A Cure for Wellness – Kritik
Gore Verbinski schickt einen Workaholic auf einen Zauberberg, wo die Sinne getäuscht werden und von wo keiner mehr zurückkommt. Final Boy meets Final Girl, und sie fahren Fahrrad.

Ein Heilmittel gegen Wellness: Der Titel sagt etwas Seltsames aus, ein Paradox, mehr ein Witz als ein Rätsel. Mit scheinbaren Gegenwelten wird in diesem Film gescherzt: oben das zeitlose Jetzt eines Schweizer Sanatoriums, unten die Wall Street. Keine Polizeisirenen – eine weibliche Sirenenstimme lockt im unheilvollen Schwarz moderner Hochhäuser, im Glanz dieser Babylontürme menschlichen Ehrgeizes. Zu später Stunde arbeitet der Salesman of the Year im leeren Büro eines großen Finanzkonzerns. Er verfolgt die Aktienkurse, tippt schnell auf dem Rechner, tut Wichtiges. Dann bricht er zusammen – Herzanfall. Der gekippte Trinkwasserbehälter stößt sein Inneres über die Leiche aus. Auf vielen Bildschirmen tanzt die Börse, wie sie nie schläft, ihren delirierenden Farbentanz weiter – Grund und zynischer Verspotter des frühzeitigen Todes. Wir erfahren, der Verstorbene war ein enger Freund des CEOs dieser Firma. Letzterer schickt nun aus einem Schweizer Sanatorium, wo er eine inzwischen sehr ausgedehnte Kur macht, einen rätselhaften Brief. Mit Tinte von Hand geschrieben und versiegelt ist das eine Botschaft aus einer verkehrten Welt. Der verschollene Kurgast soll nun einer wichtigen Unterschrift wegen zurückgeholt werden. Damit wird der junge ehrgeizige Manager Lockhart (Dane DeHaan mit dunklen Augenringen) beauftragt, der die lästige Aufgabe nur ungern auf sich nimmt.
Die Krankheit ist in jedem von uns

Eine Sache von Belang. Lockhart begibt sich dahin, immer höher hinauf in die Schweizer Berge. In den kurzen Attraktions-Einstellungen (die Kamera ist an der Seite des rasenden Zuges angebracht) merkt man, wie weit, als er den tiefen Abgrund entlangfährt, die Welt hier eigentlich schon weg ist. In diesem Zug sieht und übersieht Lockhart ein Kind Teufel an die Fensterscheibe malen. Denn er ist here to perform a task. Nach der Ankunft schaut er weiter über offenkundige, großzügig gestreute Seltsamkeiten, über maliziöse Nuancen, kleine Blicke und krumme Lächeln hinweg. Das Sanatorium ist ein prominenter Topos, natürlich ein Zauberberg, ein von Mythen umwuchertes Schloss, wo die Sinne getäuscht werden und von wo keiner je zurückkommt. Die Oberfläche kippt bald, und dann kippt auch Lockharts weltliche busy man-Arroganz, und er wird sein nacktes Entsetzen darüber, was sich hier eigentlich abspielt, mit niemandem teilen können. Außer vielleicht mit Hannah, einer weiteren Patientin, die durch ihr junges Alter und eine gewisse Geistesabwesenheit auffällt. Besetzt mit Mia Goth ist Hannah halb Kind, halb Frau, eine Mischung aus Verletzlichkeit und Erotik. Und wer ist hier nicht ganz bei sich? Mister Volmer (Jason Isaacs), der Sanatoriumsleiter, hat alle Patienten von ihren weltlichen Pflichten und Ambitionen stillgelegt und allesamt krank gesprochen. Was für eine Krankheit? Möglicherweise verdrängte Liebe, Kindheitstraumata, geistige Zerrüttung, die der Körper nicht weiter mittragen kann, alles Übel des modernen Lebenszusammenhangs. Was für eine Wellness? Trink- und Badekuren.
Slow-cooking Unbehagen

Lockhart im Dunst des Dampfbades: Wo gerade noch ein Durchweg war, ist jetzt eine Wand; wo ein Tier war, ist jetzt der CEO. Was er nun wirklich sieht und was er halluziniert – im Kino wird der Unterschied hinfällig. Regisseur Gore Verbinski sprach bei A Cure for Wellness vorab von einer slow-cooking approach. Und in der Tat entspringt das Unbehagen dieses zweieinhalbstündigen Films auch dem Sinn fürs Nostalgische, dem Zeitlosen der Kostüme, der Ausstattung und Kuriosa aller Art. Im nächsten Zug nimmt der Film die Bilder, die uns Angst und Abscheu machen, vervielfacht sie, vereinnahmt und nimmt damit den Zuschauerkörper gefangen. Und dann greift er die Essenz an, die uns ausmacht. Eine wuchernde, scheußliche Unzahl von Aalen dringt nach außen, drängt aus dem Toilettenspülkasten an die Bildoberfläche, drängt in den Kopf, ins ganze System ein, bewohnt die Organe, saugt und beutet sie aus. Was sich die Kurgäste willentlich antun, dem kann ich fortlaufend (Verbinski hält die anfangs ausgelöste Stimmung gut durch) nur mit physischem Leiden begegnen. Der Geist kann sich täuschen, der Körper aber nie ...
Staunen inmitten des Feuers

Sollte all das auch gegen Ihre geistige Disposition sein, könnten Sie sich trotzdem an den Trost spendenden Symmetrien, an Farben und Texturen, an dem ausgeprägten Stilsinn erfreuen. Oder auch daran, dass das Licht angelassen bleibt und der Regisseur seine Pointe zum Ende hin so manifest verbildlicht, dass aus Metapher eine Materie wird! Und das Vergnügen geht just dann richtig los, als das Aufklären des Mysteriums zum grotesken Vermischen der Motive und Formen wird, zum Berauschen an sich selbst, zum Staunen inmitten des Feuers, zum Kampf gegen den Tod durch den Tod. Irgendwo ist es also doch eine Thomas Mann’sche Anleihe geworden. Wo Aale waren, sind jetzt Lippenstifte. Aus zwei Leidensgefährten – Lockhart und Hannah – sind Komplizen geworden. Und nun, wo sich die Welt des Kapitals und die Wellness als perfekte Ebenbilder erweisen, stellt sich die unbedingte Frage dieses Genres: Schlägt die narrative Erlösung zwei Übel auf einen Streich, oder ist da jemand in den Loop geraten? Radfahren ist toll, und unten im Tal wartet erst mal eine ziemlich üble Kneipe.
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Kommentare
Sebastian
Diese Kritik ist ja so geil! :-D Danke, gut beobachtet und kompiliert!
1 Kommentar