Caché - Versteckt – Kritik

VoD: Ein Pariser Ehepaar wird mit anonymen Videoaufnahmen ihres Alltags terrorisiert. In seinem neuesten Film präsentiert der Österreicher Michael Haneke einen subtilen Thriller und wühlt die verdrängte Kolonialgeschichte der französischen Gesellschaft auf.

Caché

Eine Totale öffnet den Blick auf ein sonnenbeschienenes Haus in einer ruhigen Pariser Straße. Zeile um Zeile schreibt sich der Vorspann auf das Bild ein. Als Zuschauer lässt man seinen Blick gewohnheitsmäßig mitwandern. Doch der Film verweilt nach Verblassen der Schrift beharrlich weiter in dieser unspektakulären Einstellung. Irritiert beginnt das Auge nach Indizien zu suchen, das Straßenschild am rechten Bildrand zu entziffern, das „Ereignis“ eines durch das Bild radelnden Passanten zu interpretieren – nichts. Einerseits strapaziert der Filmanfang die Fähigkeit des Zuschauers, vor einem leeren Bild ruhig zu halten. Andrerseits ist diese Hartnäckigkeit des Banalen beunruhigend: Was wird hier gezeigt? Wird hier was gezeigt? Was passiert, wenn gar nichts zu sehen ist? Gleich von dieser ersten, schier endlosen Einstellung an weckt Caché das Misstrauen in das filmische Bild.

Wie bereits in Benny’s Video (1992) gefriert auch diese erste Einstellung von Caché schließlich und wird unter den Kommentaren von Stimmen aus dem Off zurückgespult. Dann erst wird für den Zuschauer begreiflich, dass er nicht die „echte“ filmische Realität vor Augen hatte, sondern Bilder eines dubiösen Videos anonymer Herkunft, das die Bewohner des gefilmten Hauses vor ihrer Eingangstür gefunden haben. Anne (Juliette Binoche) und Georges (Daniel Auteuil) sind der Archetyp des kultivierten Pariser Oberschichtenpaars. Sie arbeitet in einem Verlag, er präsentiert eine Literatursendung im Stile des „Literarischen Quartetts“ im öffentlichen Fernsehen. Mit ihrem pubertierenden Sohn Pierrot (Lester Makedonsky) bewohnen sie eine Oase der Ruhe, in der wohlgeordnete Bücherregale von den Werten einer linksintellektuellen Bourgeoisie zeugen. Ob sich nicht das typische Haneke-Publikum in den Figuren widerspiegeln dürfte?

Caché

In dieses bürgerliche Reich der Bildung und Aufklärung jedenfalls bricht, ähnlich wie in Hanekes früherem Film Funny Games (1997), die rohe Barbarei ein: hier sind es anonym geschickte Videokassetten, die in morbide Kinderzeichnungen einer Blut spuckenden Visage eingewickelt sind.

Von der gegenüberliegenden Straßenseite aus wurde wie von unsichtbarer Hand das Kommen und Gehen der Familie gefilmt, die geringste Geste ausspioniert. Jedoch folgt keinerlei Bekennerschreiben auf die rätselhafte Post. Die Polizei erklärt sich machtlos, das Unbehagen des Ehepaares nimmt zu. Bald schon kommen andere Motive auf den Videos hinzu: Georges’ Elternhaus auf dem Land, eine unbekannte Straße in einem Pariser Vorstadtviertel, der triste Flur in einem Hochhaus des sozialen Wohnungsbaus. Zwischen Deutungsversuchen und Verdachtsmomenten bricht mit zunehmender Verwirrung so einiges bei den Eheleuten hoch, gegenseitige Anschuldigungen, aber auch Anflüge von Sozialchauvinismus und Rassismus. Erinnerungen werden in Georges wach; eine vage Spur führt ihn zu einem traumatischen Ereignis aus seiner Kindheit und verdrängten Schuldgefühlen. Ist dieser anonyme Terror eine späte Rache?

Caché

Haneke wühlt in der Psyche seiner Figur und fördert das zu Tage, was lange „caché“ – verborgen – geblieben ist und dem sich Georges in einer unerwarteten Umkehrung von Täter- und Opferrolle stellen muss. Das individuelle Schulddrama jedoch verknüpft der Film mit der kollektiven Geschichte, die Frankreich weder wahrhaben noch anerkennen will: dem nicht aufgearbeiteten Algerienkrieg der 60er Jahre und der daraus resultierenden zutiefst ambivalenten Beziehung zu dieser ehemaligen Kolonie. Besondere Brisanz erhält der Film zudem noch vor dem aktuellen Hintergrund der brennenden französischen Vorstädte, die Ausdruck der aus dieser Geschichte erwachsenen politischen und sozialen Spannungen sind. Die Chuzpe, als Ausländer, und noch dazu als deutschsprachiger, am empfindlichsten Tabu der französischen Kolonialvergangenheit zu rühren, potenziert Haneke dadurch noch, dass er, im und durch den Film, die unbequeme Schuldfrage ausgerechnet dem linksintellektuellen Bürgertum stellt: einem gesellschaftlichen Milieu, das sozialistisch wählt und sich selbst als progressiv-aufgeklärt definiert. Intelligenz schützt eben nicht unbedingt vor Feigheit.

„Caché“ bleibt im Film aber auch das Kameraauge, diese mysteriöse allgegenwärtige und doch unsichtbare Präsenz. Wer – oder was – filmt? Mit dieser Frage knüpft Haneke an seine medienkritischen Reflexionen früherer Filme, insbesondere Funny Games an. Ab der ersten Einstellung weckt Caché Verwirrung und Misstrauen des Zuschauers in die filmische Realität. Sowohl der Film als auch der Film im Film – die anonymen Videos – sind auf HD gedreht worden und somit ästhetisch nicht zu unterscheiden. Jede Plansequenz versetzt den Zuschauer in Alarmbereitschaft: wieder Bilder eines neuen Terrorvideos oder doch nur die „normale“ Wirklichkeit? Durch die Vermischung der Erzählebenen desautomatisiert sich der filmische Realitätscode; der Zuschauer wird sich der permanenten Manipulation, der prinzipiell jegliche Bildaufnahme unterliegt, gewahr. Kamerafahrten sind eine Frage der Moral, so ein berühmtes Diktum Jean-Luc Godards. Bei Haneke ist es die Plansequenz, die zur moralischen Angelegenheit wird.

Doch nicht nur das: die Ambivalenz der Haneke-Bilder, denen der Zuschauer nie so wirklich trauen mag, erzeugt eine ungeheure Spannung. Allem voran ist Caché schließlich auch ein subtiler, nervaufreibender Thriller...

Der Film steht bis 18.04.2022 in der Arte-Mediathek.

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