Der ganze Hass – Im Cannes-Fieber
Je besser die Filme, desto härter die Urteile. In Cannes haben es herausragende Talente nicht einfach, enttäuschte Liebe lässt sie tief in der Gunst fallen. Notizen zu Triangle of Sadness und Holy Spider.

Ruben Östlund hat mit Triangle of Sadness keinen schlechten Film gemacht. Und auch Shooting Star Ali Abbasi, der 2018 mit Border (Gräns) in Cannes in der Nebenreihe Un Certain Regard zum Geheimtipp mutierte, ist ein begabter Regisseur, dessen Inszenierungstalent in Holy Spider nun im Wettbewerb zu besichtigen ist. Es gehört zu den Eigenarten des Festivalzirkus, dass einzelne Personen, vor allem männliche Regisseure, zu Stars oder gar zu Marken werden. Das kann für Hypes und Kontroversen sorgen. Im Fall von Abbasi ist es komplizierter, weil er gerade erst dabei ist, sich zu etablieren.
Holy Spider von Ali Abbasi

Mit seinem dritten Spielfilm ist der iranischstämmige, in Dänemark lebende Regisseur nun auf der großen Bühne angekommen, und die Scheinwerfer tun seinem Film nicht gut. Es ist in mehrerer Hinsicht ein Rückschritt im Vergleich zu seinem so vielschichtigen wie eigenartigen Vorgänger, der Märchenelemente mit Sozialpastiche verband und vor allem ungemein starke, aufgeladene wie einprägsame Bilder schuf.
Holy Spider wiederum ist ein Film, der im Iran spielt, die dortige gesellschaftliche Realität zu fassen kriegen will, im Gewand des Serienkiller-Thrillers, der auf einer wahren Geschichte fußt. Religiöser Fanatismus ist das Feindbild, das, was man dem Film auch zugute halten kann, als Feindbild ziemlich blass und seltsam impotent daher kommt. Zwei Erzählstränge durchziehen den Film: Wir folgen einerseits dem Serienmörder, der das Säubern der Stadt von sich prostituierenden, meist auch drogenabhängigen Frauen zum Ziel hat. Andererseits sehen wir eine junge Journalistin, die aus Teheran zum Tatort, der Pilgerstadt Maschhad, gereist kommt, und sich selbst ständig in Gefahr bringt, auf den Spuren eines Politik-Kirche-Gericht-Mörder-Korruptionskomplexes.

Wenn spät im Film ein Gerichtsprozess beginnt, und die Verworrenheit dieses Machtsystems sich zu entfalten beginnt, wird der vorher noch so eindeutige Filme plötzlich nuancenreicher, offener. Doch das bleibt nur von kurzer Dauer, weil die narrative Verdichtung im Vordergrund steht. Holy Spider lässt mich zweifeln an meinen Eindrücken von Border: Hier beobachte ich einen Regisseur, der für keine seiner Figuren und Konstellationen Achtung zu haben scheint, der alles als Schachbrett für den Effekt seiner Entlarvung betrachtet und am Schluss noch auf eine Homevideo-Sequenz à la Haneke setzt, um den ganzen Horror einen Spin weiterzudrehen, als hätte es 1992 geschlagen. Doch die Zeiten von Benny’s Video sind vorbei, unsere mediale Erfahrung ist eine andere, Amateur-Horror soll uns schocken, na danke.
Triangle of Sadness von Ruben Östlund
Triangle of Sadness von Ruben Östlund tue ich mit Sicherheit auch Unrecht. Seine ersten Filme (vor allem Höhere Gewalt, 2014) gehörten zu meinen Festivalhighlights der jeweiligen Jahre, doch seit The Square gehe ich nicht mehr mit. Bei Triangle of Sadness kann ich mich noch nicht einmal mehr so richtig aufregen über die Misanthropie und die didaktische Ader des Regisseurs. Vielmehr stehe ich mit vielen Fragezeichen vor diesem Film, der in der Modewelt mit einem Casting männlicher Schönheiten (darunter Harris Dickinson) beginnt, um dann in eine Beziehungskrise zwischen zwei Models zu gleiten, bevor es auf einer Luxusyacht ein ganzes Freak-Kabinett von Reichen und Superreichen aufeinander loslässt (nicht zuletzt mit Iris Berben als Frau nach einem Schlaganfall, die nur einen immergleichen Satzfetzen von sich gibt: „In den Wolken“).

Seit zwei Tagen schwirrt mir ein Satz aus Jonathan Romneys Kritik in Screen im Kopf herum: „This film somewhat defeats its own rhetorical purpose by coming across as a prestige commodity, and while the polish is essential to its satirical intent, Triangle Of Sadness brings nothing substantially new to warrant the somewhat over-inflated execution.“ Ich bin mir nicht sicher, ob ich der ersten Hälfte zustimmen will, dass eine Satire von Konsum, Exzess, Reichtum und abstrusen Gewohnheiten in und mit sozialen Medien sich nicht selbst süffig zum Konsum anbieten darf. Eher würde ich sogar sagen, dass mich das Gegenteil langweilen würde, eine Konsumkritik, die sich besonders spröde gibt und sich dem Konsum verweigert. Das Problem an Triangle of Sadness ist eher, dass sich alles immer wieder zu sehr einfach lesbaren Bildern fügt, dass der Nihilismus (wie es Hannah im Podcast nannte) nicht weit genug, nicht konsequent genug durchdekliniert wird, sondern eine Form von Eigentlichkeit und Stringenz der Motive und Figuren behauptet wird, die es für die Wirkung der Satire vielleicht braucht, die aber dem anarchischen Potenzial entgegensteht, das in den schönsten Szenen aufscheint.
Sehr treffend finde ich die Formulierung der „over-inflated execution“, die Romney wählt, um die Inszenierung zu beschreiben, denn tatsächlich fühlt sich das Kino von Östlund spätestens seit The Square ziemlich gewaltig, imposant, eindrücklich, aber auch bisweilen Eindruck schindend an. Ich mag das, aber bin müde von all dem Hass. Vielleicht ist mein Impuls der Ablehnung einfach das.
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