Aus der Tiefe des Raumes – Kritik
Hans Günter bastelt mehr an seinem Kicker als in der Autowerkstatt. Doch gerade, als er sich für die Westdeutschen Tippkickmeisterschaften qualifiziert und in der adretten Fotografin Marion die Liebe seines Lebens findet, geschieht ein folgenschweres Wunder: der Kicker mutiert zum Leben und schickt sich an, als Günter Netzer Fußballgeschichte zu schreiben. Dieser irren Idee hat Regisseur Gil Mehmert in seinem Kinodebüt nicht viel hinzuzufügen, so dass Aus der Tiefe des Raumes am Ende enttäuschen muss.

Jeder zivilisierte Mitteleuropäer kennt die Geschichte vom Günter mit der 10, dem Spielmacher schlechthin, so wie es nur einen Libero und einen Bomber der Nation gibt, der sich gegen den Willen seines - ob des anstehenden Wechsels zu den königlichen Madrilenen beleidigten - Trainers gegen Köln selbst einwechselt und das Tor zum Pokalsieg erzielt. Noch heute gelingt es dem stets gleich frisierten Sportwagenliebhaber bei Länderspielberichten davon zu sprechen, wie athletischer der heutige Fußball sei und wie überlegen ihm damals Overath in der Nationalmannschaft war, um trotzdem, mit Hilfe des schelmisch grinsenden aber letztlich ehrfürchtigen Delling am Ende doch wie der größte Spielmacher aller Zeiten zu wirken. Wenn von Bundesligarechten die Rede ist, scheint es, als jongliere der ewig junge und ewig erfolgreiche sie beinahe allein durch den Ozean der Millionen. Ja, er ist tatsächlich das was man eine lebende Legende nennt, ein Mythos gar. Einen Film über diesen Fußballmythos zu drehen, ohne autobiographisch zu werden und zusätzlich auch noch beinahe gänzlich auf Fußballszenen zu verzichten, ist eine beinahe geniale Idee.

Theaterregisseur Gil Mehmert trieb sie voran und schließlich ins Groteske: Netzer, der wurde nicht erzeugt und geboren, sondern entstand in einem photochemischen Prozess aus einer Tippkickfigur. Das ist ungefähr so abgedreht wie die Ideen des künstlerischen Konglomerats um Charlie Kaufman und Spike Jonze. Denen war es aber nur gelungen, gleichnamigen Schauspieler für Jonzes Erstlingswerk Being John Malkovich (1999) zu verpflichten, als sie ihm zusicherten, alles zu verfremden und wirklich irrsinnige Ideen aneinanderzureihen.
Dies traut sich Mehmert in seinem ersten Langfilm leider nicht. Seine Inszenierungstechnik kann man gutwillig noch banal und einfallslos nennen. Aber auch die Geschichte findet mit ihren wenigen herausstechenden Dialogen nicht richtig zum Rhythmus. Am ehesten liegt Mehmert die Arbeit mit den Darstellern: Arndt Schwering-Sohnrey als tippkickender KFZ-Mechaniker, Mira Bartuschek als bieder-schüchterne Fotografin der Rheinischen Post und Eckhard Preuß als immer lebendiger werdende Tippkickfigur, irgendwie beider gemeinsames Kind, bilden ein ganz besonderes Trio Infernale, das hervorragend interagiert. Die Figuren versprühen einen amüsanten Mief der niederrheinischen Mittsechziger Jahre. Für den Film beinahe ungewöhnlich ambivalent ist auch die liebevoll charakterisierte und nuanciert gespielte Figur des Trainers einer niederrheinischen Bezirksauswahl (Christoph Maria Herbst).

Der heimliche Star des Films bleibt jedoch des Trainers liebstes Kind Hans Hubert (Rolf Krieg). Dessen Gespräch mit dem Kicker, der sich selbst nach seinem vermeintlichen Vater Hans Günter nennt, um beider Umbenennung in Günter und Berti, stellt die herausragende Szene des Films dar. Hier gelingt es einmal, die historischen Fakten um Netzer und den Gladbacher Fohlenfußball der Siebziger Jahre pointiert zu nutzen und phantasievoll in eine noch entferntere Vergangenheit weiterzuspinnen.
Ähnliches geschieht allerdings nur selten in Aus der Tiefe des Raumes, so dass der Film am Ende enttäuschen muss. Dies ist nicht nur wegen seines originellen Ansatzes bedauerlich, sondern auch wegen der im Grunde genommen hingebungsvoll erzählten Liebesgeschichte. Deren tragisches Ende berührt jedoch nicht mehr, denn so wie die Nummer 10 immer Hans Günter und Marion in die Quere kommt, so stören sich auch die fiktive Vorgeschichte Netzers und die Liebelei in der Provinz gegenseitig.
Doch wie das so ist: auch dieser Film wird den Mythos eher beflügeln, als ihm zu schaden. Und das ist offensichtlich genauso im Sinne des Regisseurs wie im Sinne des ewigen Jünter.
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