Afterwater – Kritik
Zwei Figuren, die einen See aufsuchen, Geschichten, die vom Wasser erzählen, ein Film, der in viele Richtungen wabert: Dane Komljens experimenteller Afterwater erprobt neue Wahrnehmungen von Zeit und Raum, bis ihm sein Konzept dazwischenkommt.

Dass es bereits zu Anfangszeiten des Films, etwa bei den Lumière-Brüdern, so viele Wasserbilder gibt, mag daran liegen, dass sich die Beweglichkeit der Masse, die ständige Veränderung ohne Fixpunkt, als prädestiniert für den Bilderstrom des Kinos erweist. Edgar Morin schreibt dem Medium 1956 zu, die „Flüssigkeit auf alle Objekte“ auszudehnen und somit aus dem unbeweglichsten Ding ein beseeltes, lebendiges zu machen: „Die Gegenstände beginnen zu leben, zu spielen, zu sprechen, zu handeln.“ Afterwater von Dane Komljen überträgt die räumliche und zeitliche Fluidität in Narration und Form. Da sind zwei Hauptfiguren, die einen See aufsuchen, Geschichten, die vom Wasser, vom See erzählen, dann andere Figuren, ein anderer See, eine andere Zeit.
Die Linearität kommt ins Wanken

Der Film selbst schwimmt, treibt vor sich hin, ohne feste Ränder. Die ersten Einstellungen sind abstrakt: leinwandfüllende Formen, die sich zunächst der Kategorisierung entziehen – bis das Bild eines ganzen Regals voller konservierter Organismen, in Glasbehältern erhalten, verrät, was wir da gerade in Nahaufnahmen gesehen haben; ein junger Mann katalogisiert, forscht. Das Verhältnis zwischen Mensch und Natur wird gerade zu Beginn des Films durchexerziert; wir sehen Studierende beim Mikroskopieren, beim Fotografieren von Pflanzen, andere verweilen inmitten von Gräsern. Koexistenz. Die Kamera ist in diesen ersten Minuten in jeder Einstellung statisch, zunehmend aber beginnt das Bild – hier ist man noch weit weg vom See – zu fließen: Bei einer Aufnahme des Berliner Hauptbahnhofes sind es Rolltreppen, Züge und wuselnde Menschenmassen, die nach links, nach rechts, nach oben und unten zugleich strömen, wie auch der Film zunächst keine klare Richtung vorgibt. Bauen die Bilder zu Beginn noch in kleinen Einheiten aufeinander auf (auf die Hauptbahnhof-Einstellung folgt eine Zugfahrt; ist man angekommen, wird alsbald ein Zelt aufgebaut), so gerät die Linearität mit der Ankunft der Studierenden am See ins Wanken, immer mehr begeben sich die aufeinanderfolgenden Bilder auf eine Ebene, bilden ein Neben- statt ein Nacheinander.
Der Film mutet dabei als Werkzeug im Erproben einer neuen Wahrnehmung von Zeit und Raum an, die nicht zweckgebunden ist, in viele Richtungen zugleich wabernd nichts von Sinn wissen will. Besonders in einigen längeren Einstellungen, die Körper am und im See zeigen, gelingt dieser Überschlag; der Blick beginnt zu wandern, weil ihm Zeit und Raum dafür gewährt werden, das Sehen selbst rückt in den Fokus.
Das Fluide weicht der Form

Diese Wahrnehmungspolitik fügt sich – gerade in Verbindung mit der Mensch/Natur-Thematik – in die „mehr-als-menschlichen“ Denkbewegungen Donna Haraways und Anna Tsings (Letztere wird im Film zitiert) ein, steht sie doch quer zu einer geschichtsschreibenden und kapitalistischen Fortschrittslogik. Den Fortschritt beschreibt Tsing in ihrem Essay Der Pilz am Ende der Welt als „Vorwärtsmarschieren, das fremde Zeitformen in seinen Takt hineinzieht“.
Oft wirken die Bilder aber auch programmatisch, der Film wird in seiner Laufzeit mehr und mehr zu einem Film über etwas, das sich aber gerade durch dieses Themawerden wieder verschließt. Die Harmonie zwischen Mensch und Natur wird in Nahaufnahmen von Insekten, die in Haaren herumkrabbeln, von fragmentiert gefilmten Körpern im Wasser dann heraufbeschworen, ist nicht mehr Folge eines veränderten Sehens, das primär von der Zuschauerin ausgeht. Zunehmend stellt sich angesichts der zuvor erwähnten längeren und offenen (weil beobachtenden, nicht festschreiben wollenden) Einstellungen die Frage, ob zu viel Konzept einer neuen, andersartigen Wahrnehmungserprobung nicht im Weg steht. So etwa beim narrativen Rahmen des Films. Die Gliederung in drei Teile, die in verschiedene Zeitebenen und verschiedene Orte samt verschiedenen Körpern eintauchen und diese Differenzen auch in der Materialität der Bilder widerspiegeln (am außergewöhnlichsten sind hier die rund dreißig Schlussminuten, die in retrofuturistisch anmutenden analogen Videoformat Hi8 gefilmt sind), ist als Idee völlig nachvollziehbar, vielleicht ist aber gerade dieses Nachvollziehen, das nun einmal kognitiv vonstattengeht, der Grund für den sich einstellenden Eindruck, dass der allzu fingierte formale Einfall das Fluide der Einstellungen ein Stückweit einschränkt, sich über die Bilder legt und sie ihrer Eigenständigkeit beraubt. So weicht die Offenheit des Filmes, die ein Staunen über die beweglichen Bilder ermöglicht, im Laufe von Afterwater dann doch zunehmend einer etwas zermürbenden Logik, die an die Stelle der Linearität tritt und ebenso einordnend und verkürzend scheint.
Afterwater kann man für 3,99 Euro bei Grandfilm streamen.
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