13th – Kritik
Netflix: Von der Abschaffung der Sklaverei zum Zeitalter der Masseninhaftierung. Ava DuVernays Dokumentarfilm ist eine Tour de Force durch die vielen Gestalten des US-Rassismus. Der Auftritt des nächsten Präsidenten ist kurz, aber umso prägnanter.

Erst spät hat der gerade zum neuen US-Präsidenten gewählte Donald Trump seinen großen Aufritt in Ava DuVernays Dokumentarfilm 13th. Es ist eine eindrückliche Montage, die bereits vor einigen Wochen als Clip durch die Facebook- und Twitter-Feeds geisterte. Zu sehen ist jene Wahlkampfrede, während der schwarze Aktivisten von der aufgeputschten Trump-Meute unsanft aus dem Saal entfernt wurden. Trump begleitete die Übergriffe rhetorisch, sprach von den „guten alten Zeiten“, in denen man noch wusste, wie man mit „solchen Leuten“ umgeht, von Zeiten, in denen solche Leute nicht auf ihren Beinen, sondern auf einer Bahre den Saal verlassen hätten. DuVernay schneidet zwischen diesen Vorfall Archivaufnahmen aus der frühen Phase der Bürgerrechtsbewegung: Aufnahmen eines Schwarzen, der auf der Straße von weißen Passanten herumgeschubst und geschlagen, schließlich regelrecht gejagt wird. Good ol’ days.

Die Sequenz ist auf eine Weise erschütternd, die über die übliche Trump-Empörung hinausgeht, weil die Montage eben nicht nur illustriert oder den unmenschlichen Hass mit seinen menschlichen Opfern konfrontiert, sondern weil sie das kollektive Gedächtnis der USA, auf das Trump hier zurückgreift, nicht nur zum Thema, sondern auch zum Bild macht. Trumps „good old days“ sind nicht nur nostalgische Verklärung eines großen Amerikas, sondern auch Sehnsucht nach einer Zeit, in der die „natürliche“ Verteilung gesellschaftlicher Positionen noch intakt war und durchgesetzt wurde. Trump spricht nicht offen über Rassen und Hautfarbe, benutzt kein N-Wort, schafft aber einen Rahmen, innerhalb dessen diese Dinge wieder sag- und denkbar werden – Dinge, die er selbst nicht sagen kann. Das ist das eigentlich Irritierende und Furchtbare an seinem Triumph, unabhängig davon, wie viele und welche seiner düsteren Vorhaben letztlich in Politik umgemünzt werden. Gefährlich sind nicht die irrationalen Ausbrüche und expliziten Beleidigungen eines einzelnen Verrückten, als der Trump so häufig dargestellt wird, sondern das Kalkül, mit dem er eben nicht explizit, sondern höchst subtil politische Affekte hervorbringt, die – wie es in Walter Benjamins berühmter Faschismus-Losung heißt – die Massen nicht zu ihrem Recht, sondern zu ihrem Ausdruck verhelfen; die ein diffuses Gefühl des Abgehängtseins in eine kollektive Ermächtigungsfantasie übersetzen.
Leere Signifikanten

Trump taucht, wie gesagt, erst spät auf in 13th, aber die subtile Macht der Sprache, das Verhältnis zwischen Ausdruck und Ausgedrücktem, sie stehen auch vorher im Mittelpunkt von DuVernays Film. Wenn die zuletzt mit dem Martin-Luther-King-Jr.-Biopic Selma (2015) erfolgreiche Regisseurin immer wieder einzelne Begriffe und Aussagen als große Lettern über die Leinwand jagt, dann mutet das zunächst wie eine etwas beliebige Strategie filmischer Betonung an, wird aber bald erkennbar als Ausdruck eines Kerngedankens des Films. „Criminal“, dieses Wort etwa wird stets eingeblendet, wenn es jemand in den Mund nimmt, sei es eine der unzähligen von DuVernay interviewten Experten oder eine historische Figur in einer der Archivaufnahmen. Dieses Wort wird deshalb als materieller Signifikant eingeblendet, weil es keine ihm äußerliche Realität beschreibt, sondern eben leerer Signifikant geworden ist: ein politisches Instrument und eine rhetorische Waffe, Paradebeispiel für das, was im Englischen als „dog-whistle politics“ bezeichnet wird. Wir sagen Kriminelle, wir meinen die schwarze Bevölkerung der großen Städte; das eine ist legitim, das andere ist verpönt; wir verstehen uns eh.
„Except as punishment for crime“

