Mad Men
VoD: Don Draper in der Madison Avenue. Eine neue Serie denkt über Werbung und Geschichte nach.

Don Draper sitzt am Tisch in einer Bar. Ein beschwingter Rhythm-&-Blues-Song dröhnt auf der Tonspur („I've never wanted wealth untold / My life has one desire ...“), die Kamera gleitet elegant durch den Raum und nähert sich dem stets perfekt frisierten mittelalten Mann von hinten. Ein afroamerikanischer Kellner räumt den Tisch ab und gibt Don Draper Feuer. Es entspinnt sich ein kurzes Gespräch über Tabakmarken und mögliche Werbestrategien. Don Draper notiert sich einen Satz des Kellners auf seiner Serviette. Der Kellner erwähnt Reader's Digest und deren Behauptung, dass Tabak vielleicht nicht allzu gut sei für Gesundheit und Lebenserwartung. Anschließend schweift Dons Blick und der der Kamera durch die Bar: lachende, junge Menschen, jeder einzelne mit Zigarette in der einen und Schnapsglas in der anderen Hand. Die 60er Jahre, in denen die Serie nicht nur spielt, sondern die ihr eigentliches Sujet sind, werden gleich in dieser ersten Szene der ersten Folge über zwei gezielte, ausgestellte Brüche mit der political correctness der Gegenwart eingeführt und definiert.

Im amerikanischen Fernsehen sind Alkohol und vor allem Zigaretten immer weniger präsent, zahlreiche „pressure groups“ würden beides am liebsten ganz verbannt sehen. Allerdings gibt es auch Gegenbewegungen: Während die großen Network-Sender inzwischen dank eines komplexen Systems von Selbstzensur weitgehend suchtmittelfrei daherkommen, loten Pay-TV und Kabelsender zwecks Distinktionsgewinn die Grenzen des Zeigbaren aus. Mad Men, in den USA auf dem Kabelsender AMC zu sehen, geht es allerdings nie um den bloßen Tabubruch, nicht im Fall von Tabak und Alkohol und auch nicht, wenn der weitgehend hemmungslose Alltagssexismus, -rassismus und -antisemitismus der 60er Jahre thematisiert wird. Die Serie verkürzt die entsprechenden Diskurse nicht auf Schlagworte, sondern bearbeitet sie wieder und wieder, Folge für Folge, nuanciert, meist sehr intelligent und stets implizit auf die Gegenwart gerichtet. Sie genießt und nutzt den Schauwert der nicht mehr ganz legitimen Bilder und partizipiert gleichzeitig an einem nostalgischen Impuls, der freilich nie als ungebrochener bestehen bleiben kann. Vieles ist ganz im Gegenteil sehr hart und düster, Don Draper wird, erst recht in späteren Episoden, zu einem ganz späten Noir-Held, der immer ein wenig neben sich und seiner Biografie steht. „Smoke Gets in Your Eyes“ heißt die erste Episode.

Das Spiel mit kulturellen Tabus ist für Don Draper Alltag, er verdient sein Brot damit. Im Mittelpunkt der Serie steht eine New Yorker Werbeagentur, bei der Don als Kreativer angestellt ist. Die Werbeindustrie sucht nach neuen Trends und findet sie nicht selten in Jugend- und Protestbewegungen. Deren subversives Potenzial wird aufs Konsumprodukt projiziert und verschwindet in dessen Warenform. Mad Men beschreibt den Ursprung der Entwicklung, den historischen Moment, in dem Jugendkultur und identitätspolitisch motivierte Gruppierungen beginnen, die Deutungshoheit übers gesellschaftliche Ganze zu gewinnen, und in dem der Kapitalismus beweist, dass er dieser Herausforderung mehr als nur gewachsen ist. Die politische Ökonomie ist allgegenwärtig in der Agentur, die nicht nur Zigarettenwerbung entwirft, sondern auch Wahlkampf für Richard Nixon macht, der bei der Präsidentschaftswahl 1960 John F. Kennedy unterliegt. Dennoch ist Mad Men zuerst ein well made drama, Qualitätsfernsehen mit hohem Budget, sorgfältig im historischen Ausstattungsdetail, elegant in der ans klassische Kino gemahnenden Ästhetik.

