Aggro Dr1ft – Kritik

Neu als VoD: Ein Film, der gehasst werden will: Harmony Korine versenkt sich in Aggro Dr1ft in den Bild- und Klangwelten von Gaming, Trap und Post-Internet-Kunst, voller Sexismen und Geschmacklosigkeiten. Aber er tut es mit einer Radikalität, die erstaunt.

Die grellen Thermalbilder von Aggro Dr1ft zu schauen und seinen wabernden Soundteppich zu hören, fühlt sich von der ersten Sekunde an extrem weird an. Als würde dir der Kopf mit neonfarbenem Schlamm vollgeschmiert. Oder: Als würdest du im Klärbecken des Internets baden müssen. Wenn es so was gäbe. Glitschig, toxisch, eklig, voller zäh fließender Bilder und Klänge. Oder nochmal anders: Als wärest du 80 Minuten lang in den Glitches aus A$AP Rockys stilprägenden Video zu Yamborghini High steckengeblieben. Alles zieht Schlieren, entgrenzt sich, suppt ineinander aus.

Digitalität denkt man ja meistens als abstrakte Welt von Codes und Algorithmen, quasi als das radikale Gegenfeld zum Sinnlichen und Körperlichen. Dagegen macht Harmony Korine mit Aggro Dr1ft, seiner selbst produzierten, digital veröffentlichten Kampfansage an „normale Filme“ (O-Ton) Digitalität zur Körpersache. Du spürst diesen Film, er rückt dir auf die Pelle. For better or worse.

Im Sumpf der Verweise

Aggro Dr1ft erzählt vom melancholischen Mörder BO (Jordi Mollà) und spielt in einer Art Twilight Zone, halb in Korines Lieblingslocation Florida (wo er schon die Vorgänger Beach Bum, 2019, und Spring Breakers, 2012, angesiedelt hat) und halb in der Welt des Gaming. „Gamecore“ nennt Korine sein Genre und liegt damit ziemlich richtig. Circa 20 Jahre Web-Culture durchziehen diesen Film, alle selbstreferenziellen Schleifen und kurzen Halbwertszeiten inklusive. Die aggressiven Farben und die matschigen Synthieflächen sind ganz und gar Vaporwave, was ja seines Zeichens damals die kurzzeitig hässlichste und coolste Selbstwiederkäuung des Internets war. Der formlos-flächige Soundtrack von AraabMuzik klingt auch wie die Genreklassiker von James Ferraro oder Macintosh Plus. Die Story, die zwischen Morden und Chillen zu Hause und im Stripclub episodisch hin und her wechselt, folgt dem seriellen Schema von Games. GTA Vice City und Hotline Miami wurden beim Schreiben bestimmt gezockt. Die gigantischen Dämonenfiguren, die BO heimsuchen, sehen aus wie aus den Cutscenes von Diablo 1. Ach, und eine größere Nebenrolle geht an Travis Scott, der mal als titanenhafter Polygonrapper ein Konzert im Shooter-Evergreen Fortnite gegeben hat.

Es ist eine Welt hypertoxischer Männlichkeit, die Welt von Gamergate und Fashwave, von Wojaks und Incels, in der Frauen in Endlosschleife lap-dancen und sonst nicht viel machen – und in der Gamertypen wie Hauptfigur BO mit fettigen Haaren und Sportbrillen gebrochene Helden sein dürfen, unbesiegbar, erbarmungslos brutal – und voller Liebe für die sich permament räkelnde Frau und die lachenden Kinder zu Hause. „I am a killer – and a husband. I am an assassin – and a father“, sinniert er im Voice-over.

Wer traut sich, diesen Film zu mögen?

Wenn sich das alles bisher abschreckend und unangenehm anhört, dann, weil es genau das ist. Aggro Dr1ft ist krass sexistisch, hässlich anzuschauen und anzuhören, stupide, repetitiv und überlang. Aber auch extrem konsequent. Und ganz und gar anders als 99% des aktuellen Filmemachens. Aggro Dr1ft ist eine Provokation, aber mit Ansage. Wie um sicherzugehen, nennt Korine seine eigens geschaffene Produktionsfirma – wo es neben dem Film auch Monstermasken und ein Video von Internetrapper Bladee und Yung Lean gibt – Edglrd, stilisiert für Edgelord: jemand, der immer und zu jeder Zeit provoziert. Aber es ist eine Selbst-Provokation im Schlingensief’schen Sinne, bei der Korine mal wieder (siehe Trash Humpers, 2009) das Wagnis eingeht, sein cinephiles Renommee über Bord zu werfen, um etwas für ihn Relevantes auszudrücken. Und zwar, dass man in der Webculture Erkenntnis nicht über kritische Distanz gewinnen kann, weil die eh sofort wieder als Meme geschluckt würde. Stattdessen wählt er totale Versenkung in die digitalen Bild- und Soundwelten. Hyperaffirmation statt Reflexion. Irgendwann fällt mal der Satz: „It is a game of truth and dare, but no one chooses truth.“ Im Post-truth-Zeitalter zählt nur noch, die anderen aus der Reserve zu locken. Man könnte auch sagen, dass Korine seinem Publikum ein großes „I dare you!“ entgegenschleudert.

