99 Homes - Stadt ohne Gewissen – Kritik

Von Schulden zu Schulden: Für Ramin Bahrani ist das US-amerikanische Gemeinwesen nach der Finanzkrise der bittere Ausdruck einer neuen Leibeigenschaft.

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99 Homes ist ein Film, der sich allein in seiner eigenen Gegenwart eingerichtet hat. Im Hier und Jetzt seines Settings: Florida, ein paar Jahre nach der Finanzkrise. Allerorten platzen die Stein – oder vielmehr Holz – gewordenen Träume des Mittelstandes. Niemand kann die vor 2008 großzügig erteilten Hauskredite zurückzahlen. Was bleibt, ist die Angst vor der Enteignung. Aber jede Krise schafft auch ihre ganz eigene Spezies: In 99 Homes sind es die Immobilienmakler. Sie verwalten den Niedergang und lassen von den Banken einkassierte Häuser mitsamt ihrer früheren Eigentümer räumen. Rick Carver (Michael Shannon) ist einer von ihnen. Ruchlos und pragmatisch verkörpert er das Credo seiner Zeit. Es lautet: Auch Verfall birgt Profit. Shannon mimt dabei den Inkassoartisten überzeugend echsenartig: Mithilfe eines Mobs aus Tagelöhnern und den örtlichen Sheriffs werden die Eigenheime unter Aufsicht des Galle speienden, lederhäutigen Grundbesitzdirigenten binnen kürzester Zeit entkernt. Auf die Ethik seines Jobs angesprochen, antwortet Carver nur: „Wollen Sie etwa, dass der Steuerzahler für die Fehler Einzelner aufkommt?“ Da möchte niemand widersprechen.

Vom Eigenheim ins Motel

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Eines Morgens ist der arbeitslose, alleinerziehende Vater Dennis Nash (Andrew Garfield) an der Reihe. Er lebt mit seiner Mutter Lynn (Laura Dern) und seinem Sohn Connor (Noah Lomax) im eigenen Elternhaus. Es ist ein strahlender, ein warmer Morgen. Bunte Vögel zwitschern, künstliche Bewässerung erhält das tropische Immergrün. Florida: ein Refugium für Reiche und Rentner. Wohl nicht umsonst siedelt Bahrani sein Sozialdrama in dieser Welt aus falschem Marmor und sengender Sonne an. Doch auch hier sind Banken eben Banken: Nash leistet anfänglich Widerstand gegen die Räumung, doch abends findet sich die Familie bereits in einem heruntergekommenen Motel wieder. Der betonierte Innenhof wird zur Plaza der zwangsgeräumten Familien – Kinder spielen, Mutter Lynn schneidet Freundinnen für eine Handvoll Dollars die Haare nach. Nash schlägt sich vorläufig mit Gelegenheitsjobs durch, doch es herrscht Flaute. Wenig später trifft er Makler Carver wieder. Dessen Auftragsbücher sind logischerweise voll. Und irgendwie kommt eines zum anderen: Nach anfänglichen Handwerksjobs wird Nash schnell zur rechten Hand des Immobilienhais. Es dauert gar nicht lange, und es ist auf einmal Nash, der morgens um acht an fremden Haustüren klingelt: „Madam, Sir... Wir werden dieses Haus jetzt räumen.“

Verzicht auf alles Moralische

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99 Homes folgt konsequent der Bewegung eines Strudels: Unausweichlich scheint der Pakt mit dem Mephisto namens Carver, immer tiefer versinkt Nash im Regime des Ausbeutens und Enteignens. Auf Geldnot folgt Gier. Der Film schreibt dabei die Geschichte einer Degeneration, die im Grunde ewiggleich ist. Um sein Haus zurückzubekommen, verpflichtet sich Nash dazu, jahrzehntelang für Carver zu arbeiten. Auf Schulden folgen neue Schulden. Eine Welt außerhalb dieses Kreislaufs gibt es nicht. Bahrani inszeniert das mit einer bemerkenswerten Klarheit, da er stets der absoluten Gegenwart verpflichtet bleibt. Träume und Visionen bedeuten hier nichts – hire or fire, von jedem Tag aufs Neue. Gerade durch den Verzicht auf jede Moral, auf glückliche Fügungen oder gar so etwas wie Gerechtigkeit, weist sich Bahrani als großer Moralist aus. Nebenbei wird die Finanzkrise vergleichsweise minutiös aufgearbeitet. Carvers Rücksichtslosigkeit kommt keinesfalls aus dem Nichts: In einigen Monologen leitet er in erstaunlicher Stringenz her, dass er eben genau das tut, was jetzt zu tun ist – und zwar für die Gesellschaft.

Ein Film ohne Zweifel

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Letztlich entpuppen sich die USA dabei als so etwas wie eine vaterlose Gesellschaft. In der Abwesenheit ihrer Väter sind Nash und Carver nämlich geeint. Als ergäbe sich daraus eine ständige Prüfung, der sich die beiden unterziehen: Ich bin etwas wert, ich kann das schaffen, ich bin jemand. Gewinnen oder Verlieren, dazwischen gibt es nichts. Nash wird vom bodenständigen, ehrlichen Handwerker in einer geraden Linie zum korrupten Kapitalisten. Aber nur indem er ein Feudalverhältnis mit Carver eingeht, der für ihn zum Ziehvater wird – freilich ohne familiäres Vertrauen. Die eigentliche Familie lässt er beiseite: Mutter Lynn und Sohn Connor spielen keine große Rolle. Bahrani verzichtet auf psychologisierende Details, um die duellierende Logik seiner Filmsprache zu schützen. 99 Homes ist ein einfacher Film, der ohne jeden Zweifel auskommt. Wenn es um die eigene Existenz geht, werden die der anderen umso bereitwilliger vernichtet. Bahrani legt diese Barbarei in bewegte Bilder um, bleibt dabei völlig schnörkellos und erweist sich vor allem als gesellschaftlicher Chronist. Umwege, Details und menschliche Unwägbarkeiten haben hier wenig Platz. Das Soziale kapituliert vor der Antriebskraft namens Eigennutz. Damit schreibt Bahrani eine alte Geschichte neu – eine nostalgische Form von seltsamer Aktualität.

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