„Jeder Student ist eine Chance, das System zu ändern.“
In Berlin werden gerade 50 Jahre dffb gefeiert. Wozu überhaupt Filmschulen gebraucht werden, von wem und in welcher Form, das haben in Oberhausen in diesem Jahr Hartmut Bitomsky, Dominik Graf und Kathrin Resetarits diskutiert. Bitomsky gehörte zum ersten, bis heute berühmten Jahrgang der dffb und hatte es später dort als Direktor nicht leicht; Graf hat in München studiert und sich gegen die „Sensibilisten“-Vorgänger aufgelehnt; Resetarits betont die Möglichkeit, in Wien Alternativen zur klassischen Dramaturgie zu lernen und zu lehren.
Das Gespräch, moderiert von Sirkka Möller, fand am 6. Mai 2016 bei den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen statt.

Sirkka Möller: Wer braucht Filmschulen und wozu? Wie funktioniert überhaupt dieses System Filmschule bzw. Filmhochschule? Wir haben hier auf dem Podium: Hartmut Bitomsky, Filmemacher, hat lange Zeit im Ausland unterrichtet an der CalArts in Kalifornien und war danach an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) als Direktor und hat selbst an der dffb in diesem legendären ersten Jahrgang studiert; Dominik Graf, Regisseur, der aber auch an einer Filmhochschule lehrt, unter anderem an der Internationalen Filmschule Köln (IFS), hat selbst an der Hochschule für Film und Fernsehen (HFF) in München studiert; und Kathrin Resetarits, hat an der Filmakademie Wien studiert, unterrichtet inzwischen dort und an der dffb.
Zum Einstieg will ich einen Dialog vorlesen zwischen Miguel Gomes und einem Journalisten, der bei Revolver geteilt wurde: Miguel Gomes: „Ich habe diese [Film-]Schule gehasst. Ich war kein guter Student und die Professoren und ihre Art zu unterrichten haben das Übrige geleistet. Die Professoren haben einfach nicht an die Möglichkeit geglaubt, dass man Studenten das Filmemachen beibringen könnte. Ich habe selbst an einigen Filmschulen in Deutschland und der Schweiz unterrichtet und musste zu meinem Bedauern feststellen, dass ich ein ähnliches Verhalten entwickelt habe. Ich also zu dem Schluss gekommen bin, dass man zwar konkrete Ratschläge geben und das Fachwissen vermitteln kann, aber wie man einen Film macht, das kann dir keiner beibringen.“ Ist das so? Kann man Filmemachen beibringen an Filmschulen? Sie haben’s ja alle versucht.
Hartmut Bitomsky: Natürlich kann man das. Die Frage ist, ob man willens ist, das zu tun – und ob man willens ist, das auch zu studieren. Als damals in Berlin die Filmschule eröffnet wurde, hatten eigentlich durchweg alle Dozenten keine Ahnung, was sie überhaupt machen sollten. Sie hatten sich vorgenommen, dass es wie eine Meisterklasse an einer Kunsthochschule funktionieren sollte: Ein paar ausgewählte Studenten sitzen um einen ausgewiesenen Regisseur, um einen ausgewiesenen Kameramann, und man redet über Filme. Über Filme zu reden, ist natürlich sehr nützlich, aber dafür man braucht eine Sprache. Aber es war so, dass diese Sprache nicht erarbeitet worden war. Was dabei herauskam, war in der Regel wie schlechte Filmkritiken: „Ja, hat mir gefallen ... hat mir nicht gefallen ... toller Film ... hast du das gesehen oder jenes gesehen ...“. Und sehr viel tiefer ging das nicht. Es waren mehr oder weniger Meinungsbekundungen. So etwas war natürlich noch lange keine Filmschule. Das Wissen, wie man das Filmemachen unterrichtet, war noch nicht da. Zumindest in Berlin gab es keine Tradition, auf die man hätte zurückgreifen können. Insofern muss ich die Dozenten von damals in Schutz nehmen. Jetzt, gut 50 Jahre später, ist inzwischen dazu schon allerhand zusammengetragen worden.
