Nachmittags im Martin-Gropius-Bau. Rissenbeek und Chatrian sind die neuen Berlinale-Chefs
Über die Sonderbarkeiten am Ende eines hitzigen Findungsprozesses.

Es ist der erste öffentliche Auftritt der neuen Berlinale-Chefin. Mariette Rissenbeek ist auch an diesem Tag zurückhaltend. Sie steht im Hintergrund. Das tut sie oft. Bisher war sie Geschäftsführerin von German Films, einem Unternehmen, das deutsche Produktionen ins Ausland vermittelt und weltweit Festivals organisiert. Als sie den Gang entlang kommt im Martin-Gropius-Bau und sich alle Köpfe recken, um zu sehen, wer da nun präsentiert wird, gibt es erstmal keinen Grund zu denken, Rissenbeek sei die Auserwählte, schließlich war sie, zumindest soweit bekannt, bis zuletzt Teil der Findungskommission, die dafür zuständig war, eine neue Berlinale-Leitung zu finden.
Nun lagen die Dinge hier ohnehin etwas ungewöhnlich, weil die Findungskommission ausschließlich aus drei Mitgliedern des Aufsichtsrats der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) bestand, dem Träger der Berlinale. Es war von Beginn an klar, es würde eine Entscheidung der Politik werden, und die wollte sich Kulturstaatsministerin Monika Grütters nicht nehmen lassen. Sicherlich einer der Gründe, warum es weder eine Ausschreibung noch eine mit Experten besetzte Findungskommission gegeben hat, und erst recht kein transparentes Verfahren. Manche werden sich daran erinnern, dass der Filmpublizist Wolf Donner 1976 eine Findungskommission für die Nachfolge des Berlinale-Gründungsdirektors Alfred Bauer anführte – und schließlich selbst Direktor wurde.

Die Lage ist nun eine andere, vor allem schon deshalb, weil es künftig eine Doppelspitze geben wird. Rissenbeek ist zwar formal Nachfolgerin von Dieter Kosslick auf dem Posten der Geschäftsführung, ihre Position wird dennoch nicht dieselbe sein, da ihr zur Seite ein künstlerischer Direktor steht, der möglichst große Freiräume erhalten soll, so hört sich jedenfalls Grütters’ Ankündigung an. Der Name von Carlo Chatrian, bisher künstlerischer Leiter des großartigen Filmfestivals in Locarno, war bereits am Dienstagabend durchgesickert, vielleicht auch, um die vielen Kritiker des intransparenten Verfahrens zu beruhigen. Chatrians Wahl stößt in der Tat sowohl bei Filmjournalisten als auch bei der Gruppe von Filmschaffenden, die im Herbst in einem Offenen Brief einen Neuanfang bei der Berlinale forderte, auf breite Zustimmung. Kein Wunder, denn Chatrian ist ausgewiesener Filmexperte, ist Autor und Herausgeber eines Dutzends Filmbücher, hat als Kritiker gearbeitet und für viele sehr unterschiedliche Filmfestivals.
In Locarno hat er das bereits unter Olivier Père stark cinephil geprägte Profil beibehalten und ein angenehm unaufgeregtes Fest veranstaltet, das immer herausfordernd war, aber nie einseitig. Und dass Locarno viele Zuschauer anlockt (über 170.000), das ist für eine gewisse Hauptstadtpresse wie für die Politik ein gefundenes Fressen, war aus beiden Richtungen schließlich immer wieder gefordert worden, die Berlinale müsse unbedingt Publikumsfestival bleiben. Dabei wird oft vergessen, dass die Berlinale zwar viele zahlende Zuschauer hat, Fachbesucher von Jahr zu Jahr aber weniger Filme gucken. Und dass man auch überhaupt erstmal definieren muss, was Publikumsfestival heißt und ob es dabei auch um mehr als nur absolute Zahlen gehen darf.

Die Zeichen von Grütters zur Aufstellung der Doppelspitze sind widersprüchlich. In ihrer Rede sagte sie: „Die künstlerisch-kuratorische Leitung der Berlinale wird Herr Carlo Chatrian übernehmen. [...] Ihm zur Seite stehen wird Frau Mariette Rissenbeek als Geschäftsführerin. In dieser Funktion wird sie die Gesamtverantwortung tragen und Herrn Chatrian in den nicht-programmatischen Aspekten unterstützen. Dazu gehören unter anderem die Budgetverantwortung, die Organisation der gesamten Festivallogistik und – mit Herrn Chatrian zusammen – auch die Betreuung der Sponsoren.” Das klingt nicht nur nach einer klaren Aufgabenverteilung, sondern auch nach einer Hierarchie zugunsten Chatrians. Auf Nachfragen ergänzte sie dann aber, dass die Verträge zwar so gestaltet seien, dass beide auf Augenhöhe agierten, dass im Konfliktfall Rissenbeek aber als haftende Geschäftsführerin auf ihr Recht pochen müsse.
Wer Chatrian und Rissenbeek über die Jahre auch nur aus der Ferne beobachtet hat, kann sich ohnehin nicht so leicht vorstellen, dass es zu einem wirklichen Dissens kommen könnte. Viel wahrscheinlicher ist, dass beide austarieren, was die Berlinale künftig ändern muss, was sie soll und was sie kann, und dabei Kompromisse suchen. Dafür dürfte es durchaus hilfreich sein, dass Rissenbeek eine ungemein freundliche und höfliche Art hat, die zumindest öffentlich keine Kante zeigt. Zu wünschen wäre, dass sie nach innen nicht zu viel Vorsicht bei der nötigen Erneuerung walten lässt.
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