Deutschland-Bilder – Im Berlinale-Fieber

Erste Eindrücke zu Filmen der Berlinale: Heute zu neuen Filmen von Christian Petzold und Christoph Hochhäusler.

Ein Arschloch in der Tradition der Dichter und Denker seines Landes. Der Wald brennt längst um das Ferienhaus an der Ostsee herum, aber der Wind weht zum Glück so, dass der Autor unbehelligt bleibt. Sein Buch heißt „Club Sandwich“, und bei allem, was wir davon mitbekommen, steckt nicht viel Außenwelt, nicht viel Waldbrand da drin. Der Dichter und Denker ein vielleicht typischer westdeutscher, männlicher Autor, der in den inneren Monologen – nicht umsonst heißt der tolle Titeltrack von Roter Himmel „In My Mind“ – seiner Protagonisten versteckt, was er sich gegenüber seinen Mitmenschen nicht auszudrücken traut. Leon ist gerade genug Karikatur, dass man den Subtext genießen kann, gerade genug Figur, um der Filmhandlung dennoch die Treue zu halten.

Auf Kosten der Anderen

Leon redet ständig übers Arbeiten, prokrastiniert aber nur, sobald er alleine ist. Felix, der das Ferienhaus seiner Mutter als artist retreat zur Verfügung gestellt hat, will erstmal nur ankommen, will am Strand chillen, kommt dabei aber auf entscheidende Ideen für seine UdK-Bewerbungsmappe, die Leon ihm nicht gönnen kann. Er macht sich lieber über die Einheimischen lustig, die Uwe Johnson falsch aussprechen, um bei seinem Verleger einen Joke zu landen. Nirgends so deutlich wie in dieser klugen Szene, die fast noch Emily Atefs Verhältnis zu Ostdeutschland aufs Korn nimmt: Leon lebt auf Kosten der Anderen.

Die schöne Nadja, die wegen einer unvorhergesehenen Doppelbelegung das Haus mit den beiden Jungs teilen muss, ist nett zu Leon, kommt aber auch nicht weiter: Paula Beer als zunächst erratische Präsenz im Off, dann wie schon in Undine (2020) als akademisches Prekariat, in diesem Fall als im Sommer Eis verkaufende Doktorandin ohne Stipendium.

Das Meer hat keine Ränder

Im Gegensatz zu Leon hat Felix kein Problem mit dieser Nadja oder mit dem ortsansässigen Rettungsschwimmer Devid, der das Quartett bald komplettiert und den Leon zur Irritation aller Anwesenden ständig zum Bademeister degradieren will. „Naja, das Meer hat ja keine Ränder“, ist einer der grandios komischen Sätze dieses Films, Kevins Deadpan-Antwort auf einen doofen Beckenrand-Spruch von Leon.

Dann kommt noch der Verleger im Körper von Matthias Brandt am Haus vorbei und bringt den Autor in Verlegenheit. Liest ihm die eigenen selbstbetrunkenen Sätze vor, während über den Köpfen der beiden Literaten die Helikopterblätter rotieren, der Katastrophe Herr zu werden versuchen, was man von denen da unten nicht behaupten kann.

Alle sind Meer in diesem Film, nur Leon ein Schwimmbecken mit nichts als Rändern: souverän flirtende Frauen, Deutsche of Color (Felix wird von Langston Uibel gespielt) und fesche Ossis, die oben ohne das Dach reparieren und sich dabei näherkommen. In den Spiegeln, die ihm vorgehalten werden, erkennt sich der westdeutsche Hetero-Autor noch immer nicht selbst. Im emotionalen Gedächtnis gespeichert sind nur die Kränkungen des Künstlers, das Begehren versteckt sich im Text, das Liebesgeständnis ist höchstens letzter Ausweg aus der Bredouille. Weil Thomas Schubert diesen Leon spielt, reibt sich das Ich-Ideal schon am unbeholfenen Körper, steckt schon im ewig genervten Blick die ganze Selbstbezüglichkeit.

