Benedetta – Im Cannes-Fieber

 Erste Eindrücke zu Filmen aus dem Cannes-Programm. Heute: Paul Verhoevens theatraler Exploitationfilm Benedetta, der das Perverse im Kloster sucht. 

Kirchen sind ein Geschäft. Und einem Geschäft kann es reichlich egal sein, was ein Wunder ist, was eine Marienerscheinung, solange es sich in Geld oder Macht umwandeln lässt. Charlotte Rampling ist als Äbtissin Felicita von Beginn an reichlich abgeklärt. Ihrer Tochter erklärt sie: „Wunder sprießen wie Pilze aus dem Boden. Die wenigsten sind den Ärger wert.“ Die Wunder werden nicht aufhören und der Ärger noch zunehmen, wenn Schwester Benedetta (Virginie Efira) in Felicitas Kloster in Pescia alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. In blutigen Traumsequenzen erscheint ihr Jesus und bald schon spricht er auch aus ihrem Mund.

Exploitation trifft auf Camp trifft auf Horrorkomödie: Benedetta ist ein Film über Performance und doppelte Böden. Ein Spaß ohne Rücksicht, der sich schwer auf einen Wesenskern reduzieren lässt. Im Mittelpunkt Eifersucht, Glaube und lesbische Begierde. Glaubwürdigkeit ist dabei keine Kategorie. Stattdessen geht es um Effekte, um das Uneigentliche, die Verdrehung von Fakten, die Erfindung von Legenden. Dass Paul Verhoeven sich auf wahre Begebenheiten des 17. Jahrhunderts in der italienischen Renaissance bezieht, befeuert nur seine wilde stilistische Freiheit.

Wild heißt in diesem Fall auch: ungefähr, ungenau, ein bisschen unscharf. Ob die offensichtlich zentralen Sexszenen, für die bald eine zurecht geschnitzte Marienstatue als Dildo ins Spiel gebracht wird, oder die Konfrontationen zwischen Felicita, ihrer Tochter Christina und Benedetta – Verhoeven inszeniert nicht auf Punkt. Eher gewollt plump. Überraschend wenig sollen die vielen Reize Wirkung entfalten, wichtiger ist dem Film die Aneinanderreihung, das Symbol und das Profane. Lange verweilt das Bild auf einem Straßenkünstler, der seine Fürze anzündet. Laut lässt Verhoeven die künftigen Liebhaberinnen Benedetta und Bartolomea (Daphné Patakia) am ersten gemeinsamen Abend zusammen kacken und furzen. Motivische Verdichtung könnte man das nennen.

Exploitation lebt von Übertreibung, aber auch von der Treffsicherheit, mit der Bilder verkehrt, übertrieben, demontiert werden, während Camp eine größere Freiheit erlaubt, ins Imaginäre zu schießen und Geschichten schlicht zu verdrehen durch eine queere Perspektive. Benedetta hat ein bisschen von allem, genießt den Exzess und die Selbstständigkeit seiner theatralen Gesten, die abstruse Lebendigkeit von Albträumen und Visionen, ohne dass diese immer sitzen würden. Je mehr Fahrt das Drama aufnimmt, ein Martyrium sich abzeichnet, die Konflikte und Glaubensbekenntnisse und Wunder sich Schlag auf Schlag vermehren und zuspitzen, desto größer wird auch das Vergnügen, den Choreografien zuzusehen.

Benedetta ist ein Film des Eingeschlossenseins, des Klosters und der Träume vom Jenseits. Zum Glück geht es Verhoeven nicht um eine Demaskierung, um eine Wahrhaftigkeit hinter der Fassade der Religion. Eher noch lässt sich der Film als Demaskierung der Demaskierung verstehen: Hinter dem Unglauben und der Häresie steckt jede Menge Sturm und Drang. Nicht ohne Ideologie gegen Ideologie, sondern mit größtmöglicher Emphase mitten hinein in den Widerspruch. Wer hätte das gedacht: Verhoeven macht Lust auf Glauben.

Kommentare zu „Benedetta – Im Cannes-Fieber“


Robert

"Lange verweilt das Bild auf einem Straßenkünstler, der seine Fürze anzündet."
"Laut lässt Verhoeven die künftigen Liebhaberinnen Benedetta und Bartolomea (Daphné Patakia) am ersten gemeinsamen Abend zusammen kacken und furzen." Wow, was für ein Niveau. Ich mag ja Mme Efira, aber das tu ich mir nicht an, da reizen mich nicht mal lesbische Sexszenen.






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