Captain America: Brave New World – Kritik
Mit Captain America: Brave New World unternehmen die Marvel Studios ein paar vorsichtige Schritte in Richtung klassisches Genrekino. Am Ende dominiert aber doch wieder die Green-Screen-Beliebigkeit.

Nicht nur irgendeinen Präsidenten, sondern den Präsidenten der Präsidenten haben sich die Marvel Studios für ihren neuen Film an Bord geholt. Harrison Ford wurde einst für seine Rolle als James Marshall in Air Force One (“Get off my plane!”) zum besten Hollywood-Präsidenten aller Zeiten gewählt. In Captain America: Brave New World ist er jetzt als Thaddeus “Thunderbolt” Ross in derselben fiktionalen Funktion zu sehen. Zu Filmbeginn hat er gerade die Wahlen gewonnen und tritt vor die Presse, um das Land in ernsten Worten auf schwierige Jahre einzuschwören. Habituell und auch optisch ist er Joe Biden – in der Tat ist Biden gerade einmal vier Monate jünger als Ford – deutlich näher als Donald Trump.
Nicht orange, aber immerhin hellrot

Allerdings nur am Anfang. Wenn man denn unbedingt wollte, könnte man den neuen Captain America in der Tat als einen Film begreifen, in dem sich ein halbwegs bedächtiger, auf internationale Kooperation erpichter Biden-Präsident nach und nach in einen wutgetriebenen – zwar nicht orangen, aber, passt ja auch fast, hellroten – Trump-Trampelpräsidenten verwandelt. Freilich würde man dem Film damit deutlich zu viel Sensibilität für realweltlich existierende Stimmungslagen zumuten.
Denn wir befinden uns hier von Anfang bis Ende im Marvel-Land, auch wenn der Film streckenweise versucht, es nicht übermäßig zu betonen. Oberste Priorität des neuen Commander-in-Chief ist denn auch das harmonische Zusammenleben von “enhanced individuals”, also Superhelden, und normalen, “unenhanced” Erdenbürgern. Zu diesem Zweck lädt der bislang nicht als Freund der Superhelden aufgefallene Ross den soeben zum neuen Captain America ernannten Sam Wilson (Anthony Mackie) ins Oval Office und erteilt ihm den Auftrag, die Avengers, also das Superhelden-Dreamteam schlechthin, wieder neu zusammenzustellen.
Superheld in der Sports Bar

Au weia, denkt man sich da kurz in Aussicht auf zwei Stunden ironisches Superhelden-Rumgekumpel nach Marvel-Art; aber so schlimm kommt es zum Glück nicht. Wenig später wird auf den Präsidenten – jaja, eine weitere Trump-Parallele – ein Anschlag verübt; er überlebt, aber die Avengers-Reunion ist vorläufig abgeblasen. Und zwar zugunsten eines zumindest eine Stunde lang einigermaßen stilecht, wenn auch ohne allzu viel Schmackes inszenierten Polit-Paranoia-Action-Thrillers. Captain America glaubt nicht, dass der Hauptverdächtige, der außerdem ein alter Freund ist, Herr seiner Sinne war, als er in Richtung des Präsidenten feuerte. Unterstützt von seinem geschwätzigen wingman Falcon (Danny Ramirez) stürzt er sich ins Gefecht gegen die wahren Hintermänner des Anschlags.
Beziehungsweise: Er legt sein Superheldenkostüm an, das er, Pragmatiker, der er ist, in einem handlichen Büroschrank untergebracht hat. Der an eine gewarpte US-Flagge erinnernde Schild mit den roten Kreisen und dem weißen Stern auf blauem Grund wiederum, Haupterkennungszeichen und Lieblingswaffe dieses amerikanischsten aller Superhelden, passt perfekt in den Kofferraum seines Wagens. Der neue Captain America ist der beste Beleg dafür, wie gründlich die Marvel Studios dem Superheldentum seine mythologische Dimension ausgetrieben haben. Wo sich Batman in die Batcave und Superman gar in die Festung der Einsamkeit zurückziehen, der Welt, die sie wieder und wieder zu retten haben, überdrüssig, hängt der Marvel-Held höchstens mal in der Sports Bar ab, um die Batterien wieder aufzuladen. Fantastik korrespondiert im Marvel-Universum nicht mehr mit dem Unheimlichen, dem Asozialen, dem Außenseitertum, sie ist vielmehr funktionell voll in die Restgesellschaft integriert.
Vergebene Chancen

Wie dem auch sei: Man kann dem neuen Marvel-Film, wie angedeutet, zugute halten, dass er ein paar vorsichtige Schritte in Richtung klassisches Genrekino unternimmt. Solange die Action-Szenen sich auf hand-to-hand combat beschränken, haben sie einigermaßen Schwung und passen zur eher düsteren Farbpallette des Films. Auch das digital simulierte Filmkorn fügt sich in dieses Bild. Der welke Harrison Ford, umflirrt vom Staub der Geschichte; Captain America, silhouettiert vor einem bunten Kirchenfenster – gelegentlich findet Regisseur Julius Onah Bilder, die sich im Gedächtnis festsetzen. Ebenfalls auf der Habenseite: Shira Haas als toughe Präsidentenberaterin Ruth Bat-Seraph. Ihr und Ford, gelegentlich auch Mackie, gelingt es hier und da, das solide B-Movie-Skelett, das der Film durchaus besitzt, mit Fleisch zu bestücken.
Freilich kann der Film am Ende doch nicht aus seiner Haut. Beziehungsweise: Er legt mit zunehmender Laufzeit doch wieder mehr und mehr die altbekannte Haut des Green-Screen-Fantasy-Spektakelkinos an. Und wie gehabt, schaut das höchstens mal zwei, drei Einstellungen lang erhaben aus – ah, wir fliegen auf eine Insel zu, die ausschaut wie eine riesige Hand! Warum nur? Egal! –, danach regiert stets Beliebigkeit. Außerdem: vergebene Chancen noch und nöcher. Gerade das Washington-White-House-Setting sollte, würde man meinen, ein gefundenes Fressen sein für ein nach ikonischen Motiven dürstendes Blockbuster-Kino. Wenn Captain America im Zuge einer luftigen Verfolgungsjagd mit dem Washington Monument kollidiert – warum zeigt der Film dann nicht, wie das Bauwerk, das wie kein anderes ein phallisches amerikanisches Selbstbewusstsein symbolisiert, kollabiert? Es hilft alles nichts: Die Marvel-Filme interessieren sich nur für die eigene, synthetische, selbstgeschaffene Mythologie. Mit dem um so viel reichhaltigeren Mythenschatz der sie umgebenden, breiteren Popkultur können sie nicht das Geringste anfangen.
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