Bessere Zeiten – Kritik

Frei von emotionaler Effekthascherei erzählt die schwedische Regisseurin Pernilla August in ihrem Debüt vom Aufbrechen der Wunden verdrängter Kindheitserlebnisse.

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Leena (Noomi Rapace) und ihr Mann Johan (Ola Rapace) werden am frühen Morgen von ihren zwei Kindern im Bett überrascht. Es ist Leenas Geburtstag, und die Mädchen wollen Frühstück für ihre Mutter machen. Die Kinder kommen mit zu den Eltern ins Bett und werden von Vater und Mutter in den Arm genommen. Es ist eine Szene von perfekter familiärer Harmonie, mit der die schwedische Regisseurin Pernilla August ihr Debüt Bessere Zeiten beginnen lässt, eine Szene, wie es sie den restlichen Film über nicht mehr geben wird.

Das Familienglück wird jäh unterbrochen, als das Telefon klingelt. Es ist Leenas Mutter Aili (Outi Mäenpäa). Sie bittet ihre Tochter, sie ein letztes Mal im Krankenhaus zu besuchen, denn sie werde bald sterben. Leena will den Anruf ignorieren, doch Johan und die Kinder, die bisher nicht wussten, dass Aili noch am Leben ist, bestehen darauf, zu ihr zu fahren. Leena wird dadurch endgültig von den Schatten ihrer Vergangenheit eingeholt, wie auch die Optik des Filmes deutlich macht. Das leuchtende Weiß der Bettlaken und die strahlende Morgensonne, die das Licht der Eingangsszene bestimmte, werden von dunklen Farbtönen abgelöst, die von nun an dominieren.

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Die Erzählung springt zwischen zwei Zeitebenen hin und her, denn mit der Reise ins Krankenhaus beginnt auch die Reise in Leenas Kindheit. In Rückblenden ist ihr Leben als junges Mädchen mit ihrer Mutter Aili, ihrem Vater Kimmo (Ville Virtanen) und ihrem Bruder Sakari (Junior Blad) zu sehen. Die Familie ist aus Finnland nach Schweden gezogen, um endlich ein besseres Leben führen zu können. Doch auch nach dem Neuanfang können die Eltern nicht Fuß fassen, und aus den erhofften besseren Zeiten wird nichts. Zunehmend geben sich Aili und Kimmo dem Alkohol hin. Das Wohl ihrer Kinder verlieren sie dabei komplett aus den Augen.

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Der unglücklichen Kindheit wird besonders durch das überzeugende Schauspiel von Tehilla Blad Ausdruck verliehen, die als jugendliche Leena eine starke Vorstellung gibt – stark auch im wörtlichen Sinne. Die junge Leena bereitet den ersten Schultag ihres kleinen Bruders vor, während die Eltern diesen aufgrund ihres Vollrausches verschlafen, oder versucht ihn abzulenken, wenn der Vater die Mutter mal wieder schlägt. Mit Ausnahme des Schwimmbades, in dem es Leena gelingt, ihr Leid und die daraus resultierende Wut in sportliche Erfolge zu kanalisieren, gibt es für sie kein „Außerhalb“ der dunklen elterlichen Wohnung. Der Wandel von einer sauberen erstbezogenen Wohnung zur dreckigen Müllhalde, aus der sämtliches Tageslicht ausgesperrt wird, verleiht der zeitgleichen emotionalen Verwahrlosung der Familie plastisch Ausdruck.

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Der Erzählstrang in der Gegenwart, in dem die erwachsene Leena mit ihrer sterbenden Mutter konfrontiert wird, ist weitgehend von der tragischen Atmosphäre der Rückblenden geprägt. Dies verdankt sich nicht zuletzt dem Kniff des Drehbuchs, dass Elemente aus der Darstellung von Leenas Kindheit wie kurze Sätze oder Handlungen fast genauso von den Figuren in der Gegenwart beiläufig übernommen werden. Diese Strukturparallelen des Geschehens auf beiden Zeitebenen, die sich vor dem Hintergrund, dass die Erinnerung an die Kindheit eine ähnliche Wahrnehmung der Gegenwart hervorruft, nachvollziehen lassen, verdeutlichen wiederum die Perspektive, die dem Zuschauer auferlegt wird. Es ist ausschließlich Leenas, es gibt keine Szene ohne sie.

Bemerkenswert ist besonders die Zurückhaltung, mit der August bei der Inszenierung der familiären Tragödie vorgeht. Jeder Moment dient dem Voranbringen der Gesamtgeschichte, es gibt keine unnötigen oder auf pure emotionale Effekthascherei ausgelegten Längen. Diese Vorgehensweise zeigt sich folgerichtig ebenso bei der sehr bedacht eingesetzten Musik. Auch bei der Figurenzeichnung achtet die schwedische Regisseurin auf Ausgewogenheit. Aili und Kimmo werden nicht einfach als Unmenschen überzeichnet, es gibt auch Momente, in denen sie zumindest versuchen, für ihre Kinder da zu sein. In den anderen Szenen, das vermitteln die Darsteller plausibel, ist es nicht Bösartigkeit, die sie zu ihrem Verhalten sich selbst und den Kindern gegenüber veranlasst, sondern die schiere Selbstaufgabe angesichts der Ohnmacht, ihr eigenes Leben zu regeln.

Mit der ruhigen, in ihrer Intensität langsam steigernden Erzählweise hat August den richtigen Ton für den Inhalt ihrer Erzählung gefunden, in der Leena ihre Kindheitserinnerungen ursprünglich vollends verdrängt und zunehmend davon überwältigt wird. Somit gelingt der Debütantin ein kleines, angemessen unspektakuläres und dennoch eindringliches Feel-Bad-Movie. 

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