Die éducation sentimentale des Protagonisten, der erkennen wird, dass es eine Welt um ihn herum gibt, der die eigene Verletzlichkeit endlich in sein Schaffen aufzunehmen weiß und damit den ersehnten Literatur-Treffer landet, führt zu einem romantischen, aber doch mindestens vergifteten Happy End: Der deutsche Dichter und Denker als Anpassungskünstler par excellence verleibt sich noch den Tod und die Katastrophe ein, während diejenigen, die den Rohstoff seiner zur großen Kunst geronnenen Erfahrung liefern, auf der Strecke bleiben, buchstäblich den Klimatod sterben. Eine romantische Dystopie, vielleicht nicht die schlechteste Gegenwartsanalyse.

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Noch so ein Typ, der zum Weinen erstmal Zwiebeln braucht, steht im Zentrum von Bis ans Ende der Nacht von Christoph Hochhäusler, in einem Film, der sehr dezidiert neue Bilder schaffen will. Der Hard-Boiled-Cop ist schwul, die Femme Fatale eine trans Frau, die beiden waren mal ein Paar, als Leni noch Lenard war, dann kam sie in den Knast, und jetzt bewacht er ihre Bewährung, und beide sollen zugleich undercover einem Techno-Produzenten und Rauschgiftzar das Handwerk legen.

Kein Sommermärchen mehr, das hat Angela Schanelec ja eh schon erledigt, sondern Deutschland Noir in Frankfurt, mit viel Pakula-Paranoia im Bild. Drogengeschäft meets Plattformkapitalismus, Genre-Räume, Genre-Dialoge, aber Reinhold Vorschneiders Kamera will wie immer bei Hochhäusler auf etwas anderes raus, schwenkt elegisch von rechts nach links oder von links nach rechts, ertastet Oberflächen, der Körper, der Räume, der Begehren, lässt sich zum Glück von keinen Krimi-Plot-Points aus der Ruhe bringen, sucht die freie Liebe, sucht undercover nach der Flucht in ein anderes Leben.

In Transition

Oberflächlich mutet auch – vor allem angesichts der vielen tollen Filme mit trans Themen in den Nebensektionen, allen voran Paul Preciados Encounters-Beitrag Orlando: My Political Biography – der Umgang mit dem Motiv der Gender-Transition an, denn jeder Topos, der damit auch im Mainstream mittlerweile assoziiert wird, bekommt seinen Platz im Drehbuch. Das hat wohl schon strukturelle Gründe, denn mit dem Genre-Gebäude steht die Frage des Generischen unweigerlich im Raum: Wer hat hier welche dramaturgische Funktion, wer ist singulär, wer Projektionsfläche, wer steht ein für eine Erfahrung? Können tradierte Erzählformen so mir nichts, dir nichts neue Agencies aufnehmen, ohne sich selbst fundamental zu verändern bis aufzulösen, ist das Neue nicht immer erstmal Fetisch? Was macht die Genre-Verhaftetheit eines Regisseurs mit der (Zwei-)Geschlechter-Verhaftetheit der Gesellschaft, und andersherum?

So richtig geht die Sache nicht auf, zwei Filme schlagen in dieser Brust, aber wenn sie aufginge, würde vielleicht auch etwas nicht stimmen. Der Film scheint selbst im Übergang, in Transition, könnte man sagen, und schon ist aus der Lebensrealität wieder Metapher geworden, und die klingt ziemlich nach Freifahrtschein.

Aber nochmals anders gewendet: Es kann hier nicht alles „richtig gemacht“ werden, und der Film weiß das, und vielleicht ist an ihm das Gute, dass er überhaupt macht, dass er sich nicht, wie Petzold irgendwie dann doch, mit den Lügen der Sieger zufrieden gibt, sondern Bis ans Ende der Nacht gelangen will, wo seinem Ende ihr Anfang innewohnt.

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