So erlebt, wird Aggro Dr1ft zu einer der vielleicht politisch eindrücklichsten Analysen jener erbarmungslos in sich selbst verbissenen Männlichkeit, die das Digitale hervorgebracht hat. Ein Blick auf ihre depressiven Schleifen aus Zweifel und Wut, Verletzlichkeit und Brutalität, Einsamkeit und Verbrüderung. In einem Moment halten Gangs in x-tausendfach gesehener Manier ihre Knarren in die Kamera, doch dann murmelt Travis Scott lakonisch: „Friends are like closer enemies, nowadays.“ Eine Welt des Battle Royal, in der es nur noch Grade von Feindschaft gibt. Last man standing. Eine Welt, in der die Hauptfigur in einer extrem expliziten Szene den eben erschlagenen Endgegner mit einem kleinen Messer den Kopf absäbelt (diese Bildwelten schöpfen auch aus jenem Internet, in dem grausame Hinrichtungsvideos des Islamischen Staats oder mexikanischer Kartelle viral gehen) und kurz darauf ein Hohelied auf die Liebe anstimmt. In einem Moment der Selbsterkenntnis sagt er: „I am a hero. I am a solitary hero. I am a loner.“ Es ist ein Abgleiten vom Helden zum Eigenbrötler.

Ein (digitaler) Schrei nach Liebe?

Unter all den verschmierten Farbflächen, unter all der unleugbaren Hässlichkeit und dem drastischen Chauvinismus quillt da ein unausgegorener Ruf nach Gefühlen und Nähe hervor. Die Thermalbilder des Filmes sind auf den ersten Blick vielleicht frustrierend arm an Informationen, aber sie zeigen dafür ganz unmittelbar die Wärme von Körpern. Sie scheinen heller, je intensiver sie kämpfen, rennen, morden. „We live in a heated world“, sagt der Loner-Hero, und damit könnte er das planetare oder das politische Klima meinen. In den gelb pulsierenden Körpern erscheinen dann noch oftmals unheimliche techno-organische Muster, wie sie Googles „Deep Dream“ bekannt gemacht hat: Durch die Menschen wabert eine sich endlos auf sich selbst beziehende Maschinenintelligenz, das digitale Unbewusste. Aggro Dr1ft träumt so auf zugleich widerliche wie faszinierende Weise auch die techno-utopischen Träume einer Vermählung von Körper und Digitalität.

Korine bleibt also, wie sehr er sich auch manchmal ästhetisch selbst zu bekämpfen versucht, ein filmisches Ausnahmetalent mit einem selten anzutreffenden Willen zur Radikalität. Er verfolgt dabei – wenn auch mit gänzlich anderen Bezügen – einen ähnlichen philosophischen und stilistischen Kurs wie Terrence Malick, der große Spiritualist des amerikanischen Kinos. Und das nicht erst jetzt, sondern spätestens seit der offenen Erzählung von Spring Breakers. Wie er Voice-overs frei arrangiert, wie die Kamera fluide und jenseits jeder klassischen Szenenauflösung nach Bildern hascht, die Emotionen vermitteln oder Posen herausarbeiten – aber auch, wie er traditionelle Produktionsweisen ablehnt und stattdessen alternative Formen des Filmschaffens verfolgt, hat viel mit dem Werk Malicks zu tun. Und dann googelt man mal beide und liest, dass Malick für Korine ein Script geschrieben haben soll. Mal sehen, ob daraus etwas wird. Für den Moment kann man – je nachdem – die nächste Edglrd-Produktion herbeisehnen oder verteufeln: Diesmal soll der außergewöhnliche britische Produzent Burial die Musik machen. Auf dem Papier klingt das spannend. Burial sucht mit seinen ziemlich einmaligen Symbiosen aus analogen und digitalen Sounds durchaus nach so etwas wie der Seele des Technoiden. Vielleicht finden er und Korine sie ja gemeinsam.

Den Film kann man digital bei Harmony Korines Plattform EDGLRD erwerben.

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