufeinander (Montage: Cathie Dambel). Während Auszüge aus Fernsehinterviews sowie Aufnahmen von Saint Laurent in Schwarz-Weiß zu sehen sind, zumeist rauchend oder alleine im Atelier zeichnend, zeigen farbige Sequenzen seine unmittelbarere Arbeitswelt und Personen aus seinem Umfeld (Kamera: Jean-Marc Bouzou und Florian Bouchet). Die Unterschiede in der Farbgebung suggerieren zeitliche Abstände, die der Film selbst immer wieder aufhebt und als Konstruktionen markiert. Damit entsteht ein Gefühl von Zeitlosigkeit, ein Prinzip, nach dem auch die Entwürfe von Saint Laurent und seine Vorstellungen von Eleganz funktionieren, und das Meyrou in die Bildgestaltung übersetzt. In einem Interview in Schwarz-Weiß sagt Saint Laurent einmal, dass alles einfacher werden müsse, und es wirkt so, als meine er nicht seine neue Modelinie, sondern das Leben generell. Man müsse alles mal entstauben, reduzieren, sehen, was darunter liege, denn nur so würde es in die heutige Zeit passen. Ein bisschen beschreibt das auch, was Celebration will. Das Kameraauge versucht, die Schichten wegzupusten, die über dem Dinosaurier Yves Saint Laurent liegen.
Das fragile Genie

Meyrous Dokumentarfilm wurde erstmals auf der Berlinale 2007 gezeigt. Pierre Bergé, Lebensgefährte und Geschäftspartner von Saint Laurent, untersagte jedoch die weitere Veröffentlichung des Films, der jetzt in leicht veränderter Form in die Kinos kommt. Weil Bergé hier nicht so gut weg kommt, sagen die einen; weil die Frage durchaus wichtig ist, welches Bild von Saint Laurent nach seinem Tod bleiben soll, sagen die anderen. Denn es ist im Film nie gänzlich klar, was der manchmal ziemlich apathische Modezar noch so von seiner Umwelt mitbekommt. Der Saint Laurent, der sich in Celebration beobachten lässt, ist ein introvertierter, gealterter, bereits kranker Mann, dessen Hände beim Zeichnen mit dem Bleistift ein wenig zittern, der nervös lächelt, als er vor den Kleiderstangen im Atelier fotografiert wird. Indes ist er gerade in dieser Fragilität für Meyrou das künstlerische Genie par excellence. Das unterstreicht auch der Soundtrack des Films, der zwischen Murmelkulisse und dem sphärischen Horrorfilmscore von François-Eudes Chanfrault changiert.
Geschäft oder Liebe?

Celebration macht vorhandene Erzählungen um den Mythos Saint Laurent nicht obsolet (etwa Yves Saint Laurent von Jalil Lespert und Saint Laurent von Bertrand Bonello, beide von 2014), vielmehr erweitert er sie um andere Perspektiven, zeigt Saint Laurent als eine in seinem Schaffen wahnsinnig präzise Persönlichkeit und als Gesicht eines internationalen, hierarchisch organisierten Modekonzerns. Mit von der Partie ist dabei immer Partner Pierre Bergé, und Meyrous Film macht es tatsächlich sehr einfach, ihn blöd zu finden, wie er hinter den Kulissen Abläufe diktiert und gerne mal lauter wird, die Namen der Mannequins verwechselt und meint, dass hässliche Models ausgetauscht gehören.
In der vielleicht schlimmsten Szene des Filmes, Saint Laurent hat gerade einen Preis für sein Lebenswerk erhalten, lästert Bergé darüber, dass jener heute nur so jung aussehe, weil er seine Haare anders trage. Als Saint Laurent anschließend die Showtreppe hinunter stakst, geht ihm Bergé entgegen, nimmt ihm routiniert den Preis ab – damit Yves sich nicht damit verletze. Und wie die Kamera da die Selbstverständlichkeit und Selbstgefälligkeit einfängt, mit der Bergé diesen Preis in den Händen hält, wie Saint Laurent hinter ihm her trottet, umschwärmt von all den Leuten, die ihm zu seiner Rede gratulieren, eine Rede, die ihm aber doch Bergé geschrieben hat, die er dann mit Bergé geprobt hat, das alles ist wahnsinnig traurig.

Aber es ist die große Stärke von Celebration, dass eben alles nicht so einfach ist, wie es scheint. An einer Stelle vergleicht Bergé Saint Laurent mit einem Schlafwandler, den es nicht aufzuwecken gelte, und er selbst sei eben dafür da, dass Yves nicht vom Dach falle. Was sich auf der einen Seite als kühles Verhältnis von Künstler und Geschäftsmann lesen ließe, ist gleichzeitig zärtliches Liebesgeständnis, genährt von dem Wissen, dass dieser Saint Laurent eben in einer anderen, friedlicheren Welt unterwegs ist. Weil Bergé eben auch da sein will für seinen Freund, zwischen Krankheit, Drogenexzess und dem Nachklang.
Das Seufzen der Schneiderinnen

Als eine Journalistin Saint Laurent fragt, ob er denn die heutige Zeit verstehe, antwortet dieser nach kurzem Überlegen: „Ich verstehe sie nicht, aber ich fühle sie.“ Mode zeigt sich hier als textiler Zeitgeist. Celebration vermittelt dieses Gefühl, auch indem Meyrou eine weitere Ebene dazuschaltet: die Schneiderinnen des Unternehmens. Diese führen nicht nur beim Nähen philosophische Gespräche über das Leben auf anderen Planeten, sondern schwärmen auch von Monsieur Saint Laurent, der „einfach den Blick“ hatte, halten die von ihnen genähten Kleider in den Händen. Zwei von ihnen schauen einmal seine letzte Fashionshow. Und während sie auf den Bildschirm sehen und seufzen, Stolz und Glanz in ihren Augen im Angesicht der olympisch anmutenden Massenchoreografien, lässt sie sich greifen, diese Faszination: etwas zu schaffen, das für immer ist, wenn auch nur ein kleines bisschen, in Seide, Samt oder eben Jersey.
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