4+1 Simultanes Filmfestival 2011

Im Zuge der seit Aufkommen des Fernsehens immer wieder beschriebenen Bedrohung des Kinosaals als privilegierter Raum der Filmerfahrung – in den letzten Jahren nochmals verstärkt durch die Rezeption von Filmen mittels Datenpaketen per Video on Demand oder Online-Streaming – kommt dem Format des Filmfestivals eine zusätzliche Bedeutung zu. Festivals bieten nicht mehr nur die Möglichkeit, Filme zu sehen, welche womöglich niemals im regulären Kino, im Fernsehprogramm oder in einer DVD-Version erscheinen. Sie werden auch zu einem Refugium der kollektiven Filmerfahrung. Gerade kleinere Festivals, die nicht für die Branche, sondern für das Publikum konzipiert sind, bewahren die Idee des Kinosaals als Gemeinschaftsraum – nicht zuletzt durch die Möglichkeit, nach den Vorführungen über das Werk zu diskutieren.

Das Festival 4+1, das ab heute in Madrid und vier lateinamerikanischen Städten (Mexiko-Stadt, Bogotá, Rio de Janeiro und Buenos Aires) in seiner zweiten Ausgabe stattfinden wird, schlägt eine interessante Brücke zwischen den verschiedenen Modi der filmischen Erfahrung. Zum einen verbindet es das Kino mit dem ursprünglich dem Fernsehen eigenen Motiv der Synchronität. Denn die nicht real erlebte, sondern vorgestellte gemeinschaftliche Filmerfahrung ist das Konzept von 4+1. Der Programmplan sieht vor, dass die Filme zeitgleich an allen Schauplätzen zu sehen sein werden – der Kinobesucher in Madrid weiß also, dass dieselben Bilder zur gleichen Zeit in einem Kino in Rio de Janeiro zu sehen sind. Dazu kommt ab diesem Jahr eine weitere Verbindung zu den neuesten Rezeptionsformen: Während der Laufzeit des Festivals (26. bis 30. Oktober) werden die Filme innerhalb der teilnehmenden Länder über die Plattform MUBI auch online zu sehen sein.

4 plus 1 Festival 2011

Programmtechnisch bietet das Festival keine Premieren, sondern präsentiert Festivalhöhepunkte dieses und des vergangenen Jahres. Die spanische Stiftung MAPFRE, die das Festival initiiert hat, will vor allem Filme fördern, die trotz großen Erfolgs auf internationalen Festivals bislang noch nicht im regulären Kino zu sehen gewesen sind – zumindest nicht im ibero-amerikanischen Raum. Einige der Beiträge feierten ihre Premiere bereits im Jahr 2010 in Cannes oder Venedig, darunter bekanntere Werke wie Kelly Reichardts Western Meek's Cutoff oder Takeshi Kitanos Outrage, aber auch welche, die bislang nur in wenigen Ländern ins Kino gekommen sind, so zum Beispiel Rebecca Zlotowskis Belle Epine oder Chantrapas des georgisch-stämmigen Franzosen Otar Iosseliani.

Einige Filme wie die Orang-Utan-Biografie Nénette, der düstere Mein Glück (Schastye moe) oder Nostalgie des Lichts (Nostalgia de la luz) waren in Deutschland bereits zu sehen – andere werden es wohl nie hierher schaffen. Werke wie Color perro que huye des mehrfach ausgezeichneten Kurzfilm-Regisseurs Andrés Duque – laut Festival-Ankündigung ein radikales Plädoyer für kreative Freiheit in der Tradition Chris Markers – oder der in Locarno ausgezeichnete Curling des Kanadiers Denis Coté werden eher ein Untergrunddasein fristen. Hoffnung auf ein Leben außerhalb der Festivals dürfte am ehesten noch King of Devil's Island von Marius Holst haben, neben dem deutlich höheren Budget spricht dafür auch die prominente Besetzung mit Stellan Skarsgård in der Hauptrolle. Der Film erzählt die Geschichte einer brutalen Revolte in einem norwegischen Gefängnis um 1915.

Nachdem im Rahmen der letztjährigen Ausgabe von 4+1 Cannes-Gewinner Apichatpong Weerasethakul als Ehrengast in Buenos Aires präsentiert wurde, ist es diesmal die japanische Regisseurin Naomi Kawase, die in Mexico City eine Masterclass leiten wird. Dazu präsentiert das Festival eine Werkschau. Kawases neuester Film Hanezu ist der einzige in diesem Jahr produzierte Beitrag des Programms, konkurriert aber nicht um den Publikumspreis des Festivals. Dieser ging im letzten Jahr übrigens an Agnès Vardas' Die Strände von Agnès.

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