Dass diese Strategie, rassistische Formationen über Kriminalitätspolitik aufrechtzuerhalten, schon in die US-Verfassung eingeschrieben ist, das ist der Ausgangspunkt des Films und der Hintergrund seines Titels. Denn der 13. Verfassungszusatz schaffte nach dem Bürgerkrieg zwar Sklaverei und „involuntary servitude“ ab, formulierte aber im direkten Anschluss den Zusatz „except as a punishment for crime“. Es dauerte nicht lange bis zur ersten Inhaftierungswelle. 150 Jahre später, so die obligatorischen Schock-Statistiken des Films, sitzen 25 Prozent der weltweiten Gefängnisbevölkerung in den USA ein, muss im Schnitt einer von drei männlichen Afroamerikanern im Laufe seines Lebens ins Gefängnis, machen schwarze Männer weniger als zehn Prozent der US-Bevölkerung, aber fast die Hälfte der Knastbevölkerung aus. Der seit den 1970er Jahren exorbitante Anstieg der Gefangenenzahlen strukturiert den ersten Teil von 13th, der eine Art chronologischen Abriss über die unterschiedlichen Formen rassistischer Unterdrückung in der US-Geschichte darstellt. DuVernay gelingt es dabei, die markanten Unterschiede zwischen Sklaverei, Jim-Crow-Segregation und dem Zeitalter der Masseninhaftierung ebenso wie die Kontinuität der zugrunde liegenden rassistischen Bilder und Metaphern – etwa der Figur des schwarzen Vergewaltigers – filmisch herauszuarbeiten.

Dass rassistische Formationen sich ständig wandeln, dass sie ebenso robust wie anpassungsfähig sind, das ist so etwas wie die Hauptthese von 13th. DuVernay macht es sich dabei nicht so leicht, die Agency hinter solchen Anpassungen bei einem bestimmten Akteur zu verorten: den Weißen, dem Staat, dem Kapitalismus. Vielmehr springt 13th zwischen rassistischen Diskursen und Bildern, repressiven Staatsorganen und US-Wirtschaft (etwa wenn es um den sogenannten Prison-Industrial-Complex geht) stetig hin und her, macht Rassismus als komplexes Dispositiv kenntlich, das genealogisch noch immer viel mit dem Ende der Sklaverei zu tun hat. Solche historischen Linien nachzuzeichnen anstatt den Rassismus fatalistisch als Immergleiches zu fassen oder als bloßen Rückstand in eine Fortschrittsgeschichte einzuweben, das ist eines der größten Verdienste des Films.
Hip-Hop als Übersetzung

Dass Widerstand und Hoffnung ein Platz in jedem Narrativ der Unterdrückung gebührt, das gehört zum guten Ton politischer Dokumentarfilme, und natürlich erzählt DuVernay die Geschichte des Rassismus in den USA nicht als bloßes Klagelied von Macht und Unterdrückung, sondern als dynamischen Prozess zwischen neuen Formen des Widerstands und den entsprechend neuen Formen sozialer Kontrolle, erinnert etwa an die gezielten und aufwändigen Kriminalisierungsstrategien, mit denen der Staat in den 1970er Jahren der Black-Power-Bewegung entgegentrat. Eine weitere Gegenerzählung findet im Film selbst statt. Immer wieder werden die einzelnen Abschnitte durch Hip-Hop-Tracks zusammengenäht, deren Lyrics ebenso wie die Schlagworte rassistischer Rhetorik als Text ins Bild integriert sind. Auch das ist konsequent, sind diese Texte doch so etwas wie die Rückübersetzung der dog-whistle-politics, reißen den vermeintlich farbenblinden Diskursen um Recht und Ordnung ihre Kleider vom Leib, um vom nackten Überlebenskampf unter rassistischen Bedingungen zu sprechen.
Und schließlich ist 13th nicht nur eine bildgewaltige Reflexion über Rassismus, sondern macht die Notwendigkeit von Bildern selbst zum Thema. Wenn im letzten Teil des Films auch zahlreiche der über das Internet verbreiteten Videos von mordenden Polizisten ihren Platz finden, dann stellt DuVernay dieses Verfahren in eine historische Reihe mit anderen medialen Aufbereitungen rassistischer Gewalt, die deren nationale Skandalisierung überhaupt erst möglich machten: den slave narratives des 19. Jahrhunderts, den Fotografien von Lynchings oder dem Leichnam von Emmett Till, den Fernsehbildern von Alltagsgewalt in den Südstaaten der 1960er Jahre. Das Plädoyer für die Sichtbarmachung ist auch als Waffe gegen die Strategien der Unsichtbarmachung der Gegenseite zu verstehen. Die nämlich ist nicht nur dumm und gefährlich, weiß eben doch oft sehr genau, was sie da sagt und wer es hören und verstehen wird.
Neue Kritiken
Monster: Die Geschichte von Ed Gein
Dracula - Die Auferstehung
Frankenstein
Danke für nichts
Trailer zu „13th“

Trailer ansehen (1)
Bilder




zur Galerie (14 Bilder)
Neue Trailer
Kommentare
Es gibt bisher noch keine Kommentare.








