Schreiben über Film (3): End of Winter

Vier Rezensionen über den Film End of Winter (2014, Regie: Kim Dae-Hwan), verfasst von Studierenden des Seminars „Schreiben über Film – Berlinale 2015“ (Stiftung Universität Hildesheim)

Als Kopfkissen verwenden sie Bücher. Anstatt miteinander zu reden, bewerfen sie sich mit Schnee. Eine seltsame Familie, die uns der koreanische Regisseur Kim Dae-hwan in seinem Film End of Winter im Forum der Berlinale 2015 präsentiert.

End of Winter 01

Der Familienvater war Lehrer an einer Provinzschule, nun hat er das Ende seines Berufslebens erreicht. Anlässlich seiner Abschiedsfeier kommt die ganze koreanische Familie, bestehend aus Mutter, zwei Söhnen und einer Schwiegertochter, zusammen. Bei der Feier sind weniger Schüler anwesend als gedacht. Nach ein paar Fotos macht sich die Familie auf den Weg und versammelt sich zum Festmahl in einem kleinen Restaurant. Viel zu erzählen haben sie sich nicht. Der Vater schweigt, bis er plötzlich verkündet, dass er die Scheidung will. Dann schweigt er wieder und sorgt damit für Verwirrung, Wut und Fassungslosigkeit.

Dieses störrische Schweigen zieht sich weiter durch den Film. Die geplante Abreise von Mutter und Kindern am nächsten Morgen wird durch starken Schneefall verhindert. Kein einziger Bus kann den kleinen Ort verlassen, und das ändert sich auch in den darauf folgenden Tagen nicht. So ist die Familie dazu gezwungen, weitere Tage miteinander zu verbringen. Wir sehen die Familienmitglieder einkaufen, Schnee schippen, mit ihren Handys spielen, schlafen. Zusammen sieht man sie nur beim Essen. Dort wird genossen, geschlürft geschmatzt und weiter geschwiegen. Viele Detailaufnahmen der täglichen Mahlzeiten machen diese zu einem wichtigen Motiv des Films.

End of Winter (Cheol won gi haeng) gibt einen Einblick in völlig unbekannte Rituale. Es ist schwer, einschätzen zu können, was die Verhaltensweisen der Familie zu bedeuten haben. Warum schlafen sie auf dem Fußboden? Warum die Bücher als Kopfkissen? Welche Folgen hat eine Scheidung für die gesellschaftliche Akzeptanz? Eine Antwort darauf gibt der Film nicht. Vielmehr wird uns ein kommentarloses Porträt einer Familie in einer fremden Welt gezeigt.

Rabea Aschern

Wie viel Schweigen ist üblich? Regisseur Kim Dae-hwan zeigt in seinem Langspielfilmdebüt End of Winter  voneinander entfremdete Familienmitglieder.

Am Tag seiner Pensionierung eröffnet Sung-geun (Moon Chang-gil) seiner Frau, den beiden Söhnen und der Schwiegertochter beim Essen, dass er sich scheiden lassen werde. Die Anwesenden, allen voran seine Frau (Lee Young-lan), sind überrascht und geschockt. Zu den Gründen seiner Entscheidung äußert Sung-geun sich nicht. Fragen werden nicht beantwortet, er schweigt sich aus und plant die Zukunft in einem neuen Haus, ganz allein.

Aufgrund des starken Schneefalls fahren keine Busse mehr in der südkoreanischen Provinzstadt Cheolwon. Söhne und Schwiegertochter, die extra für die Pensionierungsfeier angereist sind, müssen in der Dienstwohnung bleiben. Auch Sung-geuns Frau hat keine Alternative. Die Enge der Wohnung und die ohnehin schon gereizte Stimmung führen zu Streitigkeiten. Vater und Mutter haben sich schon lange voneinander entfremdet. Die Ehe des älteren Bruders ist disharmonisch. Zwischen Mutter und Schwiegertochter steht viel Ungesagtes. Als die Heizung ausfällt, bricht die Familie die Regeln der koreanischen Gesellschaft auf. Frauen und Männer schlafen in einem Zimmer aneinandergekuschelt. Es bleibt jedoch bei diesem Moment der erzwungenen Nähe.

Der minimale Einsatz von Filmmusik führt dazu, dass man sich ganz auf die Dialoge konzentrieren könnte. Diese finden jedoch kaum statt. Stattdessen dominiert die Stille. Man hat sich nichts mehr zu sagen; stattdessen kommunizieren Mutter, Söhne und Schwiegertochter via Smartphone mit der Außenwelt. In vielen Szenen verharrt die Kamera, obwohl die Protagonisten das Bild bereits verlassen haben. So wird eine Leere ausgestellt, die auch zu spüren ist, wenn Menschen im Bild sind.

