Athos – Kritik
Peter Bardehle und Andreas Martin erkunden die Autonome Mönchsrepublik Athos im Osten Griechenlands. Und finden ein erstaunlich profanes Refugium für Männer mit langen Bärten vor.

Athos, so heißt es auf der Website des gleichnamigen Dokumentarfilms, ist eines „der letzten Geheimnisse Europas“. Die autonome Mönchsrepublik im heutigen Griechenland ist eine christlich-orthodoxe Heterotopie. Die abgeschiedene Halbinsel in der Ägais – auch der Heilige Berg genannt – ist etwa so groß wie der Gazastreifen. Über 2000 Mönche leben hier, verteilt auf verschiedene Klöster und Dörfer, Skiten genannt. Das Staatsoberhaupt der Republik ist zwar Alexis Tsipras, doch in vielen Bereichen hat die Gemeinschaft der Mönche einen de facto selbstverwalteten Status – ein administratives Unikat in der Europäischen Union. Ebenso einzigartig sind auch die Regeln, denen das Leben auf Athos unterworfen ist: Anhand von Interviews mit drei Mönchen nähern sich Peter Bardehle und Andreas Martin in ihrem Film den Rhythmen des mönchischen Lebens an und versuchen der Gottesverehrung der Männer eine filmische Form zu verleihen. Das äußert sich vor allem in meditativen, geruhsamen Bildern, die sich betont arm an visuellen Reizen geben.
Schnaps in der Mittagspause

Dabei sind die allesamt langhaarigen athischen Mönche durchaus ansehnlich. Die Weihen höherer Geistigkeit und innerer Einkehr führen offenbar mitnichten dazu, dass die äußere Erscheinung in Vernachlässigung gerät: Ein Zopf ist schöner und dichter als der andere, prachtvoll bauschen sich die Bärte über den Kutten. Der allmorgendliche Blick in den Spiegel gehört wohl auch im Mönchtum dazu und ist mit einem gottgefälligen Leben ohne Weiteres vereinbar. Die christlich-laxe Einstellung zur Verbildlichung Gottes und zur Bildlichkeit überhaupt schlägt in der visuellen Opulenz der Mönche voll durch, gerade im Vergleich zum kärglichen Interieur der Behausungen. Als wäre Athos ein Gegenstück zu buddhistischen Klöstern: Dort sind – so jedenfalls die europäische Imagination – zwar die Tempel voller Tand, die Mönche aber stets geschoren und im Habitus betont frugal. Auf Athos dagegen gehören Wein und der ein oder andere Schnaps schon in der Mittagspause zum guten Ton und darf auch sonst nach Herzenslust geschlemmt werden, was sich am Bauchumfang einiger Mönche durchaus bemerkbar macht.
Männliche Vereinzelungsfantasien

Der Zugang zur Mönchsrepublik ist dabei klar geregelt: Frauen haben keinen Zutritt zur Halbinsel, auch nicht als Pilgerinnen. Und zwar nicht aus Misogynie, sondern – diese Begründung ist schon ein starkes Stück – aus angeblicher Liebe zu den Frauen, deren Reize die Mönche nur von Gott ablenken würden. Außerdem seien, deutet ein Padre an, ja alle Frauen bereits durch Maria, die Mutter Gottes, auf Athos präsent. Darüber hinaus gehende weibliche Einflüsse brächten die Ruhe und Spiritualität der Mönche aber nur aus dem Takt. Der Wahn männlicher Vereinzelungsfantasien lässt sich in Athos gut beobachten: Ein besinnliches Leben, das ist offenbar gleichbedeutend mit einem Leben ohne Frauen. Dass die Mönche allerdings auch Grundstücke außerhalb ihrer Republik beanspruchen und Frauen von dort fernhalten – also de facto eine Art Siedlungspolitik betreiben –, kommt im Film nicht zur Sprache. Zuletzt 2008 stürmten einige Frauen den Heiligen Berg und wurden verhaftet. Die EU hatte 1981 das sogenannte Ávaton, das Frauenverbot auf Athos, akzeptiert. Wer hätte gedacht, dass es innerhalb des Schengenraums ein Gebiet gibt, in dem Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts in Polizeigewahrsam genommen werden können?
Charme eines Männerurlaubs

Aber zurück zum Film: Abseits bruchstückhafter Porträts einzelner Mönche unternimmt Athos wenig, um zu vermitteln, was es wirklich heißt, auf der Halbinsel zu leben. Gerade die Alltäglichkeit und ihre Probleme werden nicht thematisiert, stattdessen wird etwas zwanghaft der – in jahrelanger Arbeit erlangten – Spiritualität der Mönche nachgespürt. Aber ein Sinn dafür entsteht nicht, auch nicht in den behäbigen Interviews. Spätestens wenn die beiden Regisseure beim Zuprosten mit den Mönchen im Bild sind, bekommt der Films stattdessen den unweigerlichen Charme eines Männerurlaubs. Das ist schade, denn zur Eigenart des Lebens auf Athos und zur erzkonservativen Historie des Klosters gäbe es bestimmt einiges zu sagen und zu zeigen. Genau wie zu der Tatsache, dass die richtige Art und Weise des klösterlichen Lebens durchaus Gegenstand von Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Schulen war und ist. Doch hier erstarrt Athos in einer etwas zu wohlmeinenden Ehrfurcht und begnügt sich damit, die religiösen Rituale lediglich abzufilmen. So bleibt das Gefühl zurück, nur einen Blick von außen, den Blick eines Touristen, bekommen zu haben.
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Kommentare
Jürgen Caspari
In Österreich schon gesehen! Ein wunderbar ruhiger, tiefer Film.
Wusste vorher nicht mal, dass es so etwas bei uns in Europa gibt!
Muss jetzt nicht unbedingt Mönch werden, aber mal dort hinpilgern?
Warum nicht?
Die Besinnlichkeit des Films lockt mich irgendwie.
1 Kommentar