Blind Woman's Curse – Kritik
Neu auf DVD: Eine blinde Schwertkämpferin dürstet nach Vergeltung, eine andere soll zu blinder Rache verführt werden. In Teruo Ishiis Blind Woman’s Curse (1970) treffen sie sich in einer fragmentierten Realität, in der die audiovisuellen Angriffe aus vielen Ecken kommen können.

Es geht mit gezückten Schwertern los. Fünf Yakuza, deren Rückentattoos zusammen einen Drachen ergeben, greifen eine andere Yakuza-Familie an. Eine Rechnung muss beglichen werden. Doch das Wieso ist egal. Das Wie ist wesentlich. Wie sie sich gegenseitig verstümmeln und töten. Wie die Kamera auf Leute zufährt oder diese sich vorm Objektiv aufbauen. Wie die von melancholischer Musik unterlegten Zeitlupen aus Blut, Regen und Gewalt von Standbildern unterbrochen werden, um den Credits des Vorspanns ihren Platz zu bieten. Aus der Grundformation des Drachen brechen die fünf in die sie umringende Überzahl auf und werden Teil eines filmischen Balletts aus Blutvergießen und sachlichen Informationen, aus Affekt und Distanz. Der Auftakt von Blind Woman’s Curse (Hîchirimen bâkuto – Nôbarydu takahadâ) ist jedenfalls durchaus sehenswert.
Einbrüche bunten Schangels

Die Auseinandersetzung endet schließlich abrupt, als Akemi (Meiko Kaji), Oberhaupt der Tachibana-Familie und Anführerin der fünf Angreifer, versehentlich mit ihrer Klinge durch Aikos (Hoki Tokuda) Augen fährt. Aiko geriet ins Kreuzfeuer, als sie ihren Bruder zur Seite stieß, um ihm das Leben zu retten. Als erblindete Schwertkämpferin wird sie nach Rache dürsten, mit einem Buckligen und einer dämonischen Katze im Schlepptau, die das Blut ihrer Augen trank. Aber auch Akemi selbst erblindet gewissermaßen durch ihre Tat. Nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis – es sind Vorgänge, die in Blind Woman’s Curse auf kurze Einschübe rationalisiert sind – steht ihre Familie wieder unter Beschuss. Mitglieder werden ermordet, ihre Territorien offen oder indirekt angegriffen, Verräter treiben ihr Unwesen: Akemi erkennt zwar, dass es sich um Hinterhalte handelt, die sie zu blinder Rache verführen sollen. Woher die Angriffe letztlich kommen und wie sie ohne sinnlose Gewalt – traumatisiert von ihren eigenen Taten – handeln könnte, kann sie jedoch nicht erkennen.

Womit der Widerspruch aufgespannt ist, der Blind Woman’s Curse bestimmt. Von blinder Wut und blinder Hilflosigkeit wird in einem Film erzählt, der zuvorderst daran interessiert ist, den Zuschauern optisch etwas zu bieten. Zu der choreografierten Gewalt gesellen sich dabei drastischer Gore, Absurditäten sowie ein farbenfroher Surrealismus, der Akemis Realität auf teuflische Weise bedroht. So wird beispielsweise die Geisterbahn auf einem Jahrmarkt zum Punkt, an dem die Einbrüche des bunten Schangels* sich konzentrieren. Das monochromatische Licht und die absonderlichen Gestalten lassen in einer wilden Sequenz kurz vergessen, dass der Yakuzakrieg des Films größtenteils in einem Raum des filmischen Realismus stattfindet. Oder: Ein heruntergekommenes Yakuza-Oberhaupt, das grundsätzlich hüftabwärts nur mit einem Lendenschurz bekleidet ist, wird von der Kamera bevorzugt über seine Arschritze eingefangen, die immer und immer wieder im Vordergrund der Einstellungen landet.
Alle zehn Minuten nackte Tatsachen