Nicht zuletzt die Schauspieler. Jon Hamm hat mit Don Draper vermutlich die Rolle seines Lebens gelandet. Vor Mad Men kannte fast niemand dieses Gesicht, lediglich eine Handvoll kleiner Rollen in Serien und wenig bekannten Filmen hatte er vorzuweisen. Ähnliches gilt für den restlichen Cast. Einzig Elizabeth Moss, die als Peggy Olson ein neues Frauenbild ausprobieren darf und dabei ihre Sexualität verleugnen muss, dürfte aus ihrer Rolle als Präsidententochter Zoey Bartlet in der TV-Serie The West Wing (1999–2006) einem größeren Publikum ein Begriff gewesen sein. Die übrigen Gesichter kommen fast aus dem Nichts und können deswegen problemlos mit ihren Rollen verschmelzen: January Jones, das affektive Zentrum der Serie, gibt Dons ewig blonde Ehefrau Betty, Vincent Kartheiser ist der Streber Pete Campbell, der sich in der Firma als Stimme der jungen Generation inszeniert, dabei aber nie an die Coolness der großen Jungs herankommt, Christina Hendricks die rothaarige Bombshell Joan Harris, eine Sekretärin in der Werbefirma, die von Männern umschwärmt wird und dennoch beruflich auf der Stelle tritt. Fast scheinen diese Gesichter einem parallelen Starsystem entsprungen, einem, das wenig Berührungspunkte mit den „echten“ des Network-Fernsehens und Hollywoods aufweist, das aber mindestens ebenso prägnante Physiognomien und Rollenbilder hervorbringt.

In den Figurenkonstellationen scheinen die Melodramen gleich dutzendweise angelegt zu sein. Interessant ist die Serie auch deshalb, weil sie mit diesem Potenzial sehr sparsam umgeht. Mad Men zelebriert und perfektioniert das von HBO-Serien wie The Sopranos (1999-2007) oder Deadwood (2004-2006) im amerikanischen Fernsehen populär gemachte entschleunigte Erzählen, das sich viel Zeit lässt mit seinen Figuren und dem die Beschreibung oft, wenn nicht immer, wichtiger ist als der kurzfristige dramatische Effekt. In der ersten Staffel werden viele Konflikte angedeutet, mindestens zur Hälfte laufen sie ins Leere. In der noch besseren zweiten Staffel, deren deutsche Veröffentlichung hoffentlich bald folgen wird, passiert noch weniger. Dafür darf Don Draper in den bisher vielleicht schönsten Szenen der Serie einen ausgedehnten Kalifornien-Ausflug unternehmen, durch ein buntes Blumenparadies wandeln und in einer Folge mir nichts dir nichts einigen kaum versteckten Raymond-Chandler-Charakteren begegnen. Keine andere Serie zeigt zurzeit, wie viel möglich ist im amerikanischen Fernsehen an Formenreichtum und an Diskursdichte.

Zurück zur ersten Folge: Bald verlässt Don Draper die Bar und macht sich auf zu einem Mietshaus. Er klopft an eine Tür, hinter der eine brünette Frau zum Vorschein kommt und ihn in ihre dezidiert modern eingerichtete Wohnung führt; an der Wand modernistische Gemälde, auf dem Arbeitstisch Zeichenmaterial. Die Frau ist Midge Daniels, Dons Geliebte, die in Künstlerkreisen verkehrt und sich als Avantgarde auch in sexueller Hinsicht versteht: keine festen Bindungen, kein Ehevertrag, offene Beziehungen. Bevor die Serie Dons eigentliche Familie einführt, die in einem großen, mondänen Vorstadthaus residiert und inneneinrichtungstechnisch dem barocken Stil der Zeit und damit der Vergangenheit, den 50er Jahren, verhaftet ist, wirft die Serie einen ersten Blick auf eben jene Zukunft, deren Genese sie im weiteren Verlauf erkunden wird: die „Swinging Sixties“, den Siegeszug der Jugendkulturen und ihre gleichzeitige Nutzbarmachung für den Kapitalismus, die sexuelle und die anderen emanzipativen Revolutionen. Erst ganz am Ende der ersten Folge, nach einem langen Arbeitstag und anschließendem Kneipenbesuch mit den Kollegen kommt Don nach Hause. Er streichelt seinen beiden schlafenden Kindern über den Kopf, die Frau steht im Nachthemd in der Schlafzimmertür: ein Bild familiärer Harmonie, das schon am Ende dieser ersten Folge nicht mehr stimmt. Die Welt der Werbeagenturen der Madison Avenue ist in letzter Instanz nicht kompatibel mit diesem Bild. Aber es ist nicht an Don, aktiv zu werden und das Bild zu zerstören. Es wird im Laufe der Erzählung wie von selbst desintegrieren. Wenn Don und auch einige andere Figuren immer ein wenig neben sich selbst zu stehen scheinen, dann vielleicht auch, weil sie ahnen, dass sie nicht Subjekt der Geschichte sind, die über sie hinwegrauscht und zumindest einen Teil ihrer materiellen und ideologischen Selbstverständlichkeiten für immer zerstören wird.
Bis zum 30.03.2026 kann man alle Staffeln der Serie in der Arte-Mediathek streamen.
Kommentare zu „Mad Men“
Renate
Ich bin gerade bei der 1.Staffel und absolut begeistert-und jetzt schon scharf auf die anderen folgen auf Deutsch !
Hans
Wann gibt es weitere Mad Men Staffeln auf deutsch?