Alle die Du bist – Kritik

Nadine sucht verzweifelt nach der Liebe für ihren Mann. Alle die Du bist erzählt einfühlsam von ihrem Kampf – und davon, was der Kohleausstieg für die ArbeiterInnen im Rheinland bedeutet.

Dort, wo die Liebe von Nadine und Paul erblüht, gibt es keine Blumenwiesen, keinen Meeresstrand und auch kein Dinner bei Kerzenschein. Ihre Liebe erwächst zwischen qualmenden Schornsteinen, wuchtigen Industriefahrzeugen und Motorenöl. Hier, in einer Werkstatt am Rande der rheinischen Kohlekraftwerke, geht es rustikal zu, sprachlich ebenso wie körperlich. Die Frauen verrichten dieselbe Knochenarbeit wie die Männer – und sie werden auch bei Schlägereien nicht geschont. Entsprechend kommen Nadine (Aenne Schwarz) und Paul (Carlo Ljubek) einander das erste Mal näher, als sie sich gegenseitig anschreien, schubsen und schließlich prügeln. Sie ist nicht unbedingt vorprogrammiert, diese Liebe zwischen ihr – der Neuen aus dem Osten, die bald die Anführerin im Team sein wird – und ihm, dem immer frotzelnden Frauenliebling. Und auch als sie irgendwann doch da ist, genau wie die gemeinsame Tochter, ist es keine Beziehung der vielen Worte oder zarten Gefühle. Es ist eher eine Liebe aus Fürsorge und gegenseitigem Stützen.

Und dann ist diese Liebe plötzlich weg. Nadine spürt sie nicht mehr. Also tut sie das, was sie am besten kann: kämpfen. Sie kämpft verzweifelt darum, die Gefühle für Paul wiederzufinden – diesen Mann, unter dessen oberflächlich wirkender, mitunter ruppiger Schutzschicht ein liebevoller Vater und aufopferungsvoller Ehepartner steckt. Sie fingiert eine Notsituation, um sich von ihm retten zu lassen. Sie macht ihm ein großes Geschenk, damit sie mehr Zeit miteinander verbringen. Doch die Frau, die selbst so wenig lächelt, erkennt das Lächeln ihres Mannes einfach nicht mehr: Sie schaut ihn an und sieht nur einen Fremden. Ihr Kampf ist sichtlich auch ein Kampf mit sich selbst – mit ihrem Genervtsein, ihrer Überreaktion, ihrem zunehmend erratischen Verhalten gegenüber Paul.

Unnötige Gimmicks

Regisseur Michael Fetter Nathansky arbeitet in seinem Langfilmdebüt Alle die Du bist mit zwei Gimmicks, die er gar nicht nötig hätte. Er besetzt die Rolle von Paul mit vier verschiedenen Personen und einem Tier – ein Verfremdungseffekt, der bis auf ein paar amüsante Irritationen nicht besonders viel erreicht. Und er markiert die achronologisch durcheinandergewürfelten Zeitabschnitte mit verschiedenen Bildformaten (Breitbild für das Jetzt, ein schmaleres Format für die Vergangenheit), als vertraue er seiner eigenen Fähigkeit zur Erzählungsführung nicht so recht. Diese Kunstgriffe passen nicht zu den Figuren und dem Milieu, das er so präzise zeichnet.

Es ist eine Welt, in der Flanellhemden und Blaumann-Overalls getragen werden, in der ruppige Umgangsformen herrschen, aber trotzdem eine unbedingte Solidarität unter den ArbeiterInnen spürbar ist. Im Vordergrund steht zwar die Geschichte eines Entliebungs-Prozesses, den Kameramann Jan Mayntz in traurigen Graublau-Bildern einfängt und dabei in den Gesichtsregungen von Nadine und Paul mit viel Geduld und Empathie nach den Spuren ihrer Liebe sucht. Doch nebenbei erzählt der Film auch, was der Kohleausstieg für die Menschen bedeutet, wenn sie über die Abfindungsofferte ihres Arbeitgebers diskutieren oder ein Bewerbungsgespräch nach dem anderen erfolglos absolvieren. Und ebenso nebenbei legen die Figuren immer wieder überraschende Geständnisse ab und begegnen einander dabei in all ihrer Verletzlichkeit.

Ein Lächeln aus der Vergangenheit

Im Finale bricht sich die vergangene Liebe von Nadine und Paul noch einmal mit aller Macht Bahn – erst in Worten und dann so, wie sie begonnen hat: im körperlichen Kampf mit- und füreinander. Wie schmerzhaft dieser Verlust ist, zeigt uns ein Epilog, in dem Nadine das einzige Mal so richtig strahlt, sich auf die Lippen beißen muss, um nicht zu platzen vor lauter Verliebtheit. Doch dieses Lächeln erscheint nicht im Breitbild, sondern im schmaleren Format der Vergangenheit.

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