A House of Dynamite – Kritik
Neu auf Netflix: Flackernde Displays und angespannte Gesichter. Kathryn Bigelows Thriller A House of Dynamite erzählt von schwierigen Entscheidungen, die während eines sich anbahnenden Dritten Weltkriegs getroffen werden sowie vom Dilemma, als fühlender Mensch reibungslos funktionieren zu müssen.

Sobald Captain Olivia Walker (Rebecca Ferguson) den Kontrollraum im Weißen Haus betritt, herrscht eiserne Professionalität. Umgeben von zahlreichen Bildschirmen und Kollegen soll sie hier mögliche Bedrohungen für die USA erkennen. A House of Dynamite gelingt es umgehend, die eigentlich statische Situation mit Action aufzuladen. In dokumentarisch zitternder Manier sorgt die Kamera (Barry Ackroyd) mit flinken Schwenks, abrupten Zooms und pointierten Schärfeverlagerungen für Atemlosigkeit. Die mit hoher Brennweite aufgenommenen Bilder lassen den Raum flächig wirken. Die flackernden Displays und angespannten Gesichter gehen deshalb fast nahtlos ineinander über und erschüttern dadurch unsere Orientierung. Während Olivia noch vor der Herausforderung steht, eine Krise mit kühlem Kopf bewältigen zu müssen, hat Regisseurin Kathryn Bigelow bereits in den ersten zehn Minuten ihres Films bewiesen, wie souverän sie das Chaos orchestrieren kann.
Die Ausnahmesituation, die Drehbuchautor Noah Oppenheim ins Zentrum von A House of Dynamite stellt, hat das Zeug für einen dritten Weltkrieg. Schon im Vorspann wird in wuchtigen Lettern verkündet, dass eine neue Ära der nuklearen Aufrüstung angebrochen ist. Nur wenige Minuten später erscheint auf dem Bildschirm im Kontrollraum eine nukleare Rakete unbekannter Herkunft, die, laut einem runterlaufenden Countdown, in nur 17 Minuten ganz Chicago dem Erdboden gleich machen wird. Wie schwer dieser Ernstfall zu begreifen ist, unterstreicht der Film, als Regierungsmitarbeiter eine Nordkorea-Expertin konsultieren, die gerade an ihrem freien Tag ein Reenactment der Schlacht von Gettysburg besucht. Kurz schwenkt die Kamera zu einer Schauspielerin in historischem Gewand, die einem uniformierten Leichen-Darsteller das Gesicht abtupft. Ein Moment überhöhten Geschichtstheaters, der sofort wieder von der überfordernden Banalität der realen Bedrohung verdrängt wird.
Die Speisekarte möglicher Ziele und Raketen

Acht Jahre nach ihrer letzten Regiearbeit Detroit bewegt sich Kathryn Bigelow mit ihrer ersten Netflix-Produktion scheinbar in einem bescheideneren und intimeren Setting. Statt herkömmlichen Actionszenen zeigt A House of Dynamite überwiegend Menschen, die telefonieren oder in Innenräumen diskutieren. Das macht den Film zwar dialoglastig; man käme aber nicht auf die Idee, ihn als Kammerspiel zu bezeichnen. Zu groß ist das Darstellerensemble, bei dem jede Figur nur kurz, aber markant angerissen wird. Zu zahlreich die Schauplätze (Militärbasen, Büros, die Straßen von Washington D.C., die Wüste Kenias, die Air Force One des Präsidenten...). Und vor allem zu unnachgiebig die Spannung, die sich aus dem ständigen Widerstreit zwischen der von Hektik und Verzweiflung bestimmten Situation und dem klarsichtigen Kalkül, mit dem sie bewältigt werden muss, speist.
In drei Episoden stellt der Film aus unterschiedlichen Perspektiven die verbleibenden Minuten bis zur Katastrophe dar. Mögliche Szenarien werden durchgespielt, beruhigt und abgewägt, es wird nach Alternativen und Lösungen gesucht. Mit jedem Kapitel klettert man in der Hierarchie der Entscheidungsträger nach oben, aber die existenzielle Angst bleibt. Auf Versuche, den Angriff zu verhindern, folgen diplomatische Telefonate mit Russland und China und schließlich die unvermeidbar schicksalshafte Entscheidung des Präsidenten. Idris Elba spielt das US-Oberhaupt ohne falsche Autorität als verunsicherten Grübler, der sich weigert, für einen lediglich symbolischen militärischen Gegenschlag (der Urheber der Rakete bleibt nach wie vor unklar) wie auf einer Speisekarte mögliche Ziele und Raketen auszusuchen.
Ein kleines Plastikpferd im Schuh

A House of Dynamite zeigt Menschen, auf deren Schultern die Verantwortung für die Sicherheit des Landes lastet und die unter Hochdruck folgenreiche Entscheidungen treffen müssen. Bigelow erzählt von den Widrigkeiten dieser Berufe, ohne die Institutionen selbst grundsätzlich zu hinterfragen. Sie legt aber die Zweifel und Widersprüche offen, mit denen ihre Figuren zu kämpfen haben: Das Grunddilemma besteht für sie darin, als fühlender Mensch reibungslos funktionieren zu müssen.
Das kommt schon zum Ausdruck in der Parallelmontage, mit der der Film eröffnet. Mehrere Charaktere sind darin vor dem Arbeitsantritt zu sehen: dem Sohn wird noch ein Abschiedskuss auf die Wange gedrückt, im Bus ein Urlaubsvideo der Freundin angeschaut und ein wütender Beziehungsstreit am Telefon ausgetragen.
Eine Box vor dem Kontrollraum markiert die Grenze, an der dann das Private zurückgelassen wird. Olivia muss dort ihr Handy einschließen, aber als sie später ein kleines Plastikpferd ihres Sohnes in ihrem Schuh entdeckt, offenbart sich, wie unmöglich es für sie ist, ihre Familie außen vor zu lassen. Immer wieder baut der Film Momente ein, in denen die professionelle Fassade bröckelt und die Menschen von ihren Gefühlen erschüttert werden. Bigelow legt Wert darauf, dass jede noch so kleine Figur Vater oder Mutter ist, Tochter oder Sohn, Freund oder Freundin, kurz: ein soziales Wesen, das liebt und geliebt wird. Zerrissen zwischen Pflicht und Gefühl, setzen sich die Figuren über Regeln hinweg, schmuggeln ihre Handys in Verbotszonen, warnen Angehörige oder flüstern ihnen, wenn es bereits zu spät ist, noch einmal mit brüchiger Stimme zu, wie wichtig sie ihnen sind.

Das Allgemeinwohl steht in diesem Ausnahmezustand im Vordergrund. Wie ungerecht und grausam das sein kann spart A House of Dynamite nicht aus: Opfer werden bewusst in Kauf genommen und die Bürokratie entscheidet, wer evakuiert wird und wer nicht. Bigelow beschwört ein im US-Kino altbekanntes Untergangsszenario herauf, allerdings ohne die gewohnte Erlösung durch eine heroische oder versöhnliche Wendung mitzuliefern. Das ist konsequent, und, weil man es nicht unbedingt erwartet, auch auf irritierende Weise deprimierend.
Hier geht es zu unserem Special über die Regisseurin Kathryn Bigelow.
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