Lisa Giesecke

End of Winter 02

Die Familie sitzt bei Tisch, als die Bombe platzt. Der Vater Sung-geun will sich scheiden lassen. Seine Frau hält das für „Unsinn“, und auch die beiden Söhne und die Schwiegertochter wollen nicht wahrhaben, was sie hören. Die Gründe für die Scheidung werden in Kim Dae-hwans Familienporträt End of Winter weggeschwiegen. Die Söhne wagen es nicht, ihre Eltern darauf anzusprechen, und die sonst so dominante Mutter redet bei ihrem Mann gegen eine Wand.

Der starke Schneefall im Landkreis Cheolwon nahe der nordkoreanischen Grenze lässt die Straßen unpassierbar werden. Bis diese wieder freigeräumt sind, muss die Familie noch in der väterlichen Wohnung zusammen kampieren. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten ist man versöhnlich, mühsam wird Konversation betrieben. Die Kamera verrät mehr über die Beziehungen: Sie vereinzelt die Familienmitglieder mit jeder Einstellung. Das Bild ist meist durch vertikale Linien geteilt, nur selten sind zwei Personen zusammen in einer Bildhälfte zu sehen. In den Einstellungen, in denen die ganze Familie anwesend ist, füllt jeder einen anderen Teil des Bildes aus, meist gerahmt durch Fensterstreben oder Türrahmen.

Die verschneite Landschaft vor der Haustür veranschaulicht die eisige Stimmung in den Innenräumen. Die Analogie könnte platt wirken, doch ermöglicht die Landschaft so anschauliche Szenen wie die einseitige Schneeballschlacht zwischen den Noch-Eheleuten. Die Ehefrau fordert eine Erklärung für die Scheidung und bewirft ihren passiven Gatten vergeblich mit Schnee.

Kim Dae-hwan ist in seinen Mitteln subtil und deutet das Verhältnis unter den Protagonisten nur durch einzelne Gesten oder Kameraeinstellungen an. Ohne Hintergrundwissen über die Konventionen des koreanischen Familienlebens bleiben viele Details unverständlich. Gleichzeitig glaubt man zu verstehen, warum diese Ehe keinen der Beteiligten glücklich macht. Der Vater ist verschwiegen, die Mutter spitzzüngig. In langsamem Erzähltempo begleitet Kim Dae-hwan in seinem Langfilmdebüt die Auflösung einer Familie.

Franziska Merlo

Am Anfang das Ende. „Ich lasse mich scheiden“, sagt Herr Kim zu seiner Familie. Und als alle schweigen: „Lassen wir uns scheiden!“ Da sitzen sie gerade zusammen beim Essen, in einem schäbigen Restaurant in einer koreanischen Kleinstadt. Herr Kim, Frau Kim, ihre beiden Söhne und die Ehefrau des älteren Sohnes. Draußen der Schnee, innen die Kälte. Der Vater ist gerade als Lehrer pensioniert worden, doch feiern kann er nicht. Er ist ein grantiger alter Mann, dem sein Berufsleben nicht viel Freude bereitet hat. Jetzt will er einen Neuanfang.

Die Fronten scheinen klar zu Beginn von End of Winter, dem Langfilmdebüt von Kim Dae-hwan. Der Vater gegen die Familie, die Mutter gegen die Schwiegertochter, der ältere Sohn gegen den jüngeren. Doch Stellung beziehen will niemand. Lieber kommunizieren sie über ihre ständig vibrierenden Handys. Der Schnee liegt hoch, die Busse fahren nicht zurück nach Seoul, der Tross zieht in die Dienstwohnung von Herrn Kim, in schwarzen Mänteln durch dichten Schnee. Hier ist alles Kontrast, hier trifft die städtische Mittelschicht auf dörfliche Kargheit.

Die Dienstwohnung ist beklemmend. Geschlafen, gegessen und gelebt wird auf dem Boden, ein Plastikbelag, der vorgibt, aus Holz zu sein. Er ist das Symbol für ein Leben, das Herr Kim hinter sich gelassen hat. Sein neues beginnt ein Dorf weiter. Mit dem älteren Sohn fährt er für ein paar Stunden hin. Das neue Haus des Vaters hat bessere Zeiten erlebt. Doch das angrenzende Gewächshaus wird von einem Ofen gewärmt, hölzerne Fensterrahmen warten auf ihren Einsatz. „Wenn ich die Wände streiche, wird es aussehen wie neu.“ Der Sohn schweigt. Die Stille gibt den Ton an in diesem Film. Nur zweimal hört man Musik.

Es ist mühsam, Familie Kim beim Leben zuzusehen. Sie sind sich fremd. Lange Kameraeinstellungen, wenig Handlung, gezwungene Gespräche. Die körperliche Nähe bei den Mahlzeiten, die am kleinen Tisch eingenommen werden, kontrastiert die Entfremdung der Familie. Zwar wollen alle weg, essen müssen sie trotzdem. Man weiß nicht, was vor dieser trüben Winterpassage im Leben der Kims geschehen ist. Schließlich fällt auch noch die Heizung aus. „Let’s call somebody to fix it“, sagt Frau Kim.

Christoph Möller

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