Berlinale 2011: Einbrüche ins Paralleluniversum. Über Submarine, E-Love, Bergman
Die Geschehnisse in Ägypten sorgen dafür, dass ich bei der morgendlichen Zeitungslektüre zum ersten Mal während einer Berlinale im Politikteil hängenbleibe und nicht gleich zu den Filmkritiken des Vortages weiterblättere. In Ägypten hat der Pharao abgedankt, in Algerien werden Proteste niedergeknüppelt, die Welt wartet gebannt, was als Nächstes passiert.
Auch in den Twitter-Feed mischen sich atemlose Meldungen aus Kairo, die zwischen den schlaumeierischen Kurzkommentaren zum letzten Wettbewerbsfilm wirken wie der Einbruch des echten Lebens in das Paralleluniversum der Cinephilie.
Parallele Linien schneiden sich bekanntlich erst im Unendlichen. Sucht man im Programm der Berlinale nach Filmen aus Ägypten, oder zumindest der arabischen Welt, wird man – außer im Kurzfilmprogramm – nicht fündig. Ein Skandal, schimpft meine Freundin N, mit der ich im Café vor dem Kino Arsenal sitze. Das gehe seit Jahren schon so, dass die Berlinale die arabische Welt links liegen lasse. Dabei gebe es in Ägypten eine riesige Filmindustrie und auch interessante unabhängige Filmemacher.
Das aktuellste Thema, auf das die Berlinale aufspringt, war zum Auftakt mit Margin Call die Finanzkrise, die einem im Vergleich zum Exodus des Mubarak schon sehr lange her vorkommt. Ansonsten sehe ich viele zeitlose Geschichten. Submarine (Forum) ist ein flott inszenierter und geschnittener Coming-of-Age-Film, der offenbar in den 1980er Jahren spielt (man sieht das an den Musikkassetten), aber genauso gut zehn Jahre früher oder zwanzig später angesiedelt sein könnte. Der Debüt-Spielfilm des Briten Richard Ayoade lässt ein ganzes Arsenal an skurrilen Charakteren aufeinander los, allen voran den nerdigen, aber sehr wortgewandten Teenager Oliver, dessen verklemmte Eltern und einen esoterischen Nachbarn, der ein früherer Liebhaber der Mutter ist. Gag folgt auf Gag, orchestriert von der niemals nachlassenden Erzählstimme Olivers aus dem Off. Dazu setzt Ayoade hochmelodramatische Geigenmusik ein, aber natürlich ironisch. Das funktioniert als schräger Blick eines Jugendlichen auf die schräge Welt der Erwachsenen eine Weile ganz gut, erinnert aber zu sehr an andere Filme dieses in den letzten Jahren sehr beliebten Genres. So bleibt Submarine nicht mehr als ein Kessel Buntes, angereichert mit zahlreichen Referenzen aus dem schon erwähnten filmischen Paralleluniversum, damit die Nerds unter den Zuschauern etwas zum Dekodieren haben. Nicolas Roegs Wenn die Gondeln Trauer tragen (1973) lugt um die Ecke, und Truffaut schaut gelassen zu.
Mit einem viel direkteren Truffaut-Zitat endet auch E-Love von Anne Villacèque (Forum). Da sitzt die 50-jährige Universitätsprofessorin Paule nämlich im Kino, in einer Vorstellung von Die süße Haut (1964). Paralleluniversum auch hier: Der Kinobesuch ist eine Flucht dorthin. Paules Mann hat sie wegen einer jüngeren verlassen, und die vergangenen 97 Minuten hat sie damit zugebracht, über das Internet Liebhaber zu finden. Die großartige Anne Consigny spielt Paule als neurotische Egozentrikerin, die, begleitet von beschwingten Vivaldi-Klängen, von einem Mann zum nächsten tappt. Eine Sexkomödie über eine Frau unter Einfluss, etwas belanglos, aber sehr unterhaltsam.
Gewichtiger geht es da natürlich in der Ingmar-Bergman-Retrospektive zu. In der Abendvorstellung von Persona (1966), einem nicht gerade leicht zugänglichen Werk, ist es voll, wenn auch nicht ganz ausverkauft. Liv Ullmann, auch im Alter eine ungemein attraktive Frau, ist da und erzählt, wie sie damals Bergman begegnete, und dass Bibi Andersson bis heute ihre beste Freundin sei. Das ist irgendwie berührend, wenn man kurz darauf im Film sieht, wie die Gesichter der beiden Schauspielerinnen in der weltberühmten Szene zusammenmontiert werden.
Kommentare zu „Berlinale 2011: Einbrüche ins Paralleluniversum. Über Submarine, E-Love, Bergman“
Es gibt bisher noch keine Kommentare.