Essential Truths of the Lake – Im Locarno-Fieber

Lav Diaz verwebt Umweltaktivismus, Performancekunst und Drogenhandel zu einer filmischen Reflexion über Polizeigewalt. Essential Truths of the Lake siecht mitunter wie gelähmt vor sich hin, und springt dann wieder wild umher.

Lieutenant Hermes Papauran (John Lloyd Cruz) ist verkopfter und idealistischer als all die hart durchgreifenden, weil konsequent der Nulltoleranzstrategie Rodrigo Dutertes verpflichteten Polizisten. Und auch intellektueller: Das zumindest bescheinigt ihm sein etwas dubioser, wohl ins Verbrechen verstrickter, mit Polizisten also erfahrener, aber letztlich auch nicht dingfest zu machender Gegenüber. Er ist nur einer von vielen vielversprechenden, aber letztlich hoffnungslosen Begegnungen Papaurans bei der Untersuchung des inzwischen 15 Jahre alten Falls der verschwundenen Esmeralda Stuart (Shaina Magdayao), von dessen Aufklärung er wie besessen ist. Papauran ist eigenwillig und Diaz’ recht explizite Reflexion der philippinischen Polizei und ihrer beispiellosen Härte ist es auch. Der letzte Film auf meiner Gesehen-Liste, der sich diesem Komplex widmete, war Brillante Mendozas Alpha: The Right to Kill (2018), der im Action-Modus eine Schlacht zwischen zwei verhärteten Fronten in den Straßen Manilas inszenierte. Mendoza ließ uns einem Kräftemessen beiwohnen, Lav Diaz hingegen zieht uns in einen regelrechten Kraftakt von über dreieinhalb Stunden hinein.

‚Langweilig‘ müsste man diesen Film nennen, wenn das Wort seine böswillige Konnotation abstreifen und in seinem wahrsten Sinne gelesen würde. Denn Diaz dehnt durch seine Inszenierung die objektive Zeit für das subjektive Empfinden noch weiter aus, hält die schwarzweißen, tableauartigen Einstellungen lange, lässt seine Figuren in steter Ferne und damit kaum ein emotionales Eintauchen in sie zu. Dazu wechselt Essential Truths of the Lake zunächst beinahe unkenntlich zwischen den Zeitebenen: der von Stuart im Jahre 2005, und der von Papauran, in der nur vom „Philipenean Eagle case“ die Rede ist, während Stuarts Geschichte ein bisschen losgelöst nebenherläuft. Und obendrauf ist das Leben dieser Esmeralda Stuart selbst nicht viel geordneter. Eine sprunghafte Frau sei sie gewesen, ein Wirbelwind der Interessen. Prostitution in der Welt des Drogenhandels, Kunststudium, Performancetheater, Model, Umweltaktivismus, Schauspielerin, umweltaktivistisches Performancetheater.

In Essential Truths of the Lake prasselt das alles von Beginn an auf einen ein, als wäre Esmeralda Stuart längst jedem bekannt: Also gibt es bewaffnete Gewaltexzesse in Zeitlupe, nackte Körper auf der Bühne, gibt es Klimaproteste in Vogelkostümen, Modeshows, einen Film im Film, und natürlich Papauran, der sich in all das hineinbegibt, hier und da die Geschichten von Esmeralda Stuart sammelt und sich genau wie der Film in ihnen verliert. So entsteht ein eigenartiger Rhythmus: Eine Erzählung siecht in tropischer Wärme wie gelähmt dahin und springt gleichzeitig wie wild in noch jedes Motiv hinein, dabei entstehen Szenen, die nur bei sich sind und gerade damit dem ganzen Film dienen. So ergeht es den Räumen des Films, die sich oft ganz allein behaupten müssen und in ihrer Unverbundenheit verbunden sind. Die dabei seltsam undurchdringbar sind und damit im Zeichen einer Geschichte über die Undurchdringbarkeit einer Welt stehen. Manchmal wünsche ich mir, Brillante Mendoza würde hier ein bisschen aufräumen und klare Verhältnisse von Feind und Freund, von Wahrheit und Lüge, von Gut und Böse schaffen. Aber gerade indem er diesen Wunsch aufkommen, aber dann unbefriedigt lässt, während die Kategorien langsam und konsequent zerfließen, bekommt Diaz’ neuer Film eine ästhetische und politische Bedeutung.

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