Duisburger Filmwoche: 40 und zahm

Was ist bloß passiert? In Duisburg wird diskutiert, als gäbe es einen Preis zu gewinnen für den affirmativsten Umgang mit den geladenen Gästen. Und als es einmal kontrovers wird, gibt es keine Debatte, sondern eine Performance abgestandener Positionen. Hat sich die legendär streitbare Dokumentarfilmwoche selbst überlebt? Eine Bestandsaufnahme.

Duisburger-Filmwoche16 Dahlienfeuer

Der Schock ist groß, als gleich die erste Diskussion der ersten Duisburger Filmwoche, der ich beiwohne, überraschend glatt abläuft. Glatt und glättend, denn die Kanten des Films und seiner Macher müssen dafür mit großer Geste eingefangen werden. Unablässig die Position des Regisseurs bestätigend, gefällig und sich ständig wiederholend, springt der Moderator eilig in die Bresche, wenn einmal ein Moment der Unsicherheit aufkommt, weil die Kamerafrau einen Faden verliert.

Dahlienfeuer von Stefan Hayn, Bildgestaltung Bernadette Paaßen, ist nicht das Problem der Diskussion. Im Gegenteil, es wäre lohnend, über das impressionistische Arrangement im floralen Umfeld (so in etwa die auf dem Podium zitierte, überraschend offene und zutreffende Ablehnungsmail eines RBB-Redakteurs) zu diskutieren. Der 2014 bei einer Blumen-Show produzierte Film changiert zwischen offensiven, aber allgemeinen Fragen, aufdringlicher Nähe zu den Interviewten und einer amüsierten Leichtigkeit im Rhythmus. Gerade strukturell wäre da viel zu besprechen – doch das Gespräch will sich dafür nicht öffnen, Hayn zieht sich schnell auf seine Intuition zurück und wird nicht herausgefordert. Absurd, gerade bei einem Film, der um bewusst suggestive Fragen herum gestrickt ist.

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Strukturelle Fragen sind die große Leerstelle in Duisburg. Anstatt über filmische Programmatiken zu sprechen und was sie über die Haltung der Filmemacher, über Ideologie und Zeitgeist offenbaren, wird über Themen gesprochen. Über die Protagonisten und wie sie auf den fertigen Film reagiert haben. Gähn. Über die angeschnittenen Fragen und was sie dem Regisseur bedeuten. Aha. Und: Wie die Regisseurin auf die Idee zu ihrem Film kam. Nein, ernsthaft?

Die Intention steht im Zentrum

Duisburger-Filmwoche16 Homo-Sapiens

Es ist bezeichnend für die Beliebigkeit, mit der gesprochen wird, dass die Frage nach der „Idee“ immer wieder gestellt wird, mindestens jede zweite Diskussion fängt damit sogar an. Ja, es ist die banalste Frage, die langweiligste, aber es ist vor allem eine, die Anekdotisches provoziert und den Weg bereitet für Offensichtliches, die dafür sorgt, dass die Intention im Zentrum steht (und oftmals persönliche Umstände), statt die Mechanik zu erforschen. Ein gewiefter Redner wie Nikolaus Geyrhalter weiß das und bügelt die Frage nach dem gedanklichen Ausgangspunkt für Homo Sapiens gleich ab. Es gäbe da immer viele Gedanken. Eben. Das nachträgliche Auswählen eines Anfangs bringt in der Regel eine vereinfachende Antwort, nämlich die schlichte Behauptung der eigenen Intention.

Was im Gespräch mit Geyrhalter dank Geyrhalter gut anfängt, verliert sich schnell in einer genauso charismatischen wie routinierten Abarbeitung der bekannten Hintergründe der Produktion. Wie die Kamera aufgestellt, wie die Orte gefunden, was fingiert, hergestellt, inszeniert wurde. Aspekte, die für ein Werkstattgespräch absolut angemessen sind, und die der Regisseur in Interviews und bisherigen Q&As längst mehrfach von sich gegeben hat. Aspekte, die genutzt werden könnten, um tiefer einzudringen in die Materie, wenn sie nicht so wie hier zum Anekdotischen einladen würden. Doch Geyrhalter ist ohnehin gut darin, jeden Widerspruch und jede Ausdeutung aus dem Publikum in seine eigene Vision zu inkorporieren, er schluckt einfach alles und sorgt für ein kohärentes Bild. Doch vielleicht tut er damit Homo Sapiens letztlich keinen Gefallen.

Homo sapiens 04

Der Regisseur lädt den Film über verlassene Räume, heruntergekommene Häuser und Ruinen, mit einer Perspektive auf, die in den Bildern und deren Arrangement noch lange nicht enthalten ist. Durch das Behaupten eines posthumanen Weltentwurfs macht er die just als durchlässig behaupteten Räume noch hermetischer, als sie ohnehin schon sind. Weil keine Menschen mehr anwesend sind, okay, aber auch weil nichts mehr hineinragt in diese Welt, nichts von außen kommt, das nicht bereits einer minutiösen Choreographie gehorcht. Eine posthumane Welt aber, die unlebendig wirkt, macht den Menschen dann doch irgendwie schon wieder zur Krone der Schöpfung.

Plötzlich ein Raum für Dissens

Austauschbar werden die Gespräche in Duisburg, weil darauf vertraut wird, dass sich da schon was ergibt, wenn man ein paar zentrale Aspekte nacheinander anspricht. Das Gegenteil ist der Fall. Eine Diskussion nach der anderen wiegt die Macher in wohliger Sicherheit, dass sie das sichere Terrain ihrer eigenen Ausdeutung nicht verlassen müssen. Und dann: Auftritt Werner Ružička. Der Festivalleiter hat eine Art, mit Gästen umzugehen, die den Raum plötzlich für Dissens öffnet. Einen ständigen Schalk im Gesicht, der auf etwas verweist, das er so gar nicht auszusprechen braucht, kann er noch so freundlich und herzlich sein, die Diskussion bekommt sofort eine völlig andere Lebendigkeit.