Im Juni 1970 kam Blind Woman’s Curse als einer der ersten Filme des kurzlebigen Vertriebs Dainichi Eihai in die japanischen Kinos. Die Filmstudios Daiei und Nikkatsu wollten mit diesem ihre Kräfte bündeln, da beide Ende der 1960er Jahre in eine enorme finanzielle Schieflage geraten waren. Die zunehmende Konkurrenz durch das Fernsehen, Misswirtschaft und fehlende Antworten auf das Ausbleiben des Publikums führten Daiei – das 20 Jahre vorher noch Japan mit Rashômon (1950) und Ugetsu – Erzählungen unter dem Regenmond (Ugetsu monogatari, 1953) auf die internationale Landkarte gebracht hatte – 1971 in den Bankrott und rangen Nikkatsu die radikale Lösung ab, die Produktion vollständig auf die eigene Version der Pinkfilme umzustellen, auf sogenannte Roman Pornos. Das älteste Filmstudio Japans produzierte also ab 1971 nur noch ungefähr 70-minütige Filme, deren einzige Gemeinsamkeit war, dass nach spätestens zehn Minuten wieder nackte Tatsachen zu sehen sein mussten.

Wenn sich die Kamera hier also in Meiko Kajis Augen verliert, die weder ein noch aus wissen (Augen, die sie in den folgenden Jahren zum Star machten, mit denen sie als Sasori (1972) und Lady Snowblood (1973) in den gleichnamigen Filmen Ozeane von Hass und Schmerz ausdrücken durfte), oder wenn mit ausschnitthaften Drachentattoos versehene Rücken sich verzweifelt zusammenstellen, um den Eindruck von Geschlossenheit auszudrücken, dann spiegelt sich darin eben auch die Verlorenheit einer schlingernden Filmwirtschaft. Und die Strategie gegen die Publikumsflucht ist in diesem Fall, den Zuschauern viel Altbekanntes und neue Nervenkitzel zu bieten. Die Farbenpracht von Das Höllentor (Jigokumon, 1953), der Katzenhorror aus Filmen wie Nobuo Nakagawas Black Cat Mansion (Bôrei kaibyô yashiki, 1958), Daieis große Erfolgsreihe Zatoichi, die von einen blinden Schwertkämpfer handelt, die zunehmend desillusionierten Yakuzafilme um 1970, in denen die vormals behauptete/beschworene Ehre sich immer weiter in Zynismus wandelt, schließlich Sex und explizite Gewalt, um sich vom Fernsehen abzuheben: All das wurde in einen Film wie Blind Woman’s Curse gesteckt.
Die vielen Zutaten versalzen nicht die Suppe

Für die Regie wurde dafür Teruo Ishii vom Filmstudio Toei ausgeliehen. Der hatte noch 1965 einen Riesenhit mit Prison Walls of Abashiri (Abashiri Bangaichi) gelandet, damit die Yakuza-Welle ausgelöst und bis 1967 neun Fortsetzungen inszeniert. Waren diese Filme aber noch ziemlich bieder, so war Ishii Ende der 60er schon zu einem Vorreiter von Gore, Perversion und surrealer Extravaganz geworden. Als Regisseur, der mit einem Bein im alten Studiosystem stand und mit dem anderen in dessen Zersetzung, passt er zu diesem gespaltenen Film.

Der Yakuza- und der Horrorfilm sind eben eher ineinander verkeilt, als dass sie ineinander aufgelöst wären, und trotzdem fallen die Einzelteile nicht auseinander. Die vielen Zutaten versalzen nicht die Suppe. Vielmehr sind sie Ausdruck einer fragmentierten Realität, in der es schwer ist, sich noch auszukennen, und in der die audiovisuellen Angriffe aus vielen Ecken kommen können. Die Verzweiflung außerhalb und die innerhalb des Films scheinen sich gegenseitig befeuert zu haben. Weshalb uns mehr oder weniger blinde Filmstudios mit diesem Fest für die Sinne beglücken konnten.
* Schangel: Ein noch zu wenig verbreiteter Fachterminus für Filmformen, die Dezenz, Zurückhaltung und Achtbarkeit fahren lassen, um sich bunten Farben, inszenatorischer Verspieltheit und einer surrealen Grellheit hinzugeben. Schangel bezeichnet die sichtliche Freude an Waberndem und allem, was Traumsequenzen so schön macht. Eins der bekanntesten Beispiele: Scaramangas Spiegelkammer in dem James-Bond-Film Der Mann mit dem goldenen Colt (The Man with the Golden Gun, 1974).
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