Extreme ohne Hierarchien – Filme von Eloy de la Iglesia

Ein klassischer Geschichtenerzähler mit Hang zu lustvollen Entgleisungen: Das Filmkollektiv Frankfurt hat dem spanischen Regisseur Eloy de la Iglesia eine kleine Retrospektive gewidmet – die erste überhaupt in Deutschland.

Cannibal Man

Ein kleines, verloren wirkendes Haus im staubigen Nirgendwo. Der Arbeiter Marcos (Vicente Parra) wohnt hier inmitten einer wüstenähnlichen, nur lose bebauten Landschaft, mit der man in Spanien nicht unbedingt rechnen würde. Nicht weit von ihm thront ein gigantischer Luxusappartment-Komplex, der die ärmliche Behausung noch mickriger erscheinen lässt, als sie ohnehin schon wirkt. Eigentlich denkt man, Marcos könnte nicht viel verlieren. Doch nachdem er einen Taxifahrer im Affekt erschlägt,  klammert er sich panisch an das wenige, das er noch hat. Und je entschlossener er versucht, den Vorfall zu vertuschen, desto verheerender wird seine Lage: Erst tötet er seine Freundin, dann seinen Bruder und später noch ein paar andere, die ihre Neugier nicht zügeln können. Entsorgt werden die Leichen in der Fleischfabrik, in der Marcos angestellt ist –  und dort zu Fertigsuppen verarbeitet, die schließlich den anderen Unterprivilegierten in der Dorfkneipe vorgesetzt werden.

Cannibal Man 1

Eloy de la Iglesias Cannibal Man (La semana del asesino, 1973) ist zwar noch unter dem Franco-Regime entstanden und musste auch einige Kürzungen über sich ergehen lassen, hat dadurch aber kaum etwas von seiner sozialen Sprengkraft verloren. Wenn sich die Leichen im Schlafzimmer des Protagonisten stapeln und verwesen, wenn Marcos deshalb Unmengen an billigem Parfüm kauft, um diesen Gestank zu überdecken, dann fällt es schwer, darin keine Allegorie auf ein totalitäres Regime zu sehen, das seine unsauberen Methoden verschleiern will. Doch Cannibal Man ist nicht nur Allegorie; genau wie er nicht nur Horrorfilm oder Melodram ist. De la Iglesia folgt keinem Genre-Muster, sondern konzentriert sich stattdessen ganz auf seine eigensinnige Geschichte, die eher beiläufig das ein oder andere Genre streift. So schält sich aus der Zustandsbeschreibung dieser hoffnungslosen Welt schließlich auch noch eine homosexuelle Erweckungsgeschichte, die in der gekürzten Fassung zwar ohne Küsse auskommen muss, dafür aber neben vielen eindeutigen Blicken auch noch mit einer entrückten Schwimmbadszene aufwartet, die durch ihre irreale und erotisierte Inszenierung wie von einem anderen Stern wirkt.

Lust an der Grenzüberschreitung

El sacerdote

Das Filmkollektiv Frankfurt – laut Eigenbezeichnung ein „Projektionsraum für unterrepräsentierte Filmkultur“ – hat Ende April etwas geleistet, was die deutschen Kinematheken bisher versäumt haben: Sie haben dem bedeutenden, vielseitigen und ausgesprochen produktiven Regisseur Eloy de la Iglesia eine Retrospektive gewidmet – und sind dabei vor allem nach pragmatischen Kriterien vorgegangen: Auf dem Programm stand alles, was noch auf 35mm zu bekommen war – sechs Filme, die überwiegend aus der Zeit der transición stammen, der Übergangsphase von der Franco-Diktatur zur parlamentarischen Monarchie. Innerhalb der Filmografie des Regisseurs ist das eigentlich nur ein Bruchteil. Über vier Jahrzehnte hat de la Iglesia populäres Kino gedreht, das flexibel im Umgang mit Genres ist und eine ungewöhnliche Gratwanderung zwischen einem klassischen Geschichtenerzählen und der Lust an der Grenzüberschreitung vollzieht.

El Pico

In der Gesellschaftssatire Angst, nachts auszugehen (Miedo a salir de noche, 1980) ist irgendwann in scheußlicher Ausführlichkeit zu sehen, wie einer Frau eine Brustwarze ausgerissen wird. Der Moment trifft einen als Zuschauer völlig unvorbereitet, denn ansonsten führt der Film zwar ebenso komisch wie gehässig vor, wie sich die Spuren des Franquismus ins spanische Bürgertum gefressen haben, bleibt dabei aber eigentlich in einem nie zu extremen, fast schon familienkompatiblen Modus. Doch dieser Moment ist bezeichnend für de la Iglesias Kino. Denn immer wieder schleicht sich in die sorgfältig konzipierten Filme ein revolutionäres Aufbegehren ein, eine Lust an der Entgleisung und am Vulgären. Zwar ist de la Iglesia kein Exploitationregisseur. Doch er sucht die Provokation und schämt sich nicht für die Schauwerte seiner Filme.

El Pico 2 1

Am Ende handelt es sich bei der ausgerissenen Brustwarze nur um einen Tagtraum, wie auch die gesamte Bedrohung im Film nur der Einbildung der Bewohner eines Häuserblocks entspringt.  Aufgeheizt von den sensationalistischen Schreckensmeldungen der Nachrichten befinden sich die Figuren in einem Zustand permanenter Hysterie. Doch die größte Gefahr, so der Film, ist die verängstigte Mittelschicht, die schließlich ein unzähmbares Monster mit dem Namen Bürgerwehr schafft. In Miedo a salir de noche zeichnet sich besonders deutlich die anti-bürgerliche Haltung des Sozialisten de la Iglesia ab. Seine Sympathien liegen dementsprechend bei den gesellschaftlichen Außenseitern; den Huren, Kleinkriminellen, Junkies und Schwulen.

Solidarität mit den Chancenlosen

Colegas

Die Hälfte der in Frankfurt gezeigten Filme stammt aus einer Werkphase, die sich mit jugendlichen Delinquenten beschäftigt. Star dieser Filme ist der Laiendarsteller José Luis Manzano – ein athletisch gebauter, schelmisch grinsender Lockenkopf, der nach seiner kurzen Filmkarriere mit nur 28 Jahren an einer Überdosis Heroin starb. Zu jungen Draufgängern wie sie Manzano verkörpert, hat der Regisseur eine ambivalente Beziehung. Man spürt eine unbedingte Solidarität des Bürgersohns de la Iglesia mit den Chancenlosen, ein tiefes Verständnis für ihre Träume eines besseren – nur mit unlauteren Mitteln realisierbaren – Lebens und die Bewunderung ihrer jungen proletarischen Körper, die als Fetisch gebührend gefeiert werden. Besonders an der Sexualisierung des männlichen Körpers zeigt sich, wie queer de la Iglesias Arbeiten sein können, ohne homosexuelle Figuren deshalb in einem besonders guten Licht dastehen zu lassen oder überhaupt von ihnen zu erzählen.

Colegas 1

Doch zugleich romantisieren die Filme ihre Protagonisten nicht. Sie wissen um das hitzköpfige und unreflektierte Handeln ihrer Figuren, darum, dass sie manchmal richtige Idioten sein können. Und de la Iglesia hat eine regelrechte Freude daran, die starre heteronormative Welt der jungen Männer zu erschüttern. Besonders genüsslich tut er das in Colegas (1982), der davon erzählt, wie Manzano mit seinem besten Freund und dessen Schwester Geld für eine Abtreibung besorgen muss. Dafür lässt der Regisseur die beiden Jungs etwa eine Schwulensauna besuchen, in der er ihr offensichtliches Unbehagen komödiantisch auskostet. Oder er schickt sie nach Marokko, von wo aus sie Marihuana-Päckchen in ihrem Arsch über die Grenze schmuggeln sollen. Besonders in dieser Szene zelebriert de la Iglesia das Unwohlsein seiner Figuren bis zum Exzess. Als sie sich mit hochgelegten Beinen und schmerzverzerrtem Gesicht eine Packung nach der anderen in den Hintern einführen, schiebt ihr marokkanischer Verbindungsmann eine Nivea-Dose über den Tisch und feuert sie mit „Mucha crema“-Rufen an.

Dass sich Colegas von solchen heiteren Szenen zur handfesten Tragödie entwickelt, zeigt, wie unbeschwert de la Iglesia Gegensätzliches elegant ineinanderfließen lassen kann. Immer wieder schaukeln sich seine Filme zu fast slapstickhaften Höhepunkten hoch, um uns mit niederschmetternden Wendepunkten wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. Das Schöne an de la Iglesias Kino ist, dass es bei diesen Extremen keine Hierarchie gibt, dass es sich jeder Empfindung mit derselben Intensität widmet. Es wäre zu wünschen, dass davon mehr Zuschauer außerhalb Spaniens etwas mitkriegen.

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