Die Epoche des Menschen – Kritik
Spektakuläre Aufnahmen eines neuen Erdzeitalters: In der Dokumentation Die Epoche des Menschen stehen die bombatischen Bilder manchmal im Widerspruch zur belehrenden Botschaft. Und manchmal gehen sie tiefer als alles, was erzählt wird.

So als sei er selbst keiner, redet der Erzähler von „den Menschen“, die durch ihre Aktivitäten das System Erde mittlerweile derart bestimmten, dass ein neues Erdzeitalter angebrochen sei: das Anthropozän. Für die deutsche Fassung von Die Epoche des Menschen konnte als Narrator der als TV-Darsteller und Umweltschützer bekannte Hannes Jaenicke gewonnen werden, der in prononciertestem Schauspieler-Deutsch dem Zuschauer in Sätzen wie dem folgenden die Welt erklärt: „Die Wälder der Erde beheimaten 80 Prozent der terrestrischen Artenvielfalt und absorbieren jährlich 30 Prozent der anthropogenen CO2-Emissionen.“ Dazu sieht man in atemberaubenden Panoramen die unvorstellbaren Ausmaße der Entholzung der Wälder durch den Menschen, und man muss sich unwillkürlich eingestehen: So schön kann der Raubbau an der Natur aussehen!
Man will zeigen, was man kann

Den ganzen Film über stehen Kommentar, Zwischentitel und Inserts im Widerspruch zu den Bildern, denen sie vergeblich versuchen, eine Bedeutung und Struktur aufzuzwingen. Die Message lautet, der Mensch macht die Erde kaputt, während einem staunend die Pracht funkensprühender Hochöfen, farbenfroher Silicium-Becken und magisch gleißender Marmorbrüche vor Augen geführt wird. Für diese Bilder reiste das Filmemachertrio – Die Epoche des Menschen ist die dritte Zusammenarbeit von Jennifer Baichwal, Nicholas de Pencier und Erward Burtynsky – in 20 verschiedene Länder auf sechs Kontinenten. Für ihre Aufnahmen scheuten sie keine Kosten und Mühen, nutzten die neuesten Techniken, filmten mit Drohnen und von Helikoptern, verwendeten Zeitlupe und Zeitraffer, alles unterlegt mit einem sphärischen Soundtrack. Man will zeigen, was man kann, und nimmt dabei in Kauf, dass sich die so entstandenen Bilder selbstständig machen.
Eine pseudo-objektive Perspektive

Die Biotope der Erde sind aus dem Gleichgewicht gekommen und unzählige Spezies dem Aussterben nahe – etwa der Sumatratiger oder das Okapi oder der Weißwangenschopfgibbon, wie wir dank unterstützender Texteinblendungen erfahren. Verantwortlich für dieses sechste Massensterben der Erdgeschichte sind die Menschen und Hannes Jaenicke präzisiert für uns: „Die Aussterberaten sind 10.000 Mal höher als die durch die Natur verursachten.“ Aber was ist hier eigentlich mit „Natur“ gemeint? Zählt der Mensch nicht zur Natur? In Die Epoche des Menschen wird immer wieder suggeriert, es ließen sich Dinge einfach auseinanderhalten, deren Verhältnis in Wirklichkeit viel verwickelter ist: das zwischen Mensch und Natur, zwischen Wissenschaft und Politik, zwischen Film und Gefilmtem. Diese pseudo-objektive Perspektive unterläuft sich allerdings regelmäßig selbst. Etwa wenn es aus dem Off heißt, dass durch exzessive Landwirtschaft die „Grenzwerte für Stickstoff, Phosphate und Kalisalze“ in den Böden überschritten wurden, ganz so, als gäbe es unabhängig von menschlichen Interessen etwas wie Grenzwerte, die ein der Natur inhärentes Gleichgewicht ausdrückten.
Die Rückbindung aufs Wesentliche

Was wir sehen können, geht dabei tiefer als das, was uns erzählt wird: Neben den bombastischen Industriepanoramen gibt es nämlich auch die Aufnahmen von den Menschen, die dort arbeiten, deren Häuser dem Ressourcenabbau zum Opfer fallen, die sich wehren gegen die Zerstörung der Umwelt, und die Witze machen, wenn sie merken, dass sie gefilmt werden. Die Bilder leisten damit teilweise, was der Erzählung abgeht: die Vermittlung zwischen den großen Zusammenhängen und dem Leben der vom Klimawandel direkt Betroffenen. Dadurch geht eine Einsicht nicht ganz verloren, die bei diesem Thema oft verloren zu gehen droht: dass Maßstab und Zweck von Klimaschutz letztlich nur der Mensch sein kann. Ohne diese Rückbindung würden sowohl das Schwelgen der Bilder in artifiziellen Landschaften als auch das Schwelgen des Erzählers in großen Zahlen ins Leere laufen. Mit dieser Einschränkung aber bergen auch die spektakulären Aufnahmen menschlicher Großartefakte – die schließlich den Schauwert von Die Epoche des Menschen ausmachen – einen tieferen Sinn: Sie geben eine Ahnung davon, wie wunderschön eine Erde sein könnte, die mit ihrer Kreatur Mensch versöhnt ist, in der Kunst wieder zu Natur wird.
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