Bis ans Ende der Nacht – Kritik

VoD: Das Krimigenre steckt voller Geschlechterbilder, die Bis ans Ende der Nacht betont selbstverständlich um eine trans Perspektive ergänzt. Dabei wird die Fußfessel von Protagonistin Leni zugleich zum Sinnbild für den Stand der Dinge im deutschen Film.

Beim Zwiebelschneiden weint er, dieser Kommissar, der so heißt, wie nur Kommissare im Film oder Figuren bei Joseph Roth heißen. Robert Demant, im Nachnamen verstecken sich die Forderung und die Frage (demander), zugleich nichts weniger als der härteste Stoff der Welt (Diamant), aus dem jener Mann mit Kajalstrich und Lederjacke gelegentlich vorgibt zu bestehen, um sich in seiner Umgebung behaupten zu können. Ob das Gemüse die Schuld an den Tränen trägt, bleibt in Bis ans Ende der Nacht ein Geheimnis, das nicht aufgelöst wird. Selbst der Zwiebel als affektivem Gegenüber lässt sich im vorliegenden Arrangement aus Vertrauen und Verdacht nicht glauben, das Christoph Hochhäusler mit Neigung zum Genre komponiert hat.

Umkreisen, verdrehen

Bewegung strukturiert den Film, insbesondere ihre Einschränkung. Denn Leni Malinowski (Thea Ehre) hat einem Deal zugestimmt, um auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen zu werden. Von nun an begleitet sie eine elektronische Fußfessel während der undercover mission, die sie zusammen mit Demant (Timocin Ziegler) bestreiten muss. Dem Betreiber einer illegalen Drogenhandelsplattform im Internet, hobbymäßig auch als Diskjockey und Clubbesitzer aktiv („DJ Arth“), sollen die beiden näherkommen, Beweise für seine Überführung sammeln, indem sie sich als Pärchen ausgeben. Sie hat keine Wahl, er keinen Bock, ein Tanzkurs muss her, damit Victor Arth (Michael Sideris) schon mal kritisch beäugt und der gemeinsame Rhythmus gefunden werden kann, mit dem das Duo auf dem Parkett überzeugt.

Beim ersten Essen mit den Freund*innen driften die Erzählungen vom Kennenlernen auffällig auseinander, ein klarer Fall: Malinowski hat den Text nicht drauf, meint Demant, der gerne spricht, wenn sie gefragt wird. Aber das Skript erweist sich als eine flexible Struktur, in der Dichtung und Wahrheit, Identität und Täuschung nah beisammen liegen. Eindeutig sind die Verhältnisse in Bis ans Ende der Nacht nun mal nicht. Wer wen darstellt und wie diese Figuren zueinanderstehen, was sie verbindet, ob der schwule Cop seine Cha-Cha-Cha-Partnerin nicht schon aus einer Zeit kennt, bevor sie sich dazu entschieden hat, als Frau das Leben zu bestreiten, das wird zur Auslegungssache, zum reizvollen Spiel der Vermutungen, Verdrehungen, zu dem Hochhäusler einlädt.

Räume der Normativität

Begleitet wird das durch einen Soundtrack, der auf bestimmte Vorstellungen von Krimi verweist, auf die sich Bis ans Ende der Nacht bezieht. Chansons, Schlager, Melancholie, von Esther Ofarim, Heidi Brühl, Hildegard Knef und The Düsseldorf Düsterboys geborgt, ein bisschen Herzschmerz, Leid, Träume von der Eleganz, die sich in diesem grauen Frankfurt am Main eh kein Mensch leisten kann. Binäre Szenarien sind es derweil, in die der Regisseur diese Leni Malinowski schickt, nicht nur die Tanzschule, in der gelernt werden kann, eine Dame korrekt im Arm zu halten, sondern auch die polizeiliche Arbeit, die auf gewaltvolle Identifikation aus ist, mitsamt ihrer massenhaften Übersetzung in Filme und Serien.

Diese Referenzräume stecken voller Geschlechterbilder, die Bis ans Ende der Nacht mit betonter Selbstverständlichkeit ergänzt, gerade um eine Perspektive, die bisher erstaunlich wenig filmische Berücksichtigung erfahren hat: Wenn Demant nämlich nicht versteht, wie er eine trans Frau anfassen kann, wenn er hadert mit den Erinnerungen an ein anderes Zusammensein, wenn das eigene Begehren also zur Aufgabe wird, bestimmte Berührungen zu befragen und zu verlernen, dann zeigt sich bei Hochhäusler das starke Interesse, über gesellschaftliches Miteinander und Repräsentation nachzudenken – was eben nicht mit simplen Besetzungsentscheidungen erledigt ist, obwohl sie schon mal ein schöner Anfang sind.

