Abwärts – Kritik
Neu auf Blu-ray: Ein Kleinbürger, ein Macher und ein Krimineller stecken im Fahrstuhl fest. Carl Schenkels Abwärts (1984) ist ein aus Blut, Schweiß und Tränen gebauter Kammerthriller, durch dessen Ritzen die Albträume der 1980er Jahre dringen.

Nur zehn Minuten nachdem ein Fahrstuhl steckenbleibt, sich Alarm- wie Gegensprechanlage als nutzlos erweisen und vier Leute aufeinander zurückgeworfen sind, liegen die Nerven blank. Alle möglichen Knöpfe sind mehrmals gedrückt. Das Luftvolumen in der stählernen Kammer wird besorgt geschätzt, der Teppich vom Kabinenboden gerupft – die Suche nach einer Luke ist nicht die einzige Verbeugung vor Louis Malles Fahrstuhl zum Schafott (Ascenseur pour l’échafaud, 1958) –, ein Deckenlicht eingeschlagen und sich auf das Dach des Fahrstuhls vorgearbeitet. Keine der folgenden Minuten vergeht ohne gockelhafte Besserwisserei. In kürzester Zeit werden aus stabilen Leuten seelische Wracks und geschundene Körper.

Dass sich die Situation so zügig verschärft, ist sicherlich dem Umstand geschuldet, dass ein Thriller seine Protagonisten kaum beim Däumchendrehen zeigen möchte. Zugleich wirken die Protagonisten wie sich abstoßende Magnete, aus denen die Eskalation äußerst plastisch erwächst. Die größte Stärke von Abwärts (1984) liegt eben darin, seine klare gesellschaftspolitische Symbolik und dramaturgischen Kniffe knapp unter der Oberfläche eines Kinos aus Blut, Schweiß und Tränen zu verstecken. Seinen holzschnittartigen Aufbau stellt Regisseur Carl Schenkel sehr selbstbewusst hin, seine Anstrengung konzentriert er aber auf Stil und Genre-Wucht, nicht aufs Ausformulieren.
Sex als Katalysator

Der Aufbau: Ein achtlos liegengelassener Schraubenzieher fällt Freitagabend in einem sich leerenden Bürohochhaus einen Fahrstuhlschacht herunter und zerstört das Steuerungsmodul eines Aufzugs. In der festgesetzten Kabine befinden sich der alteingesessene, biedere Buchhalter Gössmann (Wolfgang Kieling), der gerade seine Firma um etwas mehr als eine halbe Million erleichtert hat, Werbemann Jörg (Götz George) mit Leninbutton am Revers, und Subkultur-Zyniker Pit (Hannes Jaenicke), der im Gebäude ein paar Imbissautomaten ausgeräumt hat.

Mit diesen drei Männern – einem schweigsamen Vertreter der Kriegsgeneration, einem 68er, der seine Ideale anpasste, und einem No-Future-Nihilisten, bzw. mit einem Kleinbürger, einem Macher und einem Kleinkriminellen – stehen Generationen- und Klassenkonflikte auf engstem Raum nebeneinander. Hinzukommt Jörgs Kollegin und Geliebte Marion (Renée Soutendijk), die dem schwelenden Treiben den Sex als zündelnden Katalysator hinzufügt. Oben im Hochhaus steigt sie aus dem Pool in die roten Pumps und macht dann im profanen Mittler zwischen oben und unten schamlos mit Pit rum – vor den Augen des mehr oder weniger ignorierten Gössmann.

Zu Beginn und am Ende bekommen dann noch die Handwerker und der polnische Nachtwächter ihren Platz im Film – Kurt Raab, Klaus Wennemann, Ralf Richter und Jan Groth, allesamt mit genug Charisma für einen eigenen Film. Wie selbstverständlich finden sie sich aber am Rande des gesellschaftlichen Diskurses. Sie sind die kleinen Helfer, die zumindest vom Film wunderbar in Szene gesetzt werden, ohne dass deshalb ihr Rassismus ausgeblendet werden würde.
Gesellschaftliche Bühne auf dampfendem Grund

Hinzu kommen die aus Kälte und Leere des Fahrstuhlschachts und die Hitze und Enge im Inneren der Kabine. Es ist ein Leitmotiv im Werk von Carl Schenkel, das dieser in seinem Erfolg Knight Moves (1992) oder seinem eigenwilligen, fast vergessenen Meisterwerk Exquisite Tenderness (1995) noch obsessiver einsetzen wird. Hier die mechanischen, dampfenden Innereien, der existentialistische Grund, dort die Welt der Zusammenkunft, die gesellschaftliche Bühne.

Wenn Götz George und Hannes Jaenicke sich durch ein kleines Loch in der Decke zwängen und in einem stählernen Tunnel landen, dessen Ende nicht abzusehen ist, dann frönt Abwärts ihren Muskeln, lässt sie über dem Abgrund hängen und sie ihre Macho-Rivalität brutal austragen – wobei mehr kaputt geht als zur Rettung zu gelangen. Götz George darf hier seinen fleischigen Leib auspacken. Haut wird zerrissen. Die Hände verkrallen sich in raue Kabel. Im Gegensatz dazu geht es unten in der Kabine um (von Frank Göhre präzise geschriebene) Dialoge, um spiegelnde Sonnenbrillen und Videospiele. Um einen Mann, der schweigt, einen, der alles besser weiß und kontrollieren muss, und einen, der schon aus Prinzip Kontra gibt. Und eine Frau, die Hass und Überdruss hier und da in kleine Spiele übersetzt, die Rivalitäten anstacheln.

Als sie mit Pit rummacht – auch ohne Sex eine der erotischsten Szenen des Jahrzehnts –, wird Jörg von oben durch die runde Öffnung einen Blick erhaschen, nachdem er sein Leben riskierte, und bevor er resigniert nach Contenance sucht. Das entsprechende Bild von dem, was er sieht, wirkt ziemlich entrückt (Kamera ebenso sensationell wie vieles: Jacques Steyn). Als sähen wir Jörgs Blick in eine andere Welt.
Urängste, Gewalt und Perversität

Abwärts ist Kammerspiel und straffer Thriller, in dem vier Menschen von der Panik ergriffen werden, gemeinsam Zeit in einem modernen Sarg verbringen zu müssen, und mit ihren Versuchen, dem Aufzug zu entkommen, ihre Dysfunktionalität auf ein immer maroderes Vehikel übertragen, dass zunehmend absturzbedroht ist. Abgerundet wird das alles aber durch eine latente Irrealität, die den Film durchzieht. Als sähen wir einen Traum.

Den Traum beziehungsweise Albtraum der Bonner Republik unter Helmut Kohl. Den Albtraum der 1980er Jahre, mit ihrer Politik einer teilweise rasanten Abwicklung des Sozialstaats (Reagan, Thatcher), mit ihrem Leben im Angesicht eines drohenden Atomschlags. All dies schleicht durch Abwärts und ist symbolisch in ihm eingefangen. Es dringt aber nur durch Ritzen des mit Nachdruck sich abspielenden Spiels mit Urängsten, Gewalt und zwischenmenschlicher Perversität. Und wirkt deshalb umso mehr nach.
Neue Kritiken

Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes

Kung Fu in Rome

Dangerous Animals

Versailles
Trailer zu „Abwärts“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (19 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.