Antikörper – Kritik

„Wichsende Wichser wichsen wichsend in vollgewichste Wichstücher“. Man munkelt, so oder ähnlich habe Heinz Hoenig für diesen deutschen Thriller, der zumindest in Sachen Vulgärsprache amerikanischen Vorbildern in nichts nachsteht, vorsprechen müssen.

Antikörper

Zunächst einmal muss Christian Alvart ein Kompliment ausgesprochen werden. Bereits 1998 hatte er zum Teil mit eigenen Mitteln seinen Low-Budget-Erstlingsfilm Curiosity and the Cat realisiert, auf diversen Filmfestivals und später sogar in Videotheken platzieren können. Auch bei Antikörper zeichnet er als Koproduzent verantwortlich und hat im Vorfeld Beachtliches vollbracht: Mit André Hennicke konnte er den derzeit wohl faszinierendsten und erstaunlichsten deutschen Schauspieler für das Projekt gewinnen. Nach einer differenzierten Darstellung in Christian Petzolds Toter Mann (2002), einer Extremperformance in Oskar Roehlers Der alte Affe Angst (2003) und einer subtilen Meisterleistung als Rudolf Hess in Heinrich Breloers Dokuspiel Speer und Er (2005) entblößt Hennicke nun Körper und Gesicht, um der Kamera wie bereits in Sophie Scholl (2004) eine dämonische Fratze des Hasses zu bieten.

Auch in der Stoffwahl beweist Alvart ein sicheres Gespür: das Serien- und vor allem Kindermördergenre blickt in Deutschland wie kein zweites auf eine lange und beachtliche Tradition zurück. Klassiker wie M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931), Es geschah am helllichten Tag (1958) oder Der Totmacher (1995) haben hier Standards gesetzt. Selbst mit einem ästhetisch aufgeblasenen Luftloch wie Tatoo (2002) konnte sich der deutsche Regisseur Robert Schwentke für Hollywood empfehlen. Alvart verzichtet dankenswerter Weise auf frisierte Bilder ohne Wert und nimmt sich Zeit, um seine Geschichte zu entwickeln.

Dürrenmatt nannte sein Drehbuch zu Es geschah am helllichten Tag und dessen filmische Realisierung eine Geschichte über die schweizer-deutschen Wälder. Unvergesslich, mit welchem Schattenspiel die Kameramänner Ernst Bolliger und Heinrich Gärtner die ländliche Idylle langsam auf schwarz-weißem Zelluloid zu ihrem eigenen Zerrbild verkehrten. Bei Alvart nun tummeln sich in sonnendurchfluteten Wäldern, auf den Feldern und Lichtungen, Rehkitze in sattesten Farben. Die Innenräume des Dorfes hingegen sind verhängt und zumeist bis zur Unkenntlichkeit dunkel. Als wahre Schattenseite der überzeichneten Peripherie fungiert allerdings die Großstadt. Deren Ästhetisierung als Moloch mit düsterer Farbgebung und prasselndem Regen stand der moderne, genrebestimmende amerikanische Klassiker Sieben (Se7en, 1995) Pate.

Prostituierte empfangen Anreisende schon am Bahnhof Zoo, Kommissar Seiler (Heinz Hoenig) empfiehlt vor allem einen Puffbesuch und in einem ebensolchen Etablissement trifft er sich mit dem Dorfpolizisten Martens (Wotan Wilke Möhring). Die beiden agieren, auch dies ist Se7en entlehnt, als ungleiches Ermittlerpaar im Duell mit dem Serienkiller (Hennicke). Zwar sind die Vorzeichen verkehrt, der junge Martens ist religiös und der ältere Seiler aufbrausend, doch am Ende läuft es auch hier auf eine Falle, die dem jungen Ermittler gestellt und eine Versuchung, die ihm vom Killer bereitet wird, hinaus.

Antikörper

Sowenig sich Antikörper also auf seine deutschen Wurzeln besinnt, so hemmungslos zitiert er beinahe jedes amerikanische Vorbild und verweist im eigenen Dialog noch auf Das Schweigen der Lämmer (The Silence of the Lambs, 1991). Vielleicht ist dies als Rechtfertigung zu verstehen, lindert jedoch nicht das Missbehagen beim Betrachten des Verhör-Plagiats.

Die phrasenhaften Dialoge rauben den Darstellern beinahe jegliche Manövriermöglichkeit, so dass selbst ein erstklassiger Mime wie Hoenig im Sumpf der Tiraden seiner Figur versinkt. Die jagt einen Mörder, der sich an Jungen und sich selbst befriedigt, wofür es immer nur den einen Begriff „Wichser“ gibt. Des Täters Weltsicht selbst bricht sich Mal für Mal im Wortstamm „ficken“ Bahn. Es ist bezeichnend, dass die effektivste Schauspielerleistung von Jürgen Schornagel stammt, dessen Figur mürrisch und schweigsam gezeichnet ist.

Das Hauptproblem von Antikörper jedoch ist dessen dramaturgische Unentschlossenheit. Früh, noch im ersten Drittel, setzt der Dialog einen deutlichen Hinweis auf den Mörder und konzentriert sich fortan auf das Drama des Polizisten und Vaters, dramatisiert durch die Auseinandersetzung mit dem Gefangenen Gabriel Engel, der, Nomen est Omen, Inkarnation des Bösen. Für einen Whodunnit präsentiert der Film ohnehin zu wenige potentielle Täter und Finten. Dennoch schlägt der vermeintliche Psychothriller letzten Endes diesen Weg ein und gibt damit sowohl die Handlungslogik als auch die Glaubwürdigkeit der Figuren auf. Beinahe manisch wird aus der Serienkiller-Psychologie zitiert und Engel ein Profil als verstörter Homo- und Pädophiler erstellt. Völlig unmotiviert mutiert er vom sexuellen Täter zum intellektuellen Mastermind. So gerieren die Macher eine Wendung, die sich in einer der skurrilsten Szenen seit langem auflöst.

Nach knapp zwei Stunden voller religiöser Anspielungen und Verweise findet sich der Held in bester John Woo Tradition bei Morgengrauen in einer Kirche wieder und von nun an schwebt eine Bibelpassage als unheilvoller Off-Kommentar über dem Geschehen. Am Ende verdichten sich die stilistischen Unausgewogenheiten des Films zu einem Inferno und Antikörper erlebt, nicht religiös, aber doch künstlerisch, seine Apokalypse.

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Kommentare


oliver

oh weia, nicht so viel nachdenken sascha, der film ist einer der besten in dieser sparte, was aus deutschen lande seit laaangem gekommen ist. so einfach kann kritik sein.


berniebácsi

Der Film ist sehr kurzweilig, bleibt volle 2 Stunden spannend, aber driftet am Ende leider ins Unglaubwürdige ab. Die versauten Worte in den Dialogen sollen kernige Charaktere zeichen aber man kann damit auch übertreiben. Alles in allem dennoch ein sehr gut besetzter und interessanter Film. Würde mich auf den Nachfolgefilm, in dem aus dem Ersten gelernt wurde, sehr freuen.






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