Kathrin Resetarits: In Österreich war es anders am Anfang, da war das eher eine Lehre für Handwerker. Da wurde nicht über Film gesprochen und Film als Kunst kam gar nicht vor, was für mich damals extrem frustrierend war. Etwas Gutes daran war, dass so viel Gleichgültigkeit und Ignoranz und auch Unwissen bei den Lehrern da war, gleichzeitig aber so eine irre Autorität und Angstmache, so eine falsche Autorität, dass es gereizt hat zu einem Widerspruch. Also es kam sehr bald in meiner Studienzeit dieses Gefühl auf, die sind eh alle Trottel, und wir machen unser Ding, was jetzt aber auch nicht unbedingt das Anzustrebende ist. Ich glaub’ sehr wohl, dass man das Filmemachen beibringen kann. Im Endeffekt sind wir alle Autodidakten und es geht nicht, ohne dass man selber ein Interesse dran hat; es geht ja eigentlich darum, dass man eine Offenheit lernt, eine Präzision lernt, dass man sensibilisiert wird für Dinge, dass man eigentlich auch sich selbst analysiert – woher soll's kommen, woher sollen die Themen kommen, woher sollen die Filme kommen, wenn nicht aus einem selber? – und dass man den Leuten auch so ein Rüstzeug mitgibt gegen diese Bücherstapel, die es ja auch gibt und die teilweise mit großer Verve, weil sie auch verkauft werden wollen, Regeln aufstellen. Also es gibt unendlich viel, was wichtig ist und was man auch versuchen kann zu vermitteln.
Dominik Graf: Persönlich war es so, dass ich 1974 auf die HFF gekommen bin, in den damals sogenannten F-Kurs, auch wir hatten einen legendären A-Kurs mit Wim Wenders, Michael Hild, Bernd Schwamm und solchen Größen, und Wenders war zu dem Zeitpunkt auch schon international etabliert. Das hat – wir kamen sozusagen sechs Jahre später – bei uns natürlich sofortigen Widerspruch erregt. Die sogenannte Sensibilistenästhetik der ersten Münchener Filmhochschuljahre ist bei uns auf komplettes Desinteresse gestoßen. Wir wurden aber noch in dem Sinn erzogen, also uns wurde zum Beispiel nahegelegt, wir sollten bloß keine Schauspieler nehmen, sondern Laien. Das hatte dann zur Folge, dass man ständig auf irgendwelche gut aussehenden KFZ-Handwerker beim Drehen gewartet hat, die irgendeiner am Rande Münchens gecastet hatte und die den Drehort nicht fanden. Aber es war trotzdem spannend, sich mit etwas auseinander zu setzen, das bereits auf internationalem Niveau agierte, und von dem man selber aber das Gefühl hatte, das langweilt mich irgendwie total. Man hat aus einem Widerspruch heraus gelernt. Ich glaube, dass es erstmal sehr wichtig ist zu lernen, was man nicht lernen will. Robert Aldrich hat mal gesagt – der war ja lange Regieassistent bei sehr, sehr großen amerikanischen Vorgängern –, dass er eigentlich immer nur von den schlechten Regisseuren gelernt hat, von den guten hätte er nichts lernen können.
SIM: Jetzt unterrichten Sie alle drei. Sie haben darüber gesprochen, wie es war, selbst zu studieren, aber wie ist denn die Position, wenn man auf der anderen Seite ist? Wir haben in Deutschland extrem viele Filmschulen und Filmhochschulen, allein sechs Hochschulen sind bei CILECT, dem internationalen Verband der Filmhochschulen, registriert, und es gibt haufenweise private Schulen. Wie ist die Position von der lehrenden Seite gegenüber diesem Boom?

DG: Naja, arbeitspolitisch gelesen ist das natürlich eine Katastrophe. Ich weiß nicht, wie viele Regiestudenten pro Jahr in Deutschland fertig ausgebildet auf den Markt geworfen werden und wie viele diese deutsche Fake-Film-Industrie überhaupt pro Jahr aufnehmen kann. Nehmen wir mal an, es sind 60, das sind ungefähr – rein vom Produktionsvolumen und dem beständig drohenden Gelaber der Fernsehsender her, dass sie immer weniger Geld haben und weniger Geld ausgeben können, wollen – im Grunde 59 zu viel. Ich weiß nicht, was man sich davon arbeitsmarkttechnisch verspricht, einen solchen Überschuss zu produzieren. Das einzige gewinnbringende Ziel könnte sein, dass man dieses Nadelöhr, durch das die Leute müssen, um in die Branche zu kommen, durch ein solches Überangebot so verengt, dass man immer stärker auf die Studenten Einfluss nehmen kann, dass sie möglichst Filme machen, die im System brauchbar sind. Zunächst auf der Schule dann im Berufsleben.
KR: Habe ich das jetzt richtig verstanden? Es sollen so wenige sein, dass man auf die Einfluss nehmen kann?
