Europa – Im Cannes-Fieber

In der Quinzaine des Réalisateurs läuft Haider Rashids dritter Spielfilm Europa. Der Italo-Iraker folgt darin einem Flüchtling über die türkisch-bulgarische Grenze. Inszeniert als bitteres Abenteuer und als filmische Achterbahnfahrt.

Immersion ist das Zauberwort. Um Empathie geht es. Einem Flüchtling ganz dicht auf der Spur. Den Atem spüren, die Schmerzen an den Füßen, den Ekel, die Furcht, die Orientierungslosigkeit. Europa ist ein Konzept-Film. Was passiert mit dem Publikum, wenn es nichts weiß über den Protagonisten – außer dass er versucht, nach Europa zu kommen – und ihm dann komplett ausgesetzt ist? Schauspieler Adam Ali hat ein weiches Gesicht. Bübisch wirkt es, und elektrisiert von der Situation, von der Flucht in der Nacht, dem Verstecken vor der bulgarischen Militia. Die Kamera klebt an diesem Gesicht, sucht selten den Blick aus seiner Perspektive, aber alles ist subjektiv, weil der Horizont nie weiter reicht als der von diesem jungen Mann.

Der Film ist ein Humanitäre-Mission-Statement und als solches nicht unbedingt besonders ertragreich, aber was soll hier auch erzählt werden, nachgefühlt werden, was keiner nachfühlen kann, der nicht selbst in dieser brenzligen, vermutlich aussichtslosen und trotzdem hoffnungsvollen Lage einmal war. In diesem Sinn ist die Konzentration auf das Genre-Erlebnis, den Thrill durch den Parkour-Lauf, konsequent, weil es uns verbindet, das kennen wir. Zu sich findet der Film besonders dann, wenn andere Menschen ins Spiel kommen, ihm zur Gefahr werden oder gar zu helfen scheinen. Weil dann für einen kurzen Moment die Frage aufkommt, an welcher Stelle wir Zuschauer*innen stehen.

Es tun sich Optionen auf, Verhältnisse spielen eine Rolle, ohne dass sie artikuliert werden müssten. Das Schönste an Europa ist, wie ambivalent, offen, merkwürdig der Film entgegen allen Ansprüchen auf eine eindeutige Parteinahme doch ist. Trotz allen Effekten und dem Wunsch, direkten Zugriff auf Affekte zu nehmen, gibt es auch eine Freiheit beim Zuschauen, die nicht selbstverständlich ist. Choose your own adventure: Es überrascht nicht, dass Erfahrungen mit Virtual Reality ihren Einfluss hatten. Doch ob 360°-Kamera oder 2D, die Krux bleibt, dass Erfahrung sich nicht substituieren lässt, egal wie nah die Bilder auch dran sind.

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