Everything Will Be Ok – Im Berlinale-Fieber
Rithy Panhs Everything Will Be Ok kramt nochmal Kubricks Monolithen hervor. Wenn das Kino eine präzise Waffe sein kann, ist sein neuer Film eine Atombombe.

Eine Revolution ist passiert, die Unterdrückten haben gesiegt: Affen, Wildschweine, Löwen usw. haben die Menschheit vom Thron der Erde gestoßen, haben die lange Zeit der Gewalt überwunden. Ein paar Denkmäler stehen noch da draußen, aber bald werden Eiffelturm und Freiheitsstatue abgerissen. Die Menschen sind eingesperrt, zusammengepfercht, bedroht von den bewaffneten Bestien. Das ist die Grundidee von Rithy Panhs neuem Film Everything Will Be Ok, damit geht er auch im Voice-over ziemlich selbstbewusst um: „Jedes Volk hat seine Fabel“, wird da zu Beginn gesagt, und Rithy Panh will die der Menschheit liefern.

Auch wenn der kambodschanische Regisseur ein längst etablierter Dokumentar- und Essayfilmer der Gegenwart ist: Die filmische Position, an der er seit Irradiés arbeitet, ist noch eine neue. Nicht als der große Chronist des Völkermords in Kambodscha tritt er mehr auf, inzwischen soll darüber nachgedacht werden, warum Menschen einander überhaupt Gewalt antun. Wie im letzten Film passiert das in Everything Will Be Ok meist über einen Splitscreen. Der Sturm der Bilder nimmt wieder Fahrt auf: Mao, Pol Pot, Stalin, Hitler, Lenin, Fritz Lang, Alain Resnais, Eisenstein, Vertov. Küken schreddern, Kühe schlachten, Schweine köpfen, Menschen erhängen. Darüber ein Voice-over im zuverlässig wirren stream of (un-)consciousness-Modus. Puh.

Solche Bilder werden geliehen, die anderen mit Tonfiguren selbst erschaffen, ähnlich wie in The Missing Picture [LINK]. Herrschaftsbilder von Natur über Menschheit, die die Herrschaft der Menschheit über Natur meinen. Bilder von einer befreienden Revolution, die nie befreiend war, die nur eine weitere protofaschistische Gesellschaft erschaffen hat: Neue Denkmäler werden gebaut, eine Schweine-Freiheitsstatue mit Smartphone statt Fackel etwa, mit Flaggen marschiert wird auch, ein Wildschwein probt Hitlers Gesten, das Kino wird als Propagandamaschine gezeigt, die direkt mit den Köpfen verdrahtet ist – und dann wird irgendwie auch noch geimpft.

Ganz klar ist nicht, was Rithy Panh da anstellt, ob das wirklich alles so linear gedacht ist, wie es manchmal scheint. Auf jeden Fall lässt sein Film es offen, und auf keinen Fall ist das eine kluge Entscheidung, wenn man am Anfang noch ankündigt, „tiefgründige Bilder“ in petto zu haben. Denn wie tief geht es, wenn die Bilderflut zur überwältigenden Force Majeure wird? Wenn der Subjektivität der Zuschauenden kaum noch Chancen gelassen wird? Vielleicht ist die größte Leistung von Rithy Panh tatsächlich, die so stark aufgeladenen Bilder der Filmgeschichte letztlich zu entleeren. Da steht am Anfang sogar Kubricks Monolith, nur eben nicht rätselhaft, sondern egal. Kann sogar sein, dass Everything Will Be Ok mit all dem bei jemandem einen Nerv trifft, aber dann nicht, weil sein Film eine präzise Waffe wäre, sondern eine Atombombe, die alles plattmacht.
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