Ambulance – Kritik
Trümmer. Explosionen. Hände in Körpern. Organe. Geschwindigkeit. Michael Bays Ambulance feuert aus allen Rohren, steht nie still, weil schon das nächste Bild, der nächste Affekt, der nächste Hintergedanke nach vorne drängt.

Wenn das Bild schwarz wird, Namen von unten nach oben über die Leinwand laufen, der Komponist noch eine Coda liefert oder ein Lied uns aus dem Film geleitet, wenn also der Abspann läuft, dann wird uns ein Platz geboten, an dem das soeben Erlebte nachwirken kann. Auf dass wir nicht sofort wieder in den Alltag geworfen sind. Der Abspann von Ambulance unterminiert diesen Effekt, weil er das Energielevel hochhält. Eigentümlich dabei ist nicht etwa das nachdrückliche Trommeln auf der Tonspur, sondern die Geschwindigkeit, mit der sich die Texttafeln abwechseln. Wer nach Informationen sucht, hat keine Chance. Wer sonst gemütlich während des Abspanns aufbricht, wird hier im vollen Licht den Saal verlassen.
Keine Zeit zum Kontemplieren

Damit variiert Ambulance einen seiner zentralen Momente, in dem zwei seiner Protagonisten nach Ruhe suchen. Die Brüder Danny (Jake Gyllenhaal) und Will (Yahya Abdul-Mateen II) haben eine Bank ausgeraubt. Doch nicht nur wartete schon vor der Tür eine Spezialeinheit auf sie, auch eine normale Polizeistreife schaute zufällig vorbei. Nun sind sie in einem Krankenwagen auf der Flucht vor der Meute hinter ihnen, während ein Polizist mit Schusswunden hinten auf der Pritsche liegt und von der Sanitäterin Cam (Eiza González) mehr schlecht als recht versorgt wird. Und als kurz mal nicht alles auf Danny und Will einbricht, stecken sie sich Kopfhörer in die Ohren und singen lauthals bei Christopher Cross’ Sailing mit.

Wir hören dabei abwechselnd, was die beiden in den Ohren haben, also einen verklärend schönen Soundtrack zur Verfolgungsjagd, und ihren schiefen, unpassenden Gesang, den die ungläubige Cam mit anhören muss. Das Gewitter von Eindrücken, das Ambulance auf uns und seine Figuren loslässt, versuchen die beiden Flüchtigen hier in Resonanz zu versetzen und zu synchronisieren. Per Musik soll ein Tunnelblick erzeugt werden, der das Chaos aus Widersprüchen auf einen Nenner bringt. Mit der Musik fühlt sich der Moment kurz wie eine herkömmliche Actionfilmsequenz an. Aber Regisseur Michael Bay lässt den beiden nicht die Flucht aus ihrem überladenen Sein – und belässt seinen Film in einem Zustand von adrenalingetränkter Zerrüttung, so wie er mit dem Abspann keine Zeit zum Kontemplieren lässt.
Nicht enden wollender Impressionssturm

Danny und Will sind die Söhne eines psychopathischen Verbrechers. Danny versucht sein Erbe abzulegen, indem er weniger psychopathisch sein möchte. Aber unter Druck bricht es doch immer wieder aus ihm heraus. Will hingegen strebte einen kategorischeren Bruch an. Er ging zur Armee, ist inzwischen aber arbeitslos. Weshalb die dringend notwendige Krebs-OP seiner Frau nicht bezahlbar ist. So lässt er sich von Danny eher unwillig zum Bankraub überreden. Cam wiederum hat Bindungsängste und kapselt sich in kalter Professionalität ab. Auch um Tod und Leid, Wunden und Gedärm ihres Arbeitsalltags von sich fernzuhalten.