Zur Lage des deutschen Films

Stattdessen führen diese Fragen nach dem Umgang mit Körpern viel weiter, tief in das Herz visueller Kultur hinein, wo sich Narrative und Konventionen dringend verändern müssen. Das hat Bis ans Ende der Nacht in gewisser Weise verstanden, das Drehbuch ist unter Mitarbeit einer trans Beratung entstanden. Trotzdem werden in dem Film die Punkte aufgefahren, mit denen Figuren im Kino außerhalb der cisnormativen Zone immer wieder konfrontiert und charakterisiert werden (die Hormoneinnahme, die Frage nach Brust-OP, der Griff zwischen die Beine, das Deadnaming).

Dass diese Gewalt nicht ausgespart wird, die einen unbestreitbaren Teil dieser Lebenswirklichkeit ausmacht, ist bis zu einem gewissen Grad vielleicht verständlich. Sie wird aber dann zum Problem, wenn der Film ihr nichts entgegensetzen zu weiß, das Drehbuch von Florian Plumeyer geradezu verhindert, dass Leni eine Persönlichkeit abseits ihrer Geschlechtsidentität entwickeln darf, sie plötzlich sogar für einige Zeit aus Bis ans Ende der Nacht verschwindet, weil sie nicht so recht zu dem zu passen scheint, was Hochhäusler mit den Genre-Anleihen noch weiter anstellen will, die er bemüht, eventuell zitiert, aber keineswegs überschreibt. Im Vergleich zu den weiteren Figuren bei Hochhäusler muss Leni permanent um den Einzug in die Szene kämpfen, bleibt ab der Hälfte in einem abgesteckten Bereich zurück, mit Fußfessel im Hotelzimmer, Schnitt: ein Sinnbild für den deutschen Film im Jahr 2023, dem es so schwerfällt, Veränderung nicht nur zu wollen, sondern sie zu praktizieren.

Tatort Frankfurt

Mehr noch, gerade in der Reihung wirkt das, was in Bis ans Ende der Nacht passiert, so dermaßen tatortig, dass selbst die Kamera von Reinhold Vorschneider nichts dagegen unternehmen kann, während sie von links nach rechts tappert, als suche sie nach einer Fluchtmöglichkeit. Eine Aufzählung: eine trans Frau, ein gay Cop, eine verdeckte Ermittlung; der Flirt, der Polizeiapparat und dessen übliches Personal (zum Beispiel die Chefin von Demant, die natürlich „von oben“ Druck bekommt, fantastisch abgeklärt gespielt von Rosa Enskat); Demants Dasein als emo-leading man mit Grungecore-Schimanski-Newstalgia, Frankfurt als Kriminalitätshauptstadt, die Drogenvertickwebsite (mitsamt der fehlenden Motivation, sich tatsächlich mit sowas wie Digitalität oder Internet auseinanderzusetzen, wo fehlende Passwörter in Zeiten eines Informationskrieges echt das geringste Problem darstellen); der verständnisvolle Rauschgiftbaron (nochmal: „DJ Arth“), der Techno liebt, gut zuhören kann und aus einer Schallplatte auch mal einen Blumentopf bastelt; die Andeutung eines Bandenkriegs über migrantisierte Nebenfiguren, schließlich ein Showdown auf dem Industriegelände und ein Ende mit Blick in die Kamera, das Offenheit suggerieren soll.

In der Deutschland-Barometer-Qualität, die der Tatort seit jeher besitzt (und damit nebenbei viel über die trending topics einer deutschen Filmförderungslandschaft verrät), ist das, was Hochhäusler macht, wieder interessant, demonstriert jedoch zugleich genau, was auch das massive Problem ist. Dabei blitzt in der Sperrigkeit der Dialoge manchmal mehr auf als das Flimmern des Fernsehers am Sonntagabend, mehr als Thiel und Boerne, während sich Leni und Robert ansehen, sich für das Gegenüber entwerfen. Bis ans Ende der Nacht bleibt dennoch ein Mund, der hinter der Scheibe zum Kuss ansetzt, um nur auf Glas zu treffen; ein Film, dessen Schichten Verstecke bieten, bei deren Erkundung sich die wahren Tränen offenbaren.

Der Film steht bis 05.05.2025 in der Arte-Mediathek.

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