DG: Nein, es sind so viele, dass sich alle vor diesem Nadelöhr drängen und die, die durchwollen, müssen unter Umständen heftige Kompromisse machen, damit sie hinten am Ende in der Branche ankommen. Studenten werden sehr früh bereits mit Fernsehredakteuren, Fördergremien und so weiter konfrontiert. Das war bei uns anders. Wir hatten mindestens zwei Filme komplett frei und ohne dass irgendjemand hinterher wirklich ernsthaft draufgeguckt hätte. Noten gab’s in dem Sinn keine, aber es gab einen Spielraum, gewissermaßen einen laborartigen Freiraum, der bis zum Abschlussfilm, von dem man dann natürlich schon das Gefühl hatte, das müsste jetzt mal was Vorzeigbares werden, eine freie Fläche war. Heute habe ich das Gefühl, dass die Leute durch die enorme Konkurrenz von Anfang an durch ein Mauseloch mit lauter „Wenn nicht…“ und „Dann nicht...“-Konditionen gepresst werden.
KR: Ich empfinde das auch so, ich habe nur nicht das Gefühl, dass das deswegen ist, weil so viele Leute ausgebildet werden. Ich glaube, das ist ohnehin so. Dass die Angst so groß ist, dass man irgendwo nicht unterkommt und dass die Bravheit so groß ist, dass der Glaube daran da ist, dass das jetzt auch ein Markt ist und dass man sich verkaufen und gut verkaufen muss. Jetzt nur noch wenige auszubilden und dann zu glauben, die werden dann auf jeden Fall genommen, weil es sonst niemanden gibt, und dass die dann wieder freier arbeiten dürfen oder weniger standardisiert: Schön wär’s, aber ich glaub’ irgendwie nicht dran.
HB: Also die Frage, die wir uns hier stellen – Wer braucht Filmschulen und wozu? – ist so alt, wie es Filmschulen überhaupt gibt. Auch die Idee, dass man vielleicht zu viele Studenten ausbildet, ist überhaupt nicht neu. Mich wundert aber diese Fragestellung, weil sie suggeriert, dass wir eigentlich in einer Planwirtschaft leben, wo sozusagen dieses Soll vorgegeben wird und dann die Filmschulen, die da hinten dranhängen, sich danach richten müssen. Natürlich wissen wir, dass es das nicht gibt. Ein Studium an einer Filmschule dauert zwischen vier und sieben Jahren, das heißt, man müsste sozusagen aus der Filmwirtschaft das Signal kriegen: In sieben oder zehn Jahren brauchen wir so und so viele Studenten. Natürlich sind die Fernsehanstalten und die Filmproduktion unfähig dazu. Und die Filmschulen sind natürlich erst recht unfähig dazu, so zu rechnen. Man braucht eine bestimmte Anzahl von Studenten, um eine lebendige Filmschule zu machen. Es ist uns allen klar, dass es schon ein Glücksfall ist, wenn man pro Jahrgang ein, zwei, drei gute Regiestudenten hat. Aber man braucht mehr. Ich sag’ mal, man braucht zehn Regiestudenten, um sozusagen das Feuer zu entfachen, um etwas in der Regieklasse lebendig werden zu lassen. Denn jede Filmschule besteht als Institution ja nicht nur aus dem Curriculum, den Geräten, Lehrplänen usw. Es gibt in jeder Filmschule noch eine Schule darunter, und das ist die Filmschule, die die Studenten unter sich ausmachen. Und diese Schule der Studenten kann langweilig sein oder hochinteressant, voller Diskussionen und richtigen Kämpfen: Wie muss man heute Filme machen? Die Dozenten können dazu sagen, was sie wollen, aber ausgetragen wird das unter den Studenten. Wenn man nur vier Regiestudenten hat, wird zwischen den vieren nicht viel passieren. Aber wenn alle Regiestudenten einer Filmschule zusammen im Kino sitzen, dann fliegen hinterher die Fetzen. Und es ist hoch interessant, wie die Strömungen sind, wie Leute Kräfte entfalten und dergleichen. Wir haben zwar zehn Regiestudenten, sechs Kamerastudenten, acht Drehbuchautoren, sechs Produktionsstudenten, aber wir bilden sie nicht nur fachspezifisch aus und nicht nur für ihre jeweiligen Ideen oder Karrieren, die sie sich vorstellen. Ich glaube, dass alle Filmschulen, sogar die traurigsten – es gibt einige traurige ...
