Die Rückkehrerinnen – Im Cannes-Fieber
Erste Eindrücke zu Filmen aus dem Cannes-Programm. Heute Davy Chous All the People I’ll Never Be (Un Certain Regard) und Léa Mysius’ The Five Devils (Quinzaine des Réalisateurs).
All the People I'll Never Be von Davy Chou

Manch ein Film hätte den emotionalen Bogen, den Davy Chou in All the People I’ll Never Be (Retour à Seoul) über ganze acht Jahre legt, eifrig über die zwei Wochen gespannt, die Freddie zunächst nur in Seoul bleiben wollte. Als Baby von einem französischen Ehepaar adoptiert, ist sie das erste Mal in ihrem Geburtsland, spricht kein Koreanisch, kennt die Gepflogenheiten nicht, etwa dass man sich nicht selbst den Soju nachschenkt, weil das die Gastgeber beschämt. Ob die Idee, über das Adoptionsbüro ihre leiblichen Eltern zu kontaktieren, schon in Freddie gärte, oder ob sie tatsächlich erst durch ihre erste koreanische Bekanntschaft drauf kommt, bleibt ungewiss, aber Freddie zieht den Plan durch, lernt ihren Vater kennen, findet einen gebrochenen Mann mit Alkoholproblem, der alles wiedergutmachen will und alles nur noch schlimmer macht.
Dann springt der Film, versenkt zwei Jahre im Nichts, und siehe da: Freddie ist in Korea geblieben, bewegt sich durch eine arty Feierkultur nun wirklich wie durch ein Zuhause. Seoul ist ein Abenteuerspielplatz geworden, Freddie genießt einen Doppelstatus als zugleich In- und Outsiderin, genießt auch den Sex, die Drogen, das Leben, nur ihre Geburtstage hasst sie weiter wie die Pest. Der Vater meldet sich wieder, trinkt weniger, eine Annäherung ist möglich, und irgendwann, wiederum Jahre später, reagiert auch die Mutter auf die Telegramme des Adoptionsbüros.
Return to Seoul ist so episch angelegt wie im Moment lebend, er nähert sich den kulturellen Unterschieden mitunter durchaus plakativ, aber stets plausibel. Vor allem übersetzt er die Entdeckung einer Heimat und die Fragen von Zugehörigkeit und Entfremdung nicht in speziell dafür auserkorene Szenen, sondern in die ganze Figur der Freddie, die an ihrem Leben nicht zerbricht, aber doch strugglet, die stets selbstbestimmt und eigensinnig mit ihrer Herkunft umgeht und doch nie so ganz die Identität als Adoptivkind abstreifen kann.
The Five Devils von Léa Mysius

Joanna schwimmt gern im eiskalten Wasser, der aus dem Senegal eingewanderte Jimmy ist Feuerwehrmann, die gemeinsame Tochter Vicky hat einen im wahrsten Sinne des Wortes unglaublichen Riecher, und alle werden sie heimgesucht von der Vergangenheit, die in Form von Jimmys Schwester Julia, im Gegensatz zu ihrem Bruder in Frankreich geboren, die filmische Welt von Léa Mysius’ zweitem Film The Five Devils (Les cinq diables) betritt. Und was für eine filmische Welt, mit viel visuellem und musikalischem Pomp in die erhabene Kulisse der französischen Alpen gemeißelt. Mysius ist wie schon in ihrem Debüt Ava eine meisterhafte Etableurin, sie erhöht die stakes der Erzählung durch einen brennenden Prolog, führt uns dann durch das Haus der Familie und beginnt im Hintergrund schon kaum merklich, eine Geschichte mit allerlei Twists und Turns vorzubereiten.

Wie gut diese Geschichte funktioniert, darüber ließe sich wohl streiten. So ganz stimmig wirkt das Geschehen nicht, wenn die kleine Vicky über ihren spektakulären Geruchssinn irgendwann sogar in die Vergangenheit reist, wo sie entdecken muss, dass nicht ihr Vater, sondern ihre Tante einst die große Liebe ihrer Mutter war. Schön ist The Five Devils, weil seine Bilder die Vorbehalte in die nachträgliche Reflexion verbannen, weil Mysius Gegenwart und Vergangenheit wenn schon nicht dramaturgisch, dann doch inszenatorisch zu einem pulsierenden Komplex von einem Film verwebt, in dem irgendwann die großen Gefühle übernehmen, und natürlich, drunter macht sie’s nicht, zu Bonnie Tylers Total Eclipse of the Heart als Leitmotiv.
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