Bergungsarbeiten im Archiv: Unknown Pleasures #13
Im Januar birgt das Berliner Festival „Unknown Pleasures“ wieder alte und neue Schätze des US-Indiekinos: diesmal unter anderem einen neuen Film von Frederick Wiseman, Einsichten aus dem Sensory Ethnography Lab und das Werk des viel zu wenig bekannten Regisseurs Michael Roemer.

Oberflächlich betrachtet sind Kit Zauhars Actual People und Shatara Michelle Fords Test Pattern Filme, wie man sie häufiger im US-Independentkino zu sehen bekommt. Da wäre zum einen die roughe, fast hyperaktive Großstadtfantasie über Twentysomethings, mit an den Mumblecore gemahnenden smart-witzigen Dialogen, einer leicht selbstzerstörerischen Protagonistin und ansonsten viel Ziellosigkeit; zum anderen die ruhig und klar erzählte Beobachtung einer Begebenheit, in dem Fall eines sexuellen Übergriffs, ein Themenfilm mit klarer narrativer Struktur, in dem es nicht zuletzt um komplexe Machtverhältnisse geht. Was beide Filme von vielen ihrer jeweiligen Geschwister unterscheidet: Sie sind verdammt gut in dem, was sie tun. Wenig überraschend also, dass sie auf dem Festival Unknown Pleasures laufen, das in guter Tradition in der ersten Januarhälfte im Berliner Arsenal läuft und die Ausbeute einer Schatzsuche präsentiert, die Kurator Hannes Brühwiler alljährlich in US-Indie-Gefilden unternimmt.
Faszinierende Ungreifbarkeit

Gesucht wird dabei nicht nur in der Gegenwart. So wird das Programm auch in diesem Jahr durch eine großartige Retrospektive ergänzt. Sie widmet sich dem viel zu wenig bekannten Regisseur Michael Roemer, dessen jüdische Familie in den 1930er Jahren aus Deutschland floh. Roemers Spielfilmdebüt Nothing but a Man (1964) sieht die segregierten Südstaaten der USA wohl auch durch die Brille der eigenen Erfahrungen als Jude in Nazideutschland, vielleicht ist der Film auch deswegen so viel radikaler, so viel unversöhnlicher als manch anderes „race relations“-Drama, das in den folgenden Jahrzehnten in den USA entstand.

Roemers weiteres Werk ist nicht minder faszinierend. Dying (1976) ist ein Dokumentarfilm über drei Menschen, die um ihren baldigen Tod wissen, und The Plot Against Harry eine 1969 gedrehte, aber nach erfolglosen Testscreenings erst zwanzig Jahre später uraufgeführte Komödie um einen jüdischen Gangster, der nach einem Gefängnisaufenthalt erkennen muss, dass die Bronx eine andere geworden ist. Und in Vengeance Is Mine (1984) kehrt Brooke Adams, ein seit den Days of Heaven (1976) viel zu selten zu sehendes Gesicht, in ihre Heimatstadt zurück und reißt unwillentlich alte Wunden auf.

The Plot Against Harry und Vengeance Is Mine eint eine faszinierende Ungreifbarkeit. Dass Ersterer ziemlich komisch ist, bekommt man erst allmählich mit, weil sich das hiobartige Schicksal des Kleinganoven in Situationen anbahnt, die niemals auf Pointe gebürstet sind, sondern sich erst in ihrer Beziehung zueinander als Stoff, aus dem Komödien sind, erweisen. Der Deadpan ist eher in der Struktur als im Dialog angelegt. Vengeance Is Mine dagegen ist so bei sich, so völlig versunken in seine Bilder und aufmerksam seinen Figuren gegenüber, dass er ebenso schwer zu greifen ist. Diese Ungreifbarkeit ist dabei alles andere als ein Distinktionsgestus. Vielmehr ist in allen von Roemers unbedingt wiederzuentdeckenden Filmen spürbar: Hier meint es einer ernst mit den Welten, der da draußen und der, die er sich aus jener filmisch zusammenbaut, und er nimmt sein Publikum ernst.
Mit Spezialkameras ins Körperinnere

Eine weitere Wiederentdeckung ist Ayoka Chenziras Coming-of-Age-Film Alma’s Rainbow (1994), der am Neujahrsabend das Festival eröffnen wird. Bis zum Abschluss am 15. Januar laufen aber selbstredend auch noch eine Reihe aktueller Filme, Ricky D’Ambroses auf der Biennale in Venedig gezeigter The Cathedral etwa, eine minutiöse, in ihren spartanischen Bildkompositionen fast an Robert Bresson gemahnende autobiografische Rekonstruktion einer Kindheit, oder Teenage Emotions, ein Highschool-Film, den Regisseur Frédéric Da, der in Berlin anwesend sein wird, gemeinsam mit den Schüler*innen erarbeitet hat. Aus dem Hause des Sensatory Ethnography Lab läuft die Körper-Dokumentation De humani corporis fabrica, in der Véréna Paravel und Lucien Castaing-Taylor mit Spezialkameras unser Körperinneres erforscht haben. Als vielleicht prominentestes Highlight ist schließlich das neue Werk des großen Dokumentaristen Frederick Wiseman zu sehen, der mit The Couple einen ungewohnten Ausflug in die Fiktion unternimmt und die Beziehung zwischen Sofia und Leo Tolstoi porträtiert.
Ein genauer, klarer Blick

Eine besondere Empfehlung gilt für den bereits eingangs erwähnten Test Pattern, der als schnörkellose Erzählung einer beginnenden Liebesbeziehung anfängt, bereits in einem kurzen Prolog aber erahnen lässt, dass hier düstere Töne angespielt werden. Die Beziehung wird denn auch bald auf die sprichwörtliche Probe gestellt, als Renesha (Brittany S. Hall) sich mit einer Freundin betrinkt und später im Hotelzimmer mit höchstens schwammigen Erinnerungen neben einem fremden Mann aufwacht. Es ist im Anschluss vorwiegend ihr weißer Freund Evan (Will Brill), der auf Aufklärung und das übliche Prozedere drängt, während Renesha von diesem Verhalten zunehmend irritiert ist.

Im beeindruckend klaren Drehbuch ist keine Dialogzeile zu viel, zugleich vermitteln sich die Verhältnisse zwischen den Figuren konsequent aus ihrer Position im Bild. So gelingt es Regisseur*in Shatara Michelle Ford, sich den komplexen vergeschlechteten und rassifizierten Strukturen zu nähern, die jede soziale Situation in den USA einfärben. Ohne Abkürzung und nur mit filmischen Mitteln nähert sie sich einer intim-politischen Gemengelage, aus der sich zu keiner Zeit ein simples feministisches oder antirassistisches Pamphlet herausdestillieren ließe. Es ist gerade der klare, genaue Blick dieses Films, der die Dinge so kompliziert erscheinen lässt, wie sie nun einmal sind.
Das Unknown Pleasures Festival findet vom 1. bis 15. Januar im Kino Arsenal und im Kino Wolf statt. Das komplette Programm gibt es hier.
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