KR: … jede Menge …
HB: ... auch an der Filmkultur mitwirken. Es gibt keinen anderen Ort, wo permanent so viele Filme laufen und angesehen werden können, die ganze Filmgeschichte durch, wo Leute, die ganz verzweifelt probieren, das Regiehandwerk zu lernen, und nie dahin kommen, aus welchen Gründen auch immer – Leute, die später Stadtdezernenten werden, Filmbeauftragter von Duisburg, oder Redenschreiber vom Oberbürgermeister von Oberhausen. Ihre Ausbildung ist nicht unbedingt vergeudet. Es ist außerdem so, dass natürlich viele nicht die erforderliche psychische Konstitution mitbringen, um Regisseur zu werden. Die sind sehr angenehm in der Klasse, aber die bringen keinen Film fertig. Die haben vielleicht eine gewisse Scham, sich vor ein versammeltes Team inklusive Schauspieler zu stellen, und sie bringen es nicht fertig, die zu motivieren, das oder jenes zu tun. Weiß man, ob die Ausbildung an ihnen vergeudet ist? Nein, weil es sein kann, dass ihr Knoten zehn Jahre später platzt, und dann machen sie wunderbare Filme. Wenn man Studenten aufnimmt, kann man versuchen zu ermitteln, ob da Talent ist, ob da Motivierung ist, ob ein Auge da ist, eine bestimmte Sensibilität usw., aber das ist so ein bisschen wie bei der Wettervorhersage: Zu 50% liegt man falsch. Der Prozentsatz der Leute, die man auswählen muss, ist immer größer als der, den man sozusagen „effektiv“ brauchen würde.

KR: Was ich in Österreich ganz gut finde, ist, dass unsere Studenten nicht alle so stromlinienförmig sind, bei uns gibt’s da noch sehr große Lücken, da ist noch nicht alles so beackert und, ja, dadurch, dass wir dieses kleine Land sind und nicht so beobachtet werden und dass wir ohnehin etwas unordentliche Personen sind, ist bei uns das Netz irgendwie nicht ganz so engmaschig. Wir haben zum Beispiel auch nicht so eine Corporate Identity. Ganz viele Filmschulen sagen dann, wir sind jetzt die Intellektuellen oder aus der Fémis in Paris kommen gewisse Filme raus, aus gewissen Schulen kommen gewisse Filme, bei uns ist das noch nicht ganz so stark genormt, und das finde ich ganz gut. Und da sieht man immer wieder, dass irgendeine seltsame Gestalt aus der tiefsten Steiermark – von der man sich eigentlich denkt, die hat seltsame Ideen, kann auch nicht wirklich so sprechen, dass man das Gefühl hätte, der Mensch verkauft sich gut – im Endeffekt dann wirklich spannende und originelle Ideen hat oder eine ganz eigene spannende Sprache oder einen Stil entwickelt. Und das ist im Endeffekt ja auch das, was in Österreich – Gott sei Dank und auch aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus – ein bisschen hochgehalten wird. Dass wir nie so stark daran geglaubt haben, dass wir Kleinamerika spielen können. Da war immer ganz klar, wir haben die Kapazitäten nicht, wir können das nicht. Das war immer mehr die Konzentration auf so einen Arthouse-Sektor. Es gibt aber immer wieder große Probleme mit Fördergebern in Österreich, auch mit Fernsehredakteuren oder Entscheidungsträgern, die keine Ahnung von dem Geschäft haben, aber auch keine Ahnung von der Kunst haben, die quasi das Handwerk nicht verstehen. Die wollen da Haltung machen, die wollen da Quote machen, schaffen das aber nicht. Wenn man diese Leute mitausbilden könnte, wäre das, glaub’ ich, großartig.
DG: So kann man’s natürlich sehen, dass man quasi dann einen Kurs gründet für zukünftige Kulturpolitiker, die sich dann auch zum Thema Film kompetent äußern können. Das wäre schön. Es ist auf der anderen Seite aber so, dass während wir weiter Leute ausbilden, uns eine Entwicklung entgegenläuft, die die Chancen derjenigen, die jetzt auf den Schulen sind, verengt, bis in Richtung null. Ich weiß nicht, was dieser Druck, den die Studenten ja auch spüren, was der mit ihnen macht. Das was du jetzt gerade gesagt hast über die steiermärkischen Bockerer, die gibt es bei uns im Grunde genommen ganz selten. Ich weiß nicht, ob Eigensinn und Eigenwillen überhaupt unterstützt werden.
KR: Aber liegt das nicht an was anderem? An Kunstuniversitäten wird auch nicht gesagt: Wir brauchen so und so viele bildende Künstler, und die bilden wir jetzt aus. Ich weiß schon, dass unser Geschäft ein anderes ist, leider, weil so viel Kohle drin ist und dadurch so viel Macht, aber ich glaube nicht, dass der Verlust von Eigensinn und Anarchie und Eigenwillen – der extrem war in den letzten 20, 30 Jahren – nur daran liegt, dass die Leute so wahnsinnige Angst haben, dass sie ihr Leben nicht finanzieren können mit dem Beruf. Ich glaube eher, dass es ein Zeichen von einer gesellschaftspolitischen Entwicklung ist, von einem Neoliberalismus, der da ist – dass alles runtergeräumt worden ist im Kino. Wir haben ja einen unglaublichen Rückschritt erlebt. Und ich glaube nicht, dass es nur daran liegt, dass so viele Leute ausgebildet werden.