Aus dieser Grundkonstellation entfacht Ambulance nun einen nicht enden wollenden Impressionssturm. Die Rechnungen mit der dicken roten Mahnschrift auf Wills Couchtisch. Angestellte von Krankenhäusern und Versicherungen, die auflegen statt zu helfen. Im Gegensatz dazu das Luxusleben Dannys, der schimpft, wenn sein Kaschmir-Pullover dreckig wird. Einsatzleiter der Polizei, deren Pullover voller Hundehaar sind und die Einsätze vom Wohlbefinden ihres Vierbeiners abhängig machen. FBI-Agenten, die ohne Erklärung aus ihrer Eheberatung stürzen, um einen Fall zu lösen und Lorbeeren einzustreichen. Machos, die Sprüche klopfen und immer einen Tick lieber Abzüge betätigen als nachzudenken. Nostalgische Erinnerungen an kindliche Cowboyspiele. Risikobeladene Verhandlungen mit Begriffsstutzigen und blutrünstigen Verbrechern. Familien, die versuchen, füreinander da zu sein, aber nicht wissen, wie. Familie und Beziehungen, die ein Fluch sind. Eine Operation an der Milz mitten in der Verfolgungsjagd, während per Zoom zugeschaltete Ärzte Tipps geben. Autos, die ineinander crashen. Trümmer. Explosionen. Hände in Körpern. Organe. Geschwindigkeit.
Zweischneidiger Patriotismus

Nichts davon setzt Ambulance fest, lässt alles in knappen Sekunden durch den Film blitzen, in stylishen Zeitlupen und aufwendigen Kamerafahrten. Womit Bay wieder der Vorwurf gemacht werden kann, dass seine Actioninszenierung ohne Finesse einfach Bilder um sich wirft, die keinen Überblick bieten. Das Drama, das die Kämpfe vermitteln könnten, ist fast schon unkenntlich, da nur Rudimentäres wie Gesten und das große Ganze nachvollziehbar sind. Das entstehende Massaker beim Überfall sieht als Erzählung eines Heists entsprechend fürchterlich aus, und wenn Jake Gyllenhaal bei einer Schießerei wahllos aus dem Beifahrerfenster des Krankenwagens hängt, aus einer Seitentür desselben schießt oder aber ruhig dasitzt, dann wirkt der Schnitt maximal hilflos im Angesicht des Schnipselbombardements. Auf den gesamten Film bezogen ergibt das aber Sinn, weil nichts des Gezeigten widerspruchslos zusammenpasst. Ambulance erzählt nicht von klaren Verhältnissen, sondern von Lebensverhältnissen, die aufeinanderprallen und deren Konflikte nicht lösbar scheinen.

Und abermals weht dazu die US-amerikanische Flagge in einzelnen Bildern – oder sie hängt matt vom Mast. Ein zweischneidiger Patriotismus entsteht damit, der die Kehrseite zu Pain & Gain (2013) bereithält. Dort entwickelte Michael Bay seinen Stil zur irrwitzigen Dekonstruktion von Machismo und Dummheit weiter und schuf einen ätzenden Abgesang auf die Strahlkraft des amerikanischen Traums, der in einer Sackgasse gelandet schien. Hier geschieht nun Ähnliches, nur nicht in Form einer Satire, sondern als aufrichtiges Melodram. Die USA sind in Ambulance eben auch der Ort, wo Leute mit unterschiedlichen Hautfarben eine Familie sein können. Wo schwule FBI-Agenten und all-American Polizeimachos zusammenarbeiten. Die Vereinigten Staaten hören eben nicht bei den maroden gesellschaftlichen Zuständen auf, sondern könnten doch der Melting Pot sein, in dem nicht nur die Unterschiede zählen.
Actionpainting mit sicherer Hand

Tatsächlich ist Ambulance damit ein so aufrichtiger wie naiver Appell für mehr Zusammenhalt. Sich unterstützen, statt auf Differenzen zu pochen: Damit wäre schon ein erster Schritt getan. Ein Appell in Form eines avantgardistischen, aufgeblähten MTV-Videoclips, der aus allen Rohren Impressionen feuert, der nie stillsteht, weil schon das nächste Bild, der nächste Affekt, der nächste Hintergedanke nach vorne drängt. Aber dieses Actionpainting wird mit sicherer Hand zusammengeworfen, damit es einen Kern von Hoffnung im Angesicht einer aussichtslosen Situation transportiert – der Situation von Danny, Will und Cam, der Situation der USA.

Nur ist sich Bay der Größe des Bruchs zu bewusst, der seinen Film, die USA, die Welt durchzieht, weshalb Ambulance nicht auf einem sentimentalen Höhepunkt endet, in dem alles zur Ruhe gekommen ist, sondern mit einem Abspann, der abermals losprescht. Der divergente, undurchsichtige Wahnsinn ist mit dem Film eben nicht vorbei, auch wenn es in unserem Alltag etwas ruhiger scheinen mag.
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