A War – Kritik
Tobias Lindholm interessiert sich für die komplexe Moral der Kriegsgerichtsbarkeit, richtet seine Grauzone dann aber doch ziemlich schlicht ein.

Wahrscheinlich stellt der Film sich vor, dass man am Ende so dasitzt wie sein Protagonist im Schlussbild: allein und nachdenklich. Wahrscheinlich zögert der Abspann von A War so lange, in die Schwarzblende hineinzubrechen, damit dieses Schlussbild nachwirkt und wir es verinnerlichen. Wahrscheinlich sagt diese nur sehr spärlich mit Klängen ausgestattete Schlussmusik, dass sie uns nicht vorgeben will, was wir zu denken haben, dass wir das schon selbst machen müssen.
Im Krieg und zu Hause nichts Neues

Aber erst mal zurück auf Anfang, als die braunen Sandfarben und die Handkamera noch derart das Bild dominierten, dass man sicher war, so schnell aus Afghanistan nicht herauszukommen. Da stellt uns Regisseur Tobias Lindholm (Hijacking, 2012) Claus (Pilou Asbaek) und seine Einheit vor, die gerade wieder einen Mann verloren haben. Die Stimmung ist nicht gut, man weiß nicht so ganz, warum man überhaupt immer wieder da raus muss, ins minenverseuchte Gebiet, in dem man auch noch regelmäßig unter feindlichen Beschuss gerät. „Präsenz zeigen, um die Zivilbevölkerung auf unsere Seite zu ziehen“, sagt Claus. Und weil er weiß, dass er leicht reden hat, kündigt er an, fortan regelmäßig selbst mit auf Patrouille zu gehen.
Ein bisschen Kriegsalltag dann, die dazugehörigen Bilder kennen wir aus anderen sandfarbenen Handkamera-Filmen. Den obligatorischen kriegspornografischen Elementen – eklige Wunden, Schock-Explosionen, Kameradschaft – fügt das Arthouse-Gewissen noch die Tücken interkultureller Kommunikation und visuell gestaltbare Momente der Menschlichkeit hinzu: Ein afghanisches Kind lässt mithilfe eines Soldaten seinen Drachen steigen. Und in einem Nebenstrang, durch den wir die Wüste dann doch regelmäßig verlassen dürfen, lernen wir Claus’ Familie kennen. Auch an der Home Front nichts Neues: A War erzählt von den Mühen einer temporär Alleinerziehenden mit drei Kindern. Es braucht keine Supernanny, um zu verstehen, dass hier ein Vater fehlt.
Tragik, Ethik, Moral

Irgendwann hat der Film dann entschieden, dass wir Claus und sein Umfeld ausreichend kennengelernt haben, um in die Vollen zu gehen: eine prekäre Entscheidung in unübersichtlichem Gefechtszustand mit tödlichen Folgen für afghanische Zivilisten, eine intern anberaumte Untersuchung, ein Rückflug nach Dänemark, und dann steht Claus vor einem Militärgericht; seine Kameraden sind nun Zeugen, seine Rechtschaffenheit sieht sich Zugriffen vom schlechten Gewissen wie von guten Ratschlägen der Ehefrau ausgesetzt. Ersteres glaubt, für seine Taten müsse man geradestehen, Letztere erinnert ihn an seine Verantwortung für die eigenen Kinder, denen mit einem Vater im Gefängnis nun wahrlich nicht geholfen ist. Auf der gerichtlichen Mikroebene funktioniert A War dann eigentlich am besten. Die chaotische Situation selbst ist ebenso wie ihr Nachspiel völlig nachvollziehbar, der Widerspruch unauflösbar: dass eine Justizmaschinerie aus der zeitlichen und räumlichen Distanz ein Handeln unter Extrembedingungen beurteilen muss, erscheint ebenso unbefriedigend wie die Möglichkeit, die Handelnden aus ihrer Verantwortung zu entlassen, nur weil die Bedingungen ihres Handelns so extrem sind.

In dem Maße aber, in dem Lindholm sein Fallbeispiel trotz oder gerade wegen der betont leisen Töne so penetrant zum großen Kino des moralischen Dilemmas überhöht, verliert A War an Kraft. Denn filmisch arbeitet er dafür viel zu schlicht: Tragik, das ist hier ein pathetisches Sicherheits-Versprechen an einen afghanischen Familienvater, das drei Drehbuchseiten später gebrochen werden muss, um seine Funktion zu erfüllen. Ethik ist eine naiv-erschütternde Kinderfrage und der Gegenschuss auf den Wie-erkläre-ich-das-meiner-Tochter-Blick. Moral ist das schlechte Gewissen nach dem Freispruch. Für all das sind Afghanen freilich nur erzählerisches Kanonenfutter. Nicht als fehlende Väter und Fragen stellende Kinder interessieren sie, sondern als gebrochene Versprechen, Gewissensbisse und moralische Fragestellungen.
Sorgende Mutter, feixende Karrierefrau

Diese für die Verhandlung der großen Fragen konstitutive Abwesenheit der afghanischen Opfer könnte nun gerade der Punkt sein, aber für derlei repräsentationslogische Feinheiten steht Lindholm denn doch zu sehr auf der Seite der Männer, die ihre Körper aufs Spiel setzen, um dieses Spiel dann denjenigen erklären zu müssen, die nur Paragrafen kennen. Es sind gerade die kleinen Momente rund um Nebenfiguren, in denen A War jegliche Subtilität verliert. Vor allem diese unterkühlte Anklägerin, ganz humorlose Karrierefrau: feixt, wenn es gut für sie aussieht, flucht, wenn es für Claus gut aussieht. Sie erscheint geradezu als Gegenspielerin der anderen Frauenfigur, der sorgenden Gattin: Die eine bohrt übereifrig und ohne Rücksicht auf Soldaten in der Vergangenheit, die andere blickt nach vorn und sorgt sich um die Zukunft ihrer Familie. Während der gequälte Mann nachdenklich dasitzt. Der Film hat in diesem Schlussbild längst aufgehört, selbst nachzudenken, sondern ist ganz bei ihm. Kein zerrissener Film, nur ein weiterer zerrissener Soldat.
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