DG: … okay, woran auch immer, aber die Tatsache der Existenzangst, da sind wir uns doch einig, dass man die erlebt hat.
KR: Ja, aber ich frage mich auch, warum die jetzt so massive Existenzangst haben. Okay, sie haben vielleicht mehr Grund dafür, weil es tatsächlich so ist, dass es weniger gibt. Aber warum wiegt das andere plötzlich nicht mehr so schwer? Das andere, die Haltung, dass man was ändern will, das, was man sagen will, also warum hat das plötzlich kein Gewicht mehr? Und ich überlege mir nur, ob ich irgendwann mal eine Pension krieg’. Es ist wichtig, man muss auch einzahlen für die Pension und alles, aber es hat sich schon sehr verändert.
DG: Es wiegt schon schwer, dass es für viele Studenten nach dem Abschluss das höchste der Gefühle ist, einen Tatort zu drehen. Also der Punkt der Stromlinienförmigkeit ...
KR: Wenn er gut ist, wäre es ja toll ...
SIM: Naja, wenn im Fernsehen nichts Anderes mehr um 20 Uhr 15 läuft als Tatort und Fußball …
DG: Ich bin sicherlich der letzte, der etwas gegen Tatorte sagen kann, aber ich bin mir trotz meiner vielen Sachen, die ich im Fernsehen sehr frei machen konnte, bewusst, wie viele Leute im Fernsehen nur sehr unfrei arbeiten. Also, was es da für einen starken Einfluss gibt auf diese 20-Uhr-15-Sachen. Ich glaube, das muss man mal erlebt haben, um zu beurteilen, ob man das durchstehen will eigentlich.
KR: Es wäre großartig – das ist jetzt vielleicht irgendwie eine Vision –, wenn die Leute grundsätzlich ein besseres Niveau hätten in der Ausbildung, Ausbildung auch der Entscheidungsträger, die dann den Tatort machen, und wenn es wieder um was gehen würde: Warum mach’ ich Film? Oder warum mach’ ich Fernsehen? Damit ich was verkaufe? Geht es jetzt nur noch um Kunden? Sind die Zuschauer Kunden? Oder was will ich damit?
SIM: Sind denn Filmhochschulen Räume, wo solche Fragen gestellt werden? Sind das – im Zuge des Curriculums, das ja auch an den klassischen Filmhochschulen immer verschulter wird und jetzt auch nach Bachelor und Master funktioniert – Räume, in denen Visionen besprochen werden? Gibt es Studierende, die sagen, wie müssen was ändern und das muss so aussehen? Kommt da was?

HB: Die Studienbewerber sind nicht so naiv, dass sie keine Ahnung haben, an welcher Filmhochschule sie sich bewerben. In der Regel wissen sie, was die Richtung der Filmschule ist, sie kennen den Ruf, und sie haben sich auch Gedanken gemacht, was sie da eigentlich wollen. Es gibt sozusagen zwei Typen von Studenten: Die einen wollen die Tür zu einer Karriere für sich aufstoßen und die anderen wollen die Tür zur Welt des Kinos für sich aufstoßen. Das kann auch in einer Person kreuz und quer durcheinandergehen und sich mitunter torpedieren. Manchmal schlagen Studenten auch sehr bizarre Wege ein – die Sachen, die sie machen, die sie mögen, sind Entdeckungsprozesse. Ich habe meinen Studenten immer erzählt, dass es pro Jahrgang, wenn wir Glück haben, drei gute und erfolgreiche Studenten gibt. Und die anderen waren sehr böse auf mich ...
SIM: Was wird dann aus den anderen?
HB: Ich habe gesehen, dass ein Filmstudent nach dem Studium bildender Künstler wird, Skulpturen macht und keine Filme. Ich habe gesehen, dass einer Filmkritiker wird. Ich habe Produzenten herauskommen sehen, obwohl sie ursprünglich ganz woandershin wollten. Sie haben vielleicht ihre Zeit nicht ganz optimal genutzt, aber wer kann schon sagen, wie ein Lebensweg geht?
KR: In meinem Jahrgang war eine kleine Kamerastudentin, tatsächlich aus der Steiermark, aus einem winzig kleinen Dorf, die kam und hat bei der Auswahlprüfung gesagt: „Mein Lieblingsfilm ist Blue vom Derek Jarman.“ Wo hat sie ihn gesehen? Im Fernsehen. Ist eine sehr gute Kamerafrau geworden, eine sehr kluge. Das gibt’s nicht mehr. Leute, die kommen und mit 19 den ganzen Cassavetes gesehen haben und den Bresson und die Noten zum Kinematographen auswendig können, das ist jetzt die absolute Ausnahme.
SIM: Aber was lehrt denn die Schule? Man kriegt das Handwerkszeug beigebracht, die Kamera, die Auflösung, die Drehbücher usw. Aber man macht ja danach die Filme nicht mehr in diesem geschützten Raum. Es müsste die Forderung sein, dass eine vernünftige Filmhochschule einen Ausblick darauf gibt, wie es danach weitergeht.
KR: Es ist uns ein großes Anliegen, den Leuten irgendwie zu vermitteln, wie sie mit sich selbst umgehen müssen und was es bedeutet, ich hasse dieses Wort, professionell zu arbeiten. Irrsinnig viele Leute machen ihren ersten Film und der ist ein Wurf, da haben sie drei Jahre Drehbuch geschrieben, oder vier Jahre, sind schwanger gegangen mit dem Projekt. Da haben sie irgendwie noch dieses erste Gefühl zu einem Wurf gemacht und dann soll das zweite Projekt kommen, und sie sind einerseits unter diesem Erwartungsdruck, und andererseits haben sie nicht gelernt zu arbeiten, oder sie haben nicht gelernt, dass man drei Tage herumgehen kann mit einer Idee, schwanger gehen kann mit einer Idee, und dann verwirft man sie und das ist auch Arbeit. Das heißt nicht, dass man dann in der Depression versinken muss.
SIM: Wer würde denn das System ändern? Haben wir da neue Ideen? Was können wir verändern? Wie flexibel ist das, was wir haben?
DG: Jeder Regiestudent, der sein Studium hinter sich gebracht hat, ist eine Chance, das System zu ändern, eine Chance, andere Filme zu machen. Filme, die diese Schubladen, die in Deutschland zwischen kommerziell und künstlerisch immer aufgemacht werden, zwischen Mainstream und Avantgarde, diese Schubladen in die Ecke zu schmeißen und Film anders zu machen. Das System komplett in Frage zu stellen. Das erhofft man und erwarte ich im Prinzip von jedem, der von der Filmhochschule kommt. Dass das eine viel zu hohe Erwartung ist, ist ja klar, aber wohin soll man sonst die Hoffnung tun? Doch nicht in die, die das System jetzt seit 20 Jahren unterstützen, aufgebaut haben, und wie alle Gremien, die gegründet werden, vom Moment ihrer Gründung an bereits ihrer Verkalkung entgegengehen. Das müssen dann schon die Leute sein, die den kreativen Input in dieses System schieben, die Autoren, die Regisseure, die wirklich also das ganze Ding von unten nach oben zu drehen imstande wären mit einem einzelnen Film.
SIM: Also mit mehr Widerständigkeit.
KR: Und den Studenten auch klarmachen, was für eine Verantwortung sie tragen, was für eine Verantwortung wir alle tragen. Wir können tatsächlich was ändern in der Gesellschaft. Das kann sehr wohl auch von Lehrenden ausgelöst werden und es gibt ganz einfach auch ein gewisses Niveau, es gibt gewisse Standards. Zum Beispiel dass die Struktur wahnsinnig wichtig ist bei einem Film, dass man anders erzählen kann als in der plotzentrierten Struktur mit einem aktiven Helden, dass es andere Arten zu erzählen gibt als die klassische Dramaturgie usw., und dass man diese Unterschiede auch lernt und dass man merkt, dass man ganz andere Inhalte vermitteln kann mit anderen Strukturen usw., und das ist etwas, was jetzt nicht so wahnsinnig revolutionär klingt, aber im Endeffekt dann sehr revolutionär ist.

Publikum: Es gab ja früher eine Zeit, in der es gar keine Filmhochschulen gab, und Leute haben trotzdem gelernt, wie man Filme macht. Das heißt, es gibt auch andere Wege. Vielleicht wissen Sie etwas darüber, wie viele Filmemacher in Deutschland heute Filme machen und nicht von einer Filmhochschule kommen? Und was ist der Vorteil davon, eine Filmhochschule überhaupt zu haben gegenüber einem Lernen in der Praxis?
DG: Naja, von den drei erfolgreichsten deutschen Regisseuren sind zwei Schauspieler. Das sagt ja auch was aus.
SIM: Namen bitte?
DG: Schweiger und Schweighöfer.
SIM: Okay. Wer ist dann der dritte?
DG: Bora Dağtekin.
HB: Früher war das Modell so: Das Filmemachen kann man nicht lernen, und daher kann man es nicht unterrichten. Entweder hat man’s oder man hat’s nicht, und das beweist man am besten, indem man zuerst einen Kurzfilm macht. Aber warum sollen Schulen etwas Schlimmes sein? Es gibt Musikschulen, wo Leute das Klavierspielen lernen, und alle halten das für selbstverständlich. Es gibt seit dem Mittelalter die Tatsache, dass ein Maler immer auch eine Werkstatt hat mit Lehrlingen, die er im Malen unterrichtet und die am Ende genau so malen konnten wie er. Die Kunst und das Lernen haben schon immer in Verbindung miteinander gestanden, und ich verstehe nicht, warum es solche Vorbehalte gegen Filmschulen gibt. In Amerika gibt an den Universitäten das Fach Creative Writing. Da kommen groteske Sachen heraus, aber auch ganz wunderbare. Es gibt gute Regisseure, und es gibt schlechte, es gibt schlechte Filme und es gibt gute. Alle müssen angeschaut werden.
DG: Die zwei großen ersten Filmschulen in Westdeutschland, die dffb und die HFF München, wurden am Anfang mit unglaublicher Skepsis beobachtet. Ich glaube, ich war damals Aufnahmeleiter an der Bavaria und alle Arbeiter in der deutschen Filmbranche fanden das völlig absurd: „Filmhochschulen, was willste denn da lernen?“ Das Ganze wurde dann aber bis weit in die 1990er hinein eine unglaubliche Erfolgsgeschichte. Es gab mal so eine Liste von der HFF, eine ziemlich stolze Latte von Leuten, die dann in die Industrie, so nenn ich das jetzt mal, gegangen sind. Die Frage ist doch eigentlich, warum wir das jetzt diskutieren. Ich glaube, vor 20 Jahren hätten wir das nicht diskutiert, weil wir die Beispiele vor uns gehabt hätten von künstlerisch überzeugenden Filmen ebenso wie von kommerziell überzeugenden Filmen, internationalen Produktionen. Im Moment stagniert’s halt irgendwie, und ich glaube, deshalb bezieht sich die Debatte auch mehr auf den gegenwärtigen Zustand als auf die Grundfrage, wozu man Filmhochschulen braucht, weil die hat sich eigentlich in den ersten, zumindest westdeutschen Filmhochschulen in den ersten 30 Jahren von selbst beantwortet.
Publikum: Die Hochschulen messen sich viel zu sehr daran, ob ihre Filme auf wichtigen Festivals gezeigt werden.
KR: Da sehe ich einen Unterschied zu uns. Wir an der Filmakademie Wien sind die einzige richtige große Filmschule in Österreich und dadurch gibt’s auch nicht diese Konkurrenz zwischen den Schulen. Also, dass jeder möglichst schnell Erfolge vorweisen muss, damit’s ihr eine Lebensberechtigung habt. Meine Studenten sind dann immer ganz erstaunt, sie gehen auf ein deutsches Festival und alle sind verwundert, wenn sie kein Plakat haben. Das ist ein absolutes No-Go in Deutschland, also das Erste, was passiert, ist das Plakat und das schaut dann möglichst professionell aus. Das spürt man schon in Deutschland, da gibt es einen höheren Druck. Die Konkurrenz zwischen diesen Schulen verhindert vielleicht auch, dass die Leute ein bisschen länger in Ruhe gelassen werden.
DG: Kurz noch etwas anderes zum Lehren und Belehrtwerden. Kein Mensch hat uns gesagt, wie man Schauspieler inszeniert. Später habe ich Klassen unterrichtet, die Schauspiel-Inszenierungsunterricht gehabt hatten, das hat aber nichts geändert. Die Filme hatten genau da ihre Schwächen, wo es um die Auseinandersetzung damit ging, wie spricht ein Schauspieler einen Satz, in welcher Geschwindigkeit laufen Dinge ab ... Meistens war das die viel größere Schwachstelle als in der Technik, in der Bewegung der Kamera. An dem entscheidenden menschlichen Punkt, da kommen wir auch noch mal auf die Kommunikation zurück, da muss es offenbar irgendein Versagen in der Schule geben. Aber ich habe noch keine deutsche Schule gesehen, wo bemerkenswert gute Ergebnisse in der Schauspielerinszenierung herauskommen. Das war immer ein Punkt, wo die Studenten trotz Lehrern von weiß der Henker woher letztlich ganz auf sich selbst gestellt waren, also wo dieser entscheidende Kommunikationspunkt mit dem Schauspieler nicht gelehrt werden kann.
KR: Es liegt auch an der Erfahrung.

DG: Was passiert, wenn dir nicht gefällt, was der macht? Was sagst du dann? Ich habe in allen meinen Seminaren erlebt, dass Regisseure, also Studenten dann auf Schauspieler eingeredet haben, meistens leise irgendwie, damit die anderen es nicht hören, und der Schauspieler hinterher genau dasselbe nochmal gemacht hat. Ich weiß das ja auch von anderen Schauspielern, dass die Inszenierung auch in professionellen Produktionen sehr oft daraus besteht: „Kannst du die Tür bitt’schön dieses Mal bisschen schneller zumachen.“ Ja, das ist das absolute A und O, dieser Umgang mit dem, was doch letzten Endes das Wichtigste ist vor der Kamera, und Schauspielerinszenierung ist nach wie vor ein Defizit, und da kann ich nur sagen, wenn manchmal doch Filme rauskommen, die auch auf der schauspielerischen Seite begeisternd sind, hat das meistens mit den Lehrverhältnissen, woher die Regisseure oder Regisseurinnen kommen, nichts zu tun.
KR: Im Endeffekt ist einer unserer wichtigsten Aufträge, Offenheit zu erzeugen bei den Leuten. Also, den Mut zu haben die eigene Primärerfahrung einzusetzen und daraus etwas zu entwickeln, von dem ich glaube, es funktioniert, weil es bei mir funktioniert. Und dass ich Empathie entwickeln kann mit einem Zuschauer, dass ich einen Fluss von Emotionen und Gedanken in einem Zuschauer erzeugen kann – wann weiß ich, was ein Zuschauer in einem Moment denkt und fühlt, wo ist der in dem Moment. Das hat ganz viel damit zu tun, dass man Leuten klarmacht: Du glaubst vielleicht nicht, dass du interessant bist, aber du bist alles, was du hast. Das hat Charlie Kaufmann immer gesagt, und das find’ ich sehr schön. Das klingt jetzt natürlich sehr vage. Das ist aber eine ganz wichtige Sache, weil es natürlich auch dazu führt, dass Leute nicht nur im Klischee rumschweben. Ich glaube, sehr viele Leute wissen gar nicht, dass sie eigentlich die ganze Zeit mit dieser Sekundärrealität dealen und glauben, das ist ja eh mein Leben und so, wie ich mein Leben erlebe irgendwie.
Publikum: Wenn sich Filmstudenten Filmgeschichte angucken, dann würden sie doch eigentlich auch sehen, wie viel freier und wie viel reicher und wie viel unkonventioneller Film schon mal war und wie bieder und wie konventionell er jetzt ist. Welche Rolle spielt denn Filmgeschichte an den Schulen? Das würde mich interessieren, weil man da ja wirklich was anstoßen könnte.
KR: Ich habe oft die Erfahrung gemacht – nicht mit meinen jetzigen Studenten, aber am Anfang – dass die das gar nicht lesen können. Dass die das nicht als Befreiung empfinden, wenn die L’Avventura sehen, weil die sagen: „Ihh, das ist ja schwarz-weiß... Ihh, die spielen so komisch.“. Also ganz oft wird das gar nicht so wahnsinnig begrüßt, weil viele meiner Studenten relativ wenig Filme aus der Filmgeschichte gesehen haben und dann eher gepolt sind auf diese Schiene. Also sie haben ihre Erwartungshaltungen, und so soll das laufen. Insofern seh’ ich da auch einen großen Auftrag.
DG: Das Reden über Film ist teilweise das Lehrreichste, was Studenten und was Filmschulen zu geben haben. Es ist etwas, das man fördern muss, was man unter den Studenten fördern muss. Auch sich zu überlegen, wie man über Film redet. Das halte ich fast für wichtiger als sich irgendwie ständig zu überlegen, was ich als nächstes abfilmen könnte.
KR: Und das Spielerische muss man fördern. Räume schaffen, in denen man die Leute ja fast zwingen muss, Fehler zu machen. Wir arbeiten auf der Akademie stark daran, den Leuten zu erklären, dass diese nächste Übung nicht so wichtig ist. Dass sie mit Sorgfalt ausgeführt sein soll und dass man irgendwie mit dem Hirn dabei ist, aber dass du wahrscheinlich nicht den Oscar gewinnen wirst, wenn du einen Tag mit einer Bolex eine Übung drehst. Und die Leute machen sich vollkommen fertig damit. Also sie leiden auch. Wenn man dann zum Beispiel spielt, dann muss man sie oft direkt unter Druck setzen und sagen: „Okay, du hast aber jetzt nur fünf Minuten Zeit.“ Und da sieht man, dass die Leute dann erst anfangen, ihr Ego wegzuwerfen und zu sagen: „Okay, jetzt für die fünf Minuten schau’ ich mal, was da kommt.“ Und es kommt tolles Material und mit dem kann man weiterarbeiten. Oder Wettbewerbe: Wer schreibt den schlechtesten Dialog? Kommen super Dialoge raus. Wirklich. Es ist verdammt schwer, da einen zu küren, der wirklich der schlechteste ist. Solche Sachen finde ich großartig, weil du natürlich nur durch die Erfahrung wieder lernen kannst. Du musst es selber machen, du musst sehen, was du gemacht hast und dann kannst du darauf aufbauen.
Veröffentlichung in Zusammenarbeit mit den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen.
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