18. Regensburger Kurzfilmwoche – Rückblick
Festivalorganisator Michael Fleig berichtet für critic.de über die Filme, die ihn prägten, die Preisträger und ein Porno-Sonderprogramm.

Vor Kurzem kam die 18. Edition der Regensburger Kurzfilmwoche mit der Preisverleihung zu ihrem offiziellen Abschluss. 1994 vom Arbeitskreis Film Regensburg e.V. gegründet, gilt sie schon seit Langem als das wichtigste Kurzfilmfestival Süddeutschlands mit internationalem Renommee, wie die stetig zunehmenden Einreichzahlen belegen. 2012 gab es mit 3.775 Einreichungen insgesamt knapp 700 mehr als im Jahr zuvor.
Das Herzstück des Festivals sind seit jeher die Wettbewerbe, die den Kurzfilm – ob in Dokumentation oder Fiktion, Experimental- oder Animationsfilm – als Experimentierfeld präsentieren wollen, das für ungewöhnliche Stoffe genutzt werden kann. Kategorien wie Pointe oder Sinn sind hier nicht unwichtig, aber sekundär. Unabhängig vom production value geht es primär um Atmosphäre und Kreativität, häufig auch um das Offenlassen textueller Leerstellen – oder um Konfrontation: So dokumentiert die junge Australierin Madeleine Parry in Murder Mouth (2011), wie sie ihren Entschluss, kein Tier mehr zu essen, das sie nicht selbst töten kann, in die Realität umsetzt. Der Zuschauer wird in Großaufnahme Zeuge, wie Madeleine einem Fisch, einem Huhn und nicht zuletzt einem zuckersüßen Lamm das Leben nimmt. In vielen weiteren internationalen Produktionen war aktuell das Verhältnis von Mensch zu Tier auffällig. Bei den deutschen Einreichungen schälte sich eine Präferenz der Filmemacher für Reflexionen über ihr Land heraus, sodass hierzu innerhalb des Wettbewerbs ein eigenes Programm zusammengestellt werden konnte. Am erwähnenswertesten ist hierbei die provokante Mockumentary von Nico Sommer, die den fiktiven Boxer Jens porträtiert, der unter der titelgebenden Vaterlandsliebe (2011) leidet.
Der experimentelle und zugleich höchst vergnügliche Las Palmas (2011) zeigt die Eskapaden einer randalierenden Touristin. Den Erfolg dieses Films legte der Regisseur Johannes Nyholm hauptsächlich auf die Schultern seiner Tochter – die zum Zeitpunkt der Aufnahmen gerade mal ein Jahr alt war. Sie ist die einzige menschliche Darstellerin, alle anderen Figuren sind Marionetten. Neben diesem Film gehörten Munted (2011) von Welby Ings und Sunny Boy (2011) von Jane Gull zu den Publikumsfavoriten. Ings erzählt die Geschichte eines hirngeschädigten Künstlers in den 1930er Jahren, der unter den Folgen einer ungerechtfertigten Pädophilieanschuldigung zu leiden hat. In Gulls Film geht es um den jungen Danny, der mit einer seltenen Hautkrankheit kämpft.

Supercargo (2010) von Christoph Schwarz, den Gewinnerfilm des Hauptpreises des Festivals, des mit 5.000 Euro dotierten Kurzfilmpreises des Bayerischen Rundfunks, prägt vor allem eine Atmosphäre von zunehmender Langeweile, Sinnlosigkeit und Abstrusität. Die österreichische Mockumentary ist als Videotagebuch inszeniert, in dem der Künstler seine Reise nach China festhält. Um sich die Reisekosten zu sparen, heuert er auf einem satellitengesteuerten Containerschiff an. Zum Schutz gegen Piraten gibt es keine weitere Besatzung. Schwarz’ Aufenthalt als einziger Mensch an Bord ist allein auf versicherungstechnische Gründe zurückzuführen. Im Laufe der vier Wochen dauernden Überfahrt entwickelt Schwarz mangels Sozialkontakten eine emotionale Bindung zu den meist leeren Containern an Bord. Die internationale Jury, bestehend aus dem Schweizer Reto Bühler (künstlerischer Leiter der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur), Claudia Gladziejewski (Leiterin der Redaktion Kurzfilm und Debut beim Bayerischen Rundfunk), Jean-Gabriel Périot (französischer Filmkünstler) und Marian Tutui (rumänischer Filmwissenschaftler und -kritiker) ließ sich vor allem durch die glaubhafte Vermittlung des Inhaltes überzeugen, der „die Absurdität unseres globalen Wirtschaftssystems nur geringfügig“ übertreffe.

Der Hauptreis im Deutschen Wettbewerb, der mit 1.500 Euro dotierte BMW-Kurzfilmpreis, ging an Josephine Links’ Film Wir sterben (2011). Die Dokumentation der Studentin an der HFF Konrad Wolf in Potsdam besteht größtenteils aus Nahaufnahmen und Detaileinstellungen, in denen sie ihren jungen Körper und den vom Alter gezeichneten ihrer Großmutter nebeneinanderstellt. Der Effekt dieser Bilder ergibt sich erstaunlicherweise nicht im Kontrast, sondern in der Vermittlung von Verbundenheit. Für die Deutsche Jury, die sich aus dem Filmproduzenten Henning Kamm, Stefanie Reis von der Kurzfilmagentur Hamburg und dem Leiter des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofestes Gerhard Wissner zusammensetzte, macht der Film „die Freude am Leben selbst im Abschied spürbar.“ Die Filmemacherin lasse „den Zuschauer an ihrer persönlichen, ehrlichen und liebevollen Auseinandersetzung mit einem existentiellen Thema teilhaben.“
Die Schauspielerin Lena Dörrie, Michael Leuthner, Professor an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in München, und der Filmproduzent Tobias Walker von der Jury des FilmFernsehFonds Bayern vergaben den FFF-Förderpreis für die beste bayerische Produktion an Dachbodenstimmen (2010). In ihrer Dokumentation porträtieren Anna Brass und Magdalena Hutter die heute in Montreal lebende Künstlerin Vera Bondy, die von ihrer tragischen Kindheit in Theresienstadt erzählt. Die Jury beeindruckte der Film „durch sein Gespür für die Protagonistin, den formalen Ansatz und seine nachhaltige Wirkung“.

Aber es waren nicht nur der Tendenz nach sperrige Filme, die sich einen Award verdienten. Die „Jury der Jungen“, die im Internationalen Wettbewerb den Kurzfilmpreis der Stadt Regensburg in Höhe von 1.000 Euro vergab, entschied sich für die sambische Produktion Mwansa The Great (2011). In diesem Film der Regisseurin Rungano Nyoni macht sich der junge Mwansa auf die Suche nach magischem Schlamm, um damit die Puppe seiner Schwester zu reparieren. Die Jury war besonders von Nyonis spielerischer Inszenierung beeindruckt, mit der sie anhand von Gegenständen die Reise in die Psyche und Vorstellungswelt des jungen Mwansa visualisiert. Der Film präsentiere „die Welt der Dinge aus seiner ganz eigenen und vielleicht einer besonders afrikanischen Sicht: Er zeigt das Menschliche und Persönliche an den Dingen.“

Die richtige Balance zwischen Herausforderung und Unterhaltung gelingt der Extremcollage Sechster Sinn, Drittes Auge, Zweites Gesicht (2011/2012) von Jan Riesenbeck, die die Deutsche Jury mit dem Max-Bresele-Gedächtnis-Preis in Höhe von 500 Euro für einen sozial und politisch relevanten Beitrag auszeichnete. Der experimentelle Kurzspielfilm lässt in nur 15 Minuten beinahe 700 Einzelszenen begleitet von knapp 100 verschiedenen Sprechern auf den Zuschauer niederprasseln. Dem vorgeführten Prinzip der Überbelastung zum Trotz vermag es der Film, an dem Riesenbeck über vier Jahre arbeitete, den Betrachter dank seines charmanten Humors, der organisch verbunden wirkenden Montage und des offensichtlich liebevoll in Handarbeit hergestellten fantasievollen Szenenbilds die gesamte Laufzeit über im Bann zu halten. „Unangepasst, bildgewaltig, widerständig und frisch konkretisiert der Film das Abstrakte und führt uns die allgegenwärtige Reizüberflutung unserer Gesellschaft vor Augen“, urteilte die Jury.
Mit The Centrifuge Brain Project (2011) gewann schließlich eine weitere Mockumentary den Publikumspreis. Till Nowaks auch von der Deutschen Jury lobend erwähnte Film wird mit Sicherheit das kommende Kurzfilmfestivaljahr prägen.

In den Zusatzprogrammen stachen allem voran zwei in ihrer Form einzigartige Veranstaltungen heraus. Zum einen bewiesen sich auch dieses Jahr wieder die sogenannten Plattenfilme, das prominenteste Alleinstellungsmerkmal der Kurzfilmwoche, als Publikumsmagnet. In diesem Programm werden Kurzfilme ohne ihre Originaltonspur gezeigt, während DJs ihr Können an den Plattentellern mit einer Live-Vertonung demonstrieren. In einer anderen Veranstaltung war die Hamburger Künstlergruppe A Wall Is a Screen zu Gast, die mit ihrem mobilen Projektor und einem stetig wachsenden Publikum durch die Regensburger Altstadt zog und auf den Vorführort abgestimmte Kurzfilme an diverse Wände und Mauern warf.

Für besonderes Aufsehen sorgte das diesjährige Sonderprogramm, das sich dem Thema Pornografie und Sexualität widmete. Im katholisch geprägten Regensburg bedeutete dies ein heikles Unterfangen. Der befürchtete Widerstand von Seiten der Stadtoberen blieb jedoch erfreulicherweise aus. Dass es sich aber keinesfalls um simples Schmuddelwerk handeln werde, sollte bereits der Titel des acht Blöcke umfassenden Sonderprogramms andeuten: Porneaux, ein eigens von Stadtrat Jürgen Huber erschaffenes Kunstwort. Intention dieses Programms war einerseits, die immer noch vorherrschende Stigmatisierung aufzubrechen, mit der künstlerische Arbeiten, die sich expliziter sexueller Inhalte bedienen, belegt werden. Gleichzeitig sollte in Anknüpfung an die sogenannte Pornografisierungs-These zur kritischen Auseinandersetzung mit Werken mit kalkuliert sexualisiertem Inhalt angeregt werden – mal humoristisch in einem Animationsblock, mal ernsthafter, etwa in einem beinahe ausschließlich aus Dokumentationen stehenden Block zum Thema Sexarbeit. Als einziger klassischer, also rein voyeuristischer Porno war L'Abbé Bitt Au Convent aus dem Jahr 1925 im Programm. Einen ebenfalls expliziten, gleichwohl alternativen Zugang zur Pornografie zeigten künstlerische Arbeiten wie etwa der feministische Ansatz Skin (2009) der Schwedin Elin Magnusson oder die verschwommene Found-Footage-Collage The Murder Mystery (1992) von Dietmar Brehm. Die Vorstellungen des Sonderprogramms waren meist ausverkauft und belegten auch einen hohen Diskussionsbedarf zum Thema.
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