Atomkraft Forever – Kritik
VoD: Atomkraft als technischer Fiebertraum. Zwischen vermeintlich strahlender Vergangenheit und finsterer Zukunft liegt in Carsten Raus Dokumentarfilm Atomkraft Forever ein Stück instabile Gegenwart.

Bis 2022 sollen alle deutschen Atomkraftwerke vom Netz genommen und abgebaut werden, das weiß man inzwischen. Was man nicht zwingend weiß: wie das konkret vonstatten geht, wie das aussieht und was das bedeuten kann. Als erstes richtet Carsten Raus Dokumentarfilm Atomkraft Forever seinen Blick deshalb nach Greifswald in Mecklenburg-Vorpommern. Hier mussten wiederum sogar eigene Gebäude errichtet werden, um jeden Partikel verstrahltes Baumaterial genaustens zu prüfen und in eigene Kisten zu verstauen. Kasten für Kasten wird das AKW hier also seit 1995 und bis mindestens noch 2028 abgetragen. Das Ziel formuliert der Leiter des Abbaus: Eine grüne Fläche soll hier wieder entstehen, nichts soll nach dem aussehen, was hier jetzt noch steht. Und doch ist das langsame Ende der Atomkraft in Deutschland erst der Beginn des Films, verortet Atomkraft Forever hier erst den Anfang einer Gegenwartsdebatte.
Forever! Forever? Forever ever?

Aufbau für den Abbau, das Ende als Anfang: Solche Widersprüche durchziehen Atomkraft Forever bei seinem Vorhaben, und sie sind es, die das Thema der Atomkraft hier so weitreichend greifbar werden lassen. Geschichte und Zukunft der Kernspaltung stehen nach wie vor im Verhältnis einer Dialektik von Utopie und Dystopie. Auf der einen Seite noch immer das Versprechen von effizienter und vermeintlich sauberer Energie, und auf der anderen Hiroshima, Tschernobyl, Fukushima. Atomkraft Forever ist denn auch kein Film, der Fürsprache und Faszination um das Thema unterdrücken würde, vielmehr mitdenken muss, um sein Sujet zu verstehen.
Raus Film richtet seinen Blick etwa in die Vergangenheit Deutschlands, um die Anziehungskraft von Kernkraft für ein Nachkriegsdeutschland nachzuvollziehen. Für die DDR ist da eben das Greifswalder AKW, das vom Ost-Fernsehen als die „Sonne in Menschenhand“ gepriesen wurde, und eine Mitarbeiterin erzählt, dass so etwas vor allem für die Braunkohlearbeiter wie ein sauberes und effizientes Technikwunder ausgesehen haben muss, ja dass sie jene Technik immer noch verwundert. Für die BRD hingegen steht das kleine bayrische Dorf Gundremmingen, das im Zeitalter des sogenannten Wirtschaftswunders der Energie-Unternehmung vor allem aufgrund neuer Arbeitsplätze zugestimmt hat und inzwischen nostalgisch an den Rauch aus dem inzwischen stillgelegten Kühlturm zurückdenkt.

Wenn Raus Film jedoch auch irgendwann die „Bundesgesellschaft für Endlagerung“ besucht, blickt die Zukunft finster zurück. Neben der Auseinandersetzung mit kritischen Bürgerinitiativen, ist das BGE mit der Suche nach einem geeigneten Lagerort betreut. Hier betreiben Geologen Rechnungen für die nächste Million von Jahren, müssen Gletscherbewegungen vorhergesehen werden, muss ein Ort gefunden werden, der über etwa zehn Eiszeiten hinweg sicher ist. Atomkraft Forever – das ist hier stets als Ausdruck technischen Begehrens und akkurater Zukunftsbeschreibung zugleich zu verstehen.
Dirty Dialektik

Zwischen dieser strahlenden Vergangenheit und den finsteren Zukunftaussichten beschreibt Atomkraft Forever eine instabile Gegenwart. Der Lauf der Geschichte ist hier keiner des linearen Fortschritts, keiner des Immer-besser-Werdens, sondern selbst ganz dialektisch. Am besten lässt sich das im Diskurs um Verschmutzung und Kontamination der Energie nachvollziehen: Beim Abbau des AKWs in Greifswald sind durch marode Bausubstanz ganze Gebäudeblöcke kontamininiert worden, strengste Sicherheits- und Hygienevorschriften verlangsamen den Abbau zusätzlich. Bei jedem Aufbohren von Beton könnten radioaktive Staubpartikel eingeatmet werden. Und so machen in Atomkraft Forever vor allem die Helme, Brillen, Masken, Anzüge, Hygienekammern und Scangeräte die allgegenwärtige Kontaminationsgefahr der Atomenergie für die Umwelt sichtbar.
Es ist dann aber das gleiche Bewusstsein für die Verschmutzung durch Energietechniken, das mit Bezug auf die Klimakatastrophe und die immer lauter werdende Kritik an Kohlekraftwerken und CO2-Emissionen wieder für ein Revival von Atomkraft sorgt. In Frankreich bildet sich da etwa auf Konferenzen für junge Nuklearphysiker eine neue hippe Doktorenschicht, die die Faszination für die Technik aus der Vergangenheit wieder mit einem Kampf für die Atomenergie in der Zukunft verbindet. Und selbst diese Millenials können nicht anders, als sich das Ganze immer wieder vorzustellen: diese heißen Brennstäbe, das kochende Wasser, der Dampf, die rotierenden Turbinen, diese endlose Bewegung – die Atomkraft als Fiebertraum.
Strahlende Erhabenheit

Kaum lässt Rau Bewegungen also ohne ihre Konterparts stehen, und auch in der filmischen Ästhetik streben zwei Tendenzen gegeneinander. Wenn die Kamera über die Kraftwerke fliegt, an riesigen Kühltürmen hinauf- oder in Kernreaktorschächte hinabblickt, entsteht in Atomkraft Forever tatsächlich so etwas wie ein Gefühl der Erhabenheit. Gleichzeitig eine Art Respekt vor der visuellen Mächtigkeit, die von solchen Apparaturen ausgeht. Ohnehin scheint eine Menge Zeit in die Bildgewalt des Films, und dort vor allem in das Herausarbeiten der Farben hineingeflossen zu sein. Gelbe Tonnen, rote Warnfarben, giftgrüne Markierungen, königsblaue Container strahlen wie die vom Film besuchten Orte, drücken eine Aura aus, die auch bei der Besichtigung eines ehemaligen AKWs beschrieben wird. Da erwähnt jemand die starke Wärme, die von längst abgeschalteten Reaktoren ausgeht oder wird gewarnt, jetzt eher nicht mehr ein paar Meter näher heranzugehen. In solchen Momenten ist die Technik dann doch weniger attraktiv als gefährlich – aber selbst dann findet sich hier immer noch ein Rest filmästhetischer Faszination, dem sich Atomkraft Forever zum Glück nicht einfach so entziehen kann.
Der Film steht bis 12.08.2022 in der ARD-Mediathek.
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