Männer, Muskeln und modellierte Haut – Kritik
„Der Körper lügt nicht“ lautet das Motto von Denis Côtés neuem Film. Mit hungrigem Blick und ohne persönliche Haltung begleitet der kanadische Regisseur darin sechs Bodybuilder bei der Selbstkontrolle – bis er am Ende selbst die Kontrolle verliert.

Eine Szene im neuen Film des frankokanadischen Regisseurs Denis Côté kommt einem bekannt vor, wenn man mit seinem Werk vertrau ist: Ein Bodybuilder, Cédric ist sein Name, steht Modell für eine Gruppe junger Kunststudenten. Die versuchen den wuchtig-muskulösen Körper genau in den Blick zu nehmen, zu verstehen, wie seine Proportionen beschaffen sind. Seinen Film Bestiaire hat Côté gewissermaßen mit der gleichen Szene eröffnet, nur dass es dort um das Beschauen eines ausgestopften Tieres ging. Vor allem aber hat Côté sich dort für die Blicke selbst interessiert, hat die wissbegierigen Gesichter in präzisen und statischen Kadrierungen förmlich aus der Realität herausgemeißelt. A Skin So Soft nimmt diesen hungrigen Blick nun selbst ein. Und so tauscht Côté die zielgerichteten Bilder aus Bestiaire gegen eine kreisende Kamerafahrt ein, die das Sujet erstmal selbst gründlich von allen Seiten betrachten muss, um es zu begreifen.
Offener Blick

A Skin So Soft zeigt besonders in dieser Szene keine Weltanschauung im ideologischen, sondern im wahrsten Sinne des Wortes. Ihr ästhetisches Programm scheint selbst Modell für den Großteil des Films zu stehen: Côté schaut sich den Alltag von sechs Bodybuildern an. Einer ist noch jung, der Körper noch nicht ganz ausdefiniert, noch posiert er auf der selbstgebauten Bühne im Garten. Ein anderer hat seine Karriere schon hinter sich, der Körper deswegen nicht mehr ganz so ausdefiniert, seine Bühne existiert nur noch in stummen Aufzeichnungen vergangener Wettbewerbe. Drei weitere scheinen dafür gerade mitten in der Laufbahn zu sein, und der letzte ist streng genommen gar kein Bodybuilder, sondern eher Amateur-Wrestler. Der Film gibt sich viel Mühe, das jeweils besondere Verhältnis zum eigenen Körper einzufangen. Die Blicke auf die Protagonisten folgen dabei, für Côté ungewöhnlich, nicht dem Prinzip der Aktion, sondern erstmal dem der Reaktion. Gerade bei diesem vorurteilsbelasteten Milieu ist das durchaus erfreulich, weil sich keine persönliche Haltung in den Vordergrund drängt, sondern der Film sich auf seinen Gegenstand einlässt.
Affekte als Kontrollverlust

Ein zwanghafter Formwille findet also zunächst nur im Bild statt. Überall und immerzu wird versucht, den eigenen Körper durch Posieren zur Geltung zu bringen. Und dort, wo auf den noch unangespannten Bauch verwiesen wird, oder sich der Trainer bemüht, vor dem Wettkampf noch schnell die rechte Gehirnhälfte zu trainieren, bringt Côtés offener Blick zutage, dass Bodybuilding vor allem Arbeit an der Kontrolle über die eigenen Muskeln bedeutet. „Der Körper lügt nicht“, heißt es einmal, und der Film ist gerade dann am interessantesten, wenn er es schafft, die Momente zu finden, in denen sich dieser Satz bewahrheitet und das Prinzip der Selbstkontrolle auch abseits des Trainings scheitert. Etwa, wenn der Wrestler stumm mit leerer Miene am Essenstisch sitzt und gegenüber Frau und Tochter nicht zugeben kann, dass das eigene Hobby auch belastet. A Skin So Soft – schließlich ist die Haut nicht nur ledriger Überzug gestählter Muskeln, sondern auch ständige Leinwand für Gefühle.
Und dann doch wieder Subjektivität

Irgendwann will Côté dann aber doch auch wieder selbst mehr Kontrolle übernehmen und dann wird wieder Cédric reingeschnitten: Er schläft auf dem Sofa, und plötzlich wechselt die Szene samt aufkommender Trance-Musik ins Fitnessstudio, wo er und ein anderer Mann sich gegenseitig immer wieder verstohlende Blicke zuwerfen. Erst beim Training, später noch in der Dusche. Mit dieser angedeuteten Traumsequenz schiebt sich dann schließlich doch so etwas wie eine Subjektivität des Regisseurs in den Vordergrund. Ob diese nun in einer Geste der Bewunderung oder gar der Erotik besteht, das bleibt zwar wunderbar uneindeutig, aber es scheint, als könne Côté nicht aushalten, sich vollends dem ziellosen Blick hinzugeben. Man wünscht sich förmlich, dass sich die dokumentierte Selbstkontrolle auch auf ihn überträgt. Am Ende packt A Skin So Soft dann doch alle in einen Bus, führt die bis dahin voneinander getrennten Geschichten künstlich zusammen und organisiert ein Wochenende auf dem Land. Wenn der Film seine Protagonisten dort zum Schlafen geschickt hat, der nächste Traum inszeniert werden könnte, läuft zum Glück auch schon der Abspann und verhindert in letzter Sekunde, dass dem Film sein eigentliches Gestaltungsprinzip vollends entgleitet.
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