Touch Me Not – Kritik

Gestalttherapie als Film: Adina Pintilies Touch Me Not erkundet die Grenzen der Intimität, ohne sie definiert zu haben.

„How do you feel right now?“: Eine Frage, die das tatsächliche Befinden des Angesprochenen ähnlich ernst nimmt wie die Aufforderung „Sei einfach du selbst“. Als ob sich ein tiefer liegendes Gefühl oder ein persönliches Unbehagen so leicht in einer direkten Aussage abgreifen ließen, Intimität einfach so offengelegt werden könnte. Dass „How do you feel right now?“ der Satz ist, der Adina Pintilies Touch Me Not wie ein Mantra begleitet, lässt also bereits auf ein Missverständnis schließen. Denn genau um Intimität soll es nämlich gehen, oder vielmehr darum, ihre Grenzen zu durchbrechen. Wo die liegen, definiert der experimentelle Dokumentarfilm nicht konkret. Er wirft einige seine Protagonisten, die mit wenigen Ausnahmen professionelle Schauspieler sind, in Therapiesituationen. Im Falle von Laura (Laura Benson), die als Hauptfigur auftritt, unterstützen professionelle Helfer den Vorgang: ein Escort-Esoteriker, eine spät geoutete Transsexuelle und schließlich die Regisseurin selbst. Die Auswahl der Helfer deutet es schon an: Es ist das Sexuelle, das wie immer als wichtigste und letztlich einzig relevante Form der Intimität hinhalten muss. How do you feel right now?

Professionell gesäuselte Therapie

Als zweiter Protagonist wird der haarlose Tómas (Tómas Lemarquis) etabliert, der in einer Therapiegruppe mit Christian (Christian Bayerlein) zusammenkommt. Christian leidet unter spinaler Muskelatrophie, Tómas lernt damit umzugehen. In der ersten Sitzung läuft Christian Sabber an den Mundrändern herab, die Tómas berühren soll. „How does that make you feel?“ Im zweiten Durchgang wischt der haarlose Isländer bereits wie selbstverständlich die Flüssigkeit aus dem Gesicht seines Freundes. Dieser Fortschritt steckt über die zweistündige Laufzeit eine Dramaturgie ab. Da nicht genau definiert ist, was es zu erreichen gilt, und ein solcher Ansatz, ebenso wie ein Konzept von gut und schlecht, in der Therapie keinen Platz hat, schwebt alles im leeren Raum.

Adina Pintilie sucht den Intimitätsbegriff nicht mit filmischen, sondern immer mit therapeutischen Mitteln. Natürlich kann es in diesem Raum kein falsches Mittel geben, keine festen Ziele oder falsche Emotionen. „Every emotion is welcome here“, wiederholt der Escort-Therapeut wieder und wieder in seinen Sitzungen. Ein Satz, der, wie eigentlich alles im Film, nur für die Protagonisten bestimmt ist. How do you feel right now? Natürlich muss der Gemütszustand im sanften, vom professionellen Schauspiel geschulten Säuselton erklärt werden. Man wüsste sonst schlicht nicht, was hier emotional verhandelt wird.

Intimität vor der Kamera

Da auch Pintilie es nicht weiß, aber zumindest ihren Intimitätsbegriff auf den Sex vereinfacht hat, steckt sie einfach alle Beteiligten in einen Darkroom und lässt sie einander beobachten. Langsam und stetig, mal direkt an den Hautporen, mal im Panorama des Raums, erkundet die Kamera hier das Geschehen. Ledersex, Kink, Seile, Unterwerfung und Erniedrigung, alles ist im sicheren Darkroom zu sehen, natürlich als Ausdruck des gelungenen Therapieversuchs. How do you feel right now?

Natürlich ist dieser Darkroom inszeniert, ganz auf die Präsenz der Kamera ausgelegt und in mehreren Takes vermessen, zerschnitten und schließlich auf der Leinwand zusammengefügt. Sprich: Pintilies Therapieversuch ist kein Direct Cinema. Eine Kamera ist anwesend, und sie verändert das Verhalten aller Beteiligten, die ohnehin Schauspieler sind. Es ist das größte Problem des Films, dass Pintilie nie weiß, wie sich Intimität und Inszenierungsform zueinander verhalten. Schauspieler spielen Figuren, die „echte“ Intimität erfahren sollen, allerdings nicht im Kontext des Erzählkinos, sondern im abgeriegelten, sicheren Therapieraum, der eben die Intimität der Isolation hergeben soll – während die Kamera läuft. Touch Me Not nimmt sich dieses Problems nie an. Vielmehr umgeht es Pintilie, indem sie sich selbst zur Protagonistin macht. In einer Szene nimmt sie den Platz vor der Kamera ein, schaut der Schauspielerin entgegen, die durch das Interrotron (ein Zwei-Wege-Spiegel, der den Interviewten und Interviewer einander durch die Kamera anblicken lässt) zurückblickt. „How do you feel?“, fragt nun Laura. Die Regisseurin weint. Sie ist Teil des Versuchs, versteht jetzt die Herausforderung der Interviewsituation. Damit ist jede Reflexion über die Anwesenheit einer Kamera abgeschlossen. Nimmt die Filmemacherin selbst an der Therapie teil, spielen Realität und Fiktion keine Rolle mehr – es muss ja „echte“ Intimität sein, schließlich wurde sogar geweint. Ein Gestus, den Touch Me Not noch einmal pompös ausspielt, als schließlich das Interrotron der Kamera abgebaut wird. So sitzen sich schließlich nur die Protagonisten gegenüber. Von Angesicht zu Angesicht. How do you feel right now?

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Kommentare


Leander

Das klingt für mich nach nem 'Klassiker, den man sich nicht angesehen haben muss'. Klar daß so etwas beim Tykwer als Berlinale Presi bei rauskommt. Lieber Kerl, der aber eigentlich gar keine eigene Meinung hat, geschweige denn einen Plan wo´s langgehen soll.


Monsieur Moinet

Mittlerweile wurde allerorten so viel auf dem Goldenen Bären rumgehackt, oft sogar ohne, daß der Film überhaupt selbst gesehen wurde (auch von mir noch nicht), teilweise sogar weil er rumänisch und nicht deutsch ist, daß mir langsam scheint, die Entscheidung der Jury (nicht Tykwer allein, der hat nur ne doppelte Stimme, weiß auch nicht, was der Angriff auf die Person hier soll) kam genau zur richtigen Zeit. Wenn viele sich auf ein Opfer einschießen, ist es Zeit, genau hinzuschauen, was da vor sich geht. Herzlichen Glückwunsch zum Goldenen Bären, Adina Pintilie und Team!


Monsieur Moinet

P.S.: Unabhängig von Tykwer ist es im übrigen durchaus angenehm, wenn jemand "keinen Plan hat, wo's langgehen soll", dann kann das nämlich gemeinsam ausgehandelt werden.






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