Duisburger-Filmwoche16 Rusicka

Ružička moderiert das Gespräch mit Werner „Swiss“ Schweizer, einem alten Stammgast des Festivals, der einen der filmisch schwächeren Beiträge mitgebracht hat, mit einem offensichtlich wichtigen Thema, das denn auch in aller Breite debattiert wird. Offshore – Elmer und das Bankgeheimnis kommuniziert sich schon über den Titel. Aber der Film ist nicht frei von Widerhaken, und obwohl die Kritik sich erst mal etwas erwartbar an der persönlichen Komponente entzündet (wie in vielen Filmen in Duisburg ist der Filmemacher selbst Co-Protagonist), wird sie nicht wie sonst abgebügelt und aufgehoben, indem sie durch andere zur reinen Meinungsäußerung deklariert wird. Plötzlich werden Argumente ausgetauscht, die die Struktur des Films, seine Parallelerzählung des Bankiers und des Filmemachers, infrage stellen. Nicht nur, ob das Persönliche hier legitim sei, sondern auch, wie es funktioniere: Die eigene Biografie bindet Schweizer nämlich als eine abgeschlossene Entwicklung ein, durchaus selbstironisch, aber ohne große Unsicherheiten ob der eigenen Haltung und heutigen Position. Richtig zweifeln und scheitern muss nur der titelgebende Protagonist.

Streitkultur in der Krise

Meine Hoffnung, der Funke könnte überspringen auch auf andere Gespräche, währt nicht lang. Im Gegenteil: Es kommt noch viel schlimmer. Sowohl im Konsens als auch in der einzigen „Kontroverse“ des Festivals offenbart sich eine in die Krise geratene Streitkultur. Weil Ulrich Seidl nicht kommen kann oder will und kurzfristig abgesagt hat, findet das Gespräch mit der kompletten Auswahlkommission statt. Die Gelegenheit also, die Programmentscheidungen zu reflektieren. Doch die Fragen danach wollen sie einfach nicht ernst nehmen. Als eine Zuschauerin sich erkundigt, warum Safari ausgerechnet den prominenten Freitagabendslot erhalten habe, verweist der Festivalleiter auf den vollen Saal. Eine spontane Reaktion, klar, und gleichzeitig ein Verweis auf die Quote: das volle Haus legitimiert anscheinend ausreichend das Programm. Das ist ein Problem, vor allem wenn die Filmauswahl so wenig eine klare Handschrift trägt wie in diesem Jahr – und herausragende, starke Positionen auf völlig diffuse Ansätze des Dokumentarischen folgen.

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Safari, der deutsche und österreichische Touristen in Namibia beim Schießen wilder Tiere zeigt, gehört sicherlich nicht zu den ausgetüfteltsten Filmen von Seidl. Schnell entspinnt sich eine hitzige Diskussion, die aber in Wirklichkeit nie in die Tiefe stößt, sondern ein Missverständnis nach dem anderen produziert. Weder wird das Gespräch gelenkt, noch verstehen sich die Redner gegenseitig, stattdessen wird die Performance eines inner-linken Streits abgeliefert: Das Wort Rassismus fällt, und dann wird durchdekliniert, wie ein nicht-rassistischer Film zu sein habe. Statements werden aneinandergereiht, mit großen Worten und wenig Analyse. Es ist ein Schauspiel vermeintlich konträrer Meinungsäußerungen, die man vorschnell mit Positionen verwechseln könnte, die sich aber, würde man sie auch nur einen Moment genauer betrachten, kaum widersprechen. Nur der Bezugsrahmen ist jeweils ein anderer. Manche meinen den Film, andere sich selbst, nochmal andere haben ganz allgemein was zu sagen. Und so verpufft eine weitere Chance auf eine wirkliche Debatte.

Duisburger-Filmwoche16 Happy

Vielleicht kann die Duisburger Filmwoche gar nicht besser sein, vielleicht liegt es ja an unserer Zeit und am Publikum, das den Streit nur noch sucht, wo es einen Nährboden dafür erkennt? Es liegt nahe, dass das Konzept des Festivals mit ausgiebigen Debatten, bei denen jeweils ein Mitglied der Auswahlkommission das Gespräch freundlich anleitet, sich überlebt hat. Sollen wirkliche Debatten entstehen, kann sich die Moderation nicht auf das wohlige Loben der Ansätze des Films zurückziehen, sondern muss die Widersprüche herausarbeiten und sie zur Diskussion anbieten. Der Raum dafür muss geschaffen werden, er ist nicht eh schon da, nur weil einige Leute nach dem Film zusammensitzen. Das Festival sollte sich wundern, warum immer wieder Regisseurinnen und Regisseure wie zuletzt Carolin Genreith meinten, das Gespräch „war nicht so schlimm, wie ich erwartet habe“. Klar: „Das“ Publikum freut sich über einen komödiantischen Beitrag wie Genreiths Happy, der einen dicken alten deutschen Mann bei der Heirat einer Thailänderin begleitet. Worüber da aber wirklich gelacht wurde und wessen Perspektive der Film affirmiert, das wollte keiner so genau wissen. Das Festival auch nicht. Umso trauriger, weil damit die Filmwoche 